Reiseberichte

»Los cuadros son mis amigos«

Mag das argentinische Cordoba auch ein städtebaulicher Alptraum sein, ein gestaltlos auseinander geflossener Häuserbrei, so finden sich doch auch in dieser Stadt neben unendlich vielen Scheußlichkeiten wirkliche Perlen. Ein ganz besonderes Schmuckstück ist das nach der argentinischen Legende Evita Peron »Evita« genannte Museum der schönen Künste in dem wunderbaren Palast der Familie Perreyra. Stefan Diebitz ist nach Argentinien gereist und hat in Cordoba das »Museo Superior de Bellas Artes« besucht.

Cordoba, el faro ante la catedral © Stefan Diebitz Cordoba, Los Capuchinos © Stefan Diebitz Cordoba, Säulen mit Figur © Stefan Diebitz Cordoba, palacio Ferreyra © Stefan Diebitz
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Bei meinem ersten Besuch 2008 war Cordoba für mich der Endpunkt einer fast unendlichen Flugreise, und als ich übermüdet im Taxi vom Flughafen zum Hotel saß, konnte ich kaum glauben, was ich dort sah. Rechts und links liefen die Straßen schnurgerade weg – fast bis zum Horizont, und ein einstöckiges Haus reihte sich an das andere. Genauso deprimierend fand ich das Stadtbild 24 Stunden später, als ich auf dem Weg zu meinem eigentlichen Ziel im Bus durch die Außenbezirke fuhr.
Dass diese Stadt auch ihre Schönheiten besitzt, begriff ich erst auf der Rückreise, als ich vor meinem Abflug das Glück einer stadtkundigen Begleitung genoss und zusammen mit ihr eine Stadtrundfahrt in einem alten Londoner Doppeldeckerbus unternahm. Jetzt endlich sah ich die alte Kathedrale – seinerzeit in einem schlimmen Zustand –, besuchte schöne Plätze und wanderte durch die von einem dichten Laubdach beschattete Fußgängerzone.
Aber auch nach mehreren Visiten bietet Cordoba viele Überraschungen für mich. Wer hätte gedacht, dass es jemals gelingen könnte, die äußerlich so sehr verwahrloste Kathedrale mit einigen Eimern Farbe wieder ansehnlich zu machen? Allerdings, ich fand die schiefen geländerlosen Stufen in der schwindelnden Höhe des Daches wesentlich reizvoller, als sich das Gotteshaus noch nicht wieder in seinen traditionellen Bonbonfarben präsentierte.
Eine andere Überraschung stellte der »Paseo del Buen Pastor« direkt neben der eigentümlichen Kirche »Iglesia del Sagrado Corazón Padres Capuchinos« dar, die der französischen Hochgotik entsprungen scheint und in Paris stehen sollte, aber tatsächlich erst zwischen 1926 und 1934 errichtet wurde und sich in Argentinien befindet. Die kurz »Los Capuchinos« genannte Kirche ist ein Exzess der Neogotik in einer Stadt, die von ihrer eigenen Geschichte kaum noch etwas wissen will. Selbst wenn man einer derartigen Architektur kritisch oder ablehnend gegenübersteht, wird man die außerordentlich schönen Farben des Innenraumes goutieren, die den Gesteinsarten der weiteren Umgebung zu verdanken sind und bereits im Eingangsportal demonstriert werden.
Der Platz selbst ist von wildem und hupendem Verkehr umflossen und von Abgasschwaden umwölkt. Seit 2007 ist er der beliebteste Treffpunkt der Stadt, und das hat neben den guten Restaurants auch mit den von Orchestermusik begleiteten rhythmischen Farbenspielen des Brunnens zu tun, die nach Einbruch der Dunkelheit das Publikum zu Hunderten anziehen. Als ich dort abends saß und die friedliche Atmosphäre des Platzes pries – es gab keine Betrunkenen, und selbst den zahllosen Straßenkötern fehlte jede Aggressivität -, wies man mich darauf hin, dass hier, im Herzen der Stadt und in unmittelbarer Nähe zur bedeutenden Universität, in der Zeit des Terrors (1976 – 1983) das Frauengefängnis gelegen hatte. Denn der Terror war nicht heimlich, sondern öffentlich und wurde mit unfassbarer Brutalität demonstriert. Bis heute ist er unvergessen.

