Ausstellungsbesprechungen

»Erwin Wurm. Selbstporträt als Essiggurkerl« und »Videorama. Kunstclips aus Österreich« im MdM Mönchsberg in Salzburg, bis 10. Oktober 2010

Das Museum der Moderne Mönchsberg präsentiert mit »Erwin Wurm. Selbstporträt als Essiggurkerl« die skulpturale Installation eines der bedeutendsten Künstler Österreichs, der in seinen Werken bewusst auf Themen, Materialien und Gegenstände des Alltags zurückgreift. Dabei ist Erwin Wurm bestrebt, den Skulpturenbegriff auszuloten und neu zu erfinden. Parallel zu dieser Ausstellung werden mit »Videorama. Kunstclips aus Österreich« dem Besucher junge Positionen österreichischer Videokunst gezeigt, die in den vergangenen zehn Jahren entstanden sind und aus dem ursula blickle videoarchiv stammen. Unsere Autorin Verena Paul hat die beiden Ausstellungen für Sie besucht.

Im zweiten Stockwerk des wunderbar bespielbaren Museums trifft der Ausstellungsbesucher auf die 2008 entstandene skulpturale Installation »Selbstporträt als Essiggurkerl« von Erwin Wurm. Auf 36 unterschiedlich hohen, weiß lackierten Holzpodesten haben 36 in Acryl gefertigte Essig- beziehungsweise Schlangengurken – jede ein Unikat – selbstbewusst ihren Platz eingenommen. Nachdem ein Überblick gewonnen wurde, streifen wir um die 36 stramm stehenden grünen Kerlchen herum, die – und da geht es mir nicht alleine so – unwillkürlich zum Schmunzeln und Lachen animieren.

Erwin Wurm ist es wichtig, wie Emilie Mayer in der zur Ausstellung erschienen Broschüre schreibt, »Kunst auf einer allgemein verständlichen Ebene zu machen.« Indem er hierzu bewusst auf den Alltag zurückgreift, setzt er sich auf vielschichtige Weise mit der Begrifflichkeit von Skulptur auseinander, lotet sie aus und erfindet sie neu. Insofern wird die Gurke in der Installation von ihrer ursprünglichen Banalität befreit und zum Kunstobjekt erhoben. Doch was steckt hinter dem Ausstellungstitel, der den Künstler scheinbar in ein »Essiggurkerl« transformiert? Dazu gibt Kirsten Voigt in ihrem Beitrag eine plausible Erklärung, wenn sie schreibt: »Dieses Werk porträtiert seinen Urheber über die humorvoll-absurde Konzeption befreiender Selbstironie. [...] Selbstbildnisse sind nicht nur existenzielle Zwischensummen, sie sind immer zwingend Künstlerbilder, damit in erhöhtem Maße kunstreflexiv«. Erwin Wurm ironisiert, nimmt sich selbst nicht so ernst und vergegenwärtigt in diesem heiteren Selbstverlachen zugleich die Problematik einer Definition von Skulptur in unserer modernen Pluralität. Fazit: Wundervolle Werkpräsentation, die eine vitale Einheit bildet und an keiner Stelle des Raumes einen Leerlauf entstehen lässt. Eine Hommage nicht nur an das »Essiggurkel« – das für die Österreicher unverzichtbarer Bestandteil bei einer Leberkässemmel oder zur Brettljause ist –, sondern auch und vor allem an den Akt des freudigen Betrachtens, der uns zum Lachen sowie zum Nachdenken anregt.

Nachdem wir den Ausstellungsraum mit den »Essiggurkerl« verlassen haben, blicken wir unmittelbar auf drei Videoarbeiten Wurms, die zu »Videorama« eine fließende Überleitung bilden. Bei »59 Stellungen« verformt Erwin Wurm mit Hilfe von unterschiedlicher Kleidung seinen Körper, verknotet, zerfaltet ihn und bringt dergestalt immer wieder neue Formen hervor. Ähnlich spannend ist seine Arbeit »Memory«, bei der er die Welt im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf stellt, indem er die Schwerkraft durch Kippen der Kamera verändert und damit nicht nur den Begriff von Kunst kritisch hinterfragt, sondern auch die Wirklichkeit. Das letzte Video dieser Reihe – »One minute sculptures« betitelt – hält Installationen fest, die nur für kurze Zeit Bestand haben können, wie etwa der Stuhl, der auf vier Orangen balanciert oder eine Person (der Künstler selbst), die auf einem an der Wand aufgesetzten Hocker sitzt und ihr Gewicht auf die am Boden positionierten Hände verlagert bis die Kräfte schwinden. Mit den drei Werken lässt Wurm vor unseren Augen Skulpturen entstehen, die menschliches Handeln, Formen, Deformationen, Volumen, Farbe und Materialität erproben und ausreizen, wobei die Zeit zu einem wichtigen Protagonisten avanciert.

