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»Nur Papier, und doch die ganze Welt«. 200 Jahre Graphische Sammlung, hrsg. von der Staatsgalerie Stuttgart, Hatje Cantz 2010

Der Katalog zur Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart präsentiert in einer Auswahl die gesamte Bandbreite der Kunst auf und mit Papier. Günter Baumann hat sich in einer Nachlese zur Ausstellung nun diesem Werk gewidmet.

Nur Papier und doch die ganze Welt © Cover Hatje Cantz
Nur Papier und doch die ganze Welt © Cover Hatje Cantz

Seit Jahren agiert die Stuttgarter Staatsgalerie auf Sparflamme, schöpft vorwiegend aus den eigenen Beständen, was nicht gerade das überregionale Interesse weckt. Die in finanzieller Misere aufgezwungene Zeit der Besinnung hat zu manch hübschen und manch spannenden Ausstellungen geführt, auch wenn sich das Haus insgesamt kaum Kredit für große Visionen leisten kann. Und doch gelangen der Staatsgalerie allein in der Grafischen Sammlung im Jahr 2010 einige kleine, aber stimmige Kabinettpräsentationen wie zuletzt »Le Diable à Paris« und sogar eine Großausstellung, die einen langen Schatten in die Zukunft warf: eine Auswahl aus der Sammlung selbst anlässlich ihres 200-jährigen Bestehens, kühn übertitelt mit »Nur Papier, und doch die ganze Welt«.

Die Schau fand viel Lob in der Presse, was etwas heißen will: Grafische Sammlungen stehen in der Regel im Schatten des Museumsbestandes und ihre Ausstellungen sind eher in Seitenflügeln angesiedelt als im Haupttrakt. Hier in der Staatsgalerie war alles anders. Die Ausstellungsmacher mogelten sich etwas das Jubiläum herbei, weil 1810 mit Eberhard Wächter der erste Konservator angestellt wurde, der freilich auf eine bestehende Sammlung traf. Ganz außergewöhnlich splendid ist der Katalog ausgefallen, der einen Querschnitt aus dem Fundus von 400.000 Arbeiten von 12.000 Künstlern präsentiert. Da es sich nicht um einen Bestandskatalog handelt, der in erster Linie Unmengen kleiner Bilder mit trockenen Informationen umwälzt, sondern um einen Ausstellungskatalog, wo es eben um repräsentative Stücke geht, leistet sich das Buch kapitelweise Zierseiten und eine beeindruckende Typografie. Gestaltet hat dieses Buch das Berliner Bureau Mario Lombardo, und wenn wir schon auf das Jahr 2010 zurückblicken können, darf man mit gutem Recht behaupten, dass der Ausstellungskatalog zu den schönsten Publikationen zur Kunst gehört.

Inhaltlich zieht die Staatsgalerie alle Register. Mit der Leichtigkeit absoluter Souveränität, die federführend von Corinna Höper sowie von Alice Koegel, Hans-Martin Kaulbach u.a. gehalten wird, schreitet der Katalog vom gotischen