Auch diesen schönen Platz musste man mir erst zeigen, aber seitdem besuche ich ihn so oft es geht. Vor einem Jahr dann führte mich die viel befahrene Straße, die vom »Paseo del Buen Pastor« zum »Parque Sarmiento« führt, nach wenigen hundert Metern an einem wunderbaren palastartigen Gebäude vorbei, das fremd und überraschend hinter hohen Gittern lag. So fand ich ganz zufällig das Museum, von dem auch viele Argentinier noch nie etwas gehört haben, und das mich mit der Qualität seiner Bilder ebenso beeindruckte wie mit der außerordentlichen Schönheit des Hauses. Der Kontrast zu dem dichten Verkehr und der unschönen Architektur der Umgebung könnte schroffer nicht sein, und als ich eintrat, ließ ich nicht allein die sommerliche Hitze zurück, sondern ebenso den Lärm und die Hektik. Ich tauchte in eine andere Welt ein, sehr fern dem schönen Platz und seiner schrecklichen Vergangenheit.
Das Museum ist in einem »Palacio Ferreyra« genannten, von dem französischen Architekten Ernst-Paul Sanson zwischen 1912 – 1916 entworfenen und errichteten Gebäude Zuhause. Wie der Architekt der Kirche die Gotik feierte, so orientierte sich Sanson (1836 – 1918) an der französischen Klassik des 18. und 19. Jahrhunderts – wir glauben vor einem französischen Schloss zu stehen.
Der Garten, für den der französische Landschaftsarchitekt Charles Thays verantwortlich zeichnete, hat sich leider in bloßen Rasen mit wenigen Bäumen verwandelt, von einem prachtvollen schmiedeeisernen Jugendstilgitter vom Verkehr getrennt. Dem kurzen Weg zum Haupteingang folgt der zweifellos berühmteste und meistfotografierte Teil des Palastes, der grandiose Treppenaufgang. Auch wenn bereits das Äußere des Hauses mit seiner Pforte Pracht und Schönheit verspricht, so ist wohl jeder Besucher überwältigt, wenn er die Straße und den Lärm hinter sich gelassen hat und dieser Treppe gegenübersteht.
Man tritt ein und ist von der Stille, der Kühle und der Vornehmheit dieses Ortes gefangen. Bei meinem zweiten Besuch stellte ich mir vor, zu einem festlichen Abendessen der Familie Perreyra geladen zu sein und mich großäugig und ungläubig umzuschauen. Heute begegnet der Museumsbesucher gleich in der Eingangshalle einigen der schönsten Arbeiten aus dem Besitz des Museums: allesamt großformatige und realistische Bilder aus den letzten Jahrzehnten des 19. und dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Sie zeigen keine Menschen, sondern Natur und stellen sowohl in der Thematik als auch in der Stilrichtung einen reizvollen Gegensatz zu der Pracht des Jugendstiltreppenhauses dar. »Las Cuatros Estaciones« (die vier Jahreszeiten) von José Malanca ragen heraus, sehr einfache, aber gerade in ihrer unspektakulären Schlichtheit überzeugende Landschaftsbilder, die sich der großartigen Natur dieses Teils von Argentinien verdanken. Cordoba liegt zwar nicht in der Nähe der Anden, ist aber wohl von schönen Bergen umgeben.
Schon hier wird sichtbar, dass das Museum ausschließlich Künstler vorstellt, die entweder in der Umgebung von Cordoba und Umgebung geboren sind oder dort für lange Zeit lebten und arbeiteten. Man bewundert die Qualität, die sich trotz dieser Beschränkung versammelt hat, denn provinziell scheint keines der ausgestellten Bilder. Ihrem hohen künstlerischen Niveau entspricht das Inventar des Museums, das fast ausschließlich original ist. Alles wirkt deshalb vornehm, ja edel; das Gebäude ist steingewordene Noblesse, und es gewinnt seinen Reiz nicht zuletzt durch den Gegensatz zu seiner städtischen Umgebung.