Während Wurms Arbeiten primär mit dem Medium Bild operieren, tönt aus dem ersten Raum der Videokunstausstellung zugleich laute Musik beziehungsweise ein leises Stimmengewirr, dass unter zwei Glasglocken hervorgurgelt und zu zwei Videoprojektionen gehört, die auf der Wand zu sehen sind. »Videorama« präsentiert keine langatmigen Dokus, sondern eine bunte Zusammenstellung ausgewählter Videoarbeiten, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind. Dabei lassen sich die Werke in die Bereiche ANIMATING, ACTING, ABSTRACTING, MOVING, NARRATING und TRANSFORMING unterteilen. Beim Durchstreifen der drei großen Ausstellungsräume wird das verbindende Element der Arbeiten schnell deutlich: Es ist die Neuinszenierung von Realität, die vielschichtig, konträr, befremdend und vertraut, langsam und rasend schnell auf uns einströmt. Im Nebeneinander der Videokunstwerke öffnen sich dem Betrachter neue Erfahrungsräume, die visuelle Überforderung mit ästhetischer Konzentration verbinden und uns auf diese Weise sensibilisieren und unsere Wahrnehmungskraft schärfen.

Gleich im ersten Raum richtet sich die Aufmerksamkeit auf Susanne Jirkuffs Arbeit »People who like Bonnie Tyler«: Zu sehen sind die Oberkörper von acht strichmännchenartigen Figuren auf weißem Grund, die das Lied »Total eclipse of the heart« singen und mit dem Sforzando der Musik gleichfalls eine Belebung erfahren. Daneben wird die humorvolle Arbeit »Affentheater« von Anna Jermolaewas präsentiert, bei der eine Affenmaske sich unmittelbar vor der Kameralinse bewegt, das Maul aufreißt und dann das Gesicht extrem zusammenzieht. Ein Theater für Kinder? Man könnte es glauben, aber nein, dieser Affe hält unserer Spaßgesellschaft mit einer guten Portion Humor einen Spiegel vor.

Als ich dann unter eine der Glaskugeln trete, wird die Musik gedämmt und ich verstehe die Stimmen deutlich. Sie gehören zum Video »Tintenkiller« von Veronika Schubert, das an Musikclips der achtziger Jahre erinnert und ästhetisch einen wirklichen Genuss darstellt. Schubert hat sich jedoch nicht nur auf die blauen, aquarellartigen Bilder konzentriert, sondern das Augenmerk auch auf die Sprechakte gelegt: Der Zusammenschnitt verschiedener »Tatort«-Szenen wird deshalb nicht wahllos gezeigt, sondern nach »Sprachmosaiken« sortiert. So gebrauchen die Kommissare ähnliche Sprachpartikel, stellen ähnliche Fragen und weisen ein einheitliches Vokabular auf, so dass Worte wie Mord, Durchsuchungsbefehl, Fakten regelmäßig wiederkehren.

Im zweiten Raum sampeln Thomas Draschan, BitteBitteJaJa und Axel Stockburger aus Fragmenten ein neues Ganzes, das sich als digitale Montage in einem orchestralen Neben- und Hintereinander entfaltet. Es sind Bilder, die den Betrachter bisweilen herausfordern, da sie als beschleunigte Staccatos auf ihn einprasseln und sein visuelles Sensorium auf den Prüfstand stellen. Im dritten und damit letzten Raum der Präsentation begegnen uns die expressiven Arbeiten von Mara Mattuschka und Gabriele Szekatsch. Mit »Unternehmen Arschmaschine« evozieren sie eine Ästhetik, die zwischen Science Fiction und historischer Rückbezüglichkeit, zwischen Aufführungs- und Vorstellungsraum oszilliert. Eine Wand weiter wird uns ein gläserner Kasten mit Ratten und Mäusen gezeigt, die verzweifelt versuchen, an dem glatten Material hinaufzukriechen und immer wieder langsam herabgleiten. »The way up« von Anna Jermolaewa zeigt eine nie enden wollende Aufgabe und wirkt als entschleunigter Antipode zu den rasant dahinfliegenden Bildfolgen, die im vorherigen Ausstellungsraum zu sehen waren.

Beim Hinausgehen gelangen wir abschließend zu Franz Schuberts Arbeit, die eine kaum flackernde Kerze zeigt und Bezüge zu Gerhard Richters gemalten Kerzen aus den achtziger Jahren erkennen lässt. Vor diesem Video klingt die Ausstellung leise aus und es setzt unwillkürlich ein Reflexionsprozess ein, denn es gilt vieles zu ordnen und zu begreifen. Fazit: Ein kluges Arrangement von Kunstclips, die fesseln, irritieren, unsere Wahrnehmung neu ordnen, indem sie dem Betrachter mal einen humorvollen mal einen kritisch-ironischen Spiegel vor Augen führen – aber: dieser Spiegel ist kein Zerrbild der Wirklichkeit, denn er schönt nichts, sondern lässt uns gesellschaftliche Schieflagen in ästhetischer Gestaltung unglaublich intensiv erfahren.

Dem MdM Mönchsberg sind zwei beeindruckende Präsentationen von Gegenwartskunst gelungen, die ich uneingeschränkt empfehlen möchte!

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