Im ersten Stock begegnen wir zunächst Porträtbüsten und Genreszenen, aber auch wiederum Lobgesängen auf die gewaltige Natur, zum Beispiel in den »Montañas Magicas« (1944) von Manuel Coutaret, in denen der Maler das Andenglühen einzufangen versucht hat. Dicht daneben hängen zwei Bilder des lombardischen San Gimignano aus der Hand des Italieners Antonio Pedone, der in Cordoba gestorben ist, und gegenüber findet sich das sehr große und stimmungsvolle Bild eines nächtlichen Pariser Platzes. Besonders interessant ist »Cordoba en el año 1925« des Italieners Honorio Mossi, das ein ganz anderes Cordoba zeigt als das heutige – es ist eine weiß leuchtende, von einem Fluss begrenzte Stadt, deren Schönheit man nur nachtrauern kann. Was ist geschehen, dass eine Stadt derart verkommen konnte? Ein Grund ist zweifellos der Siegeszug des Autos, ein anderer das Fehlen einer Bauordnung und einer durchdachten Planung der Stadt. Jeder darf bauen, wie er gerade lustig ist, und so grenzen Garagenhöfe an Hochhäuser, vornehme Villen an Werkstätten oder Brachland, Bankpaläste an Kioske. Die schmutzige Buntheit des Stadtbildes ist grotesk und steht in schroffem Gegensatz zu der Schönheit ihrer Anlage.
In diesem Museum kann man wirklich Entdeckungen machen; eine ist neben José Malanca der hierzulande ziemlich unbekannte, in Argentinien aber und besonders in Cordoba berühmte Fernando Fader (1882 – 1935) mit seinem vielseitigen Werk aus oft großformatigen und manchmal figurenreichen Bildern. Fader war ein Wanderer zwischen Europa und Argentinien mit französischen Wurzeln, der zeitweise in München lebte und arbeitete.
Nach dem Durchgang durch den ersten Stock geht es über eine schwarze Holztreppe nach oben; der Handlauf ist mit schwarzem Büffelfell überzogen, und die düstere Atmosphäre dieser Treppe bereitet den Besucher auf die folgenden Säle vor. Im zweiten, wesentlich niedrigeren und dunkleren Stock findet sich neben modernen Arbeiten die Serie »Manos Anónimas« von Carlos Alonso, deren Titel auf die Hände der Schlächter anspielt, die sich in der Zeit der Diktatur an Frauen vergingen. Es sind manchmal Bleistiftzeichnungen, manchmal auch Arbeiten in Mischtechnik, die sich ganz und gar auf die Gewalt und das Leid konzentrieren; deshalb fehlen besonders in den ältesten Stücken die Gesichter der Verbrecher, und so erklärt sich auch der Titel dieser Arbeiten. Fast immer sind Frauen die Opfer, nach denen die Hände greifen, nur manchmal werden die von ihren Müttern verlassenen Kinder gezeigt. Dieser Saal demonstriert höchst eindrucksvoll, dass die bis heute ungesühnten Verbrechen der Diktatur keineswegs vergessen sind.

Es war ein wenig wie auf dem Platz: einen Augenblick lang überlief es mich. Der Schrecken dieser Jahre ist noch nicht vergangen, sondern vielen Argentiniern noch außerordentlich nahe – das lernte ich bei diesem Rundgang.
Der Name des Museumsdirektors begegnete mir zuerst in dem der Grafik gewidmeten Raum des obersten Stockwerks: auch er also ein Künstler. Im Vorwege hatte sich die Kommunikation mit dem Museum als schwierig herausgestellt, denn auf keine E-Mail wurde mir geantwortet, ein Vorgang, der sich im Nachhinein wiederholte. Auch wollte das Museum leider keine Bilddateien zur Verfügung stellen.
Zunächst versöhnte mich die ebenso charmante wie sachkundige Führung durch Cecilia Prado, und dieser Rundgang durch das Haus war so angenehm, dass ich überhaupt nicht begeistert war, als sie mir vorschlug, auch noch den Direktor zu begrüßen. Aber ich bin froh, auf diesen Vorschlag eingegangen zu sein. Zunächste machte der Besuch in seinem Zimmer auch das Schweigen verständlich. Während sonst zunächst für die Repräsentation der Leitung gesorgt wird, um sich irgendwann später für die Organisation der Ausstellung zu interessieren, geschah hier das Umgekehrte: bereits vor drei Jahren wurde das Museum eröffnet, aber César Tomás Miranda sitzt immer noch in einem Provisorium. Man glaubt einem derart bescheidenen Mann aufs Wort, wenn er sagt »Los cuadros son mis amigos« (die Bilder sind meine Freunde).
Internetanschluss besitzt und vermisst Señor Miranda wohl auch nicht, denn der elegante, aufrechte und ungemein freundliche Herr gehört nicht der Computergeneration an. Mit 84 Jahren übernahm der frühere Professor der Universität Cordoba vor drei Jahren seine anspruchsvolle Aufgabe, und bis heute ist er künstlerisch tätig und berichtet von dem, was er gerade malt. Seine Aufgabe als Direktor dieses schönen Museums hat er jedenfalls trotz oder vielleicht auch wegen seines Alters glänzend gelöst; wer Cordoba besucht, kommt an diesem Museum nicht vorbei. Es ist wunderbar.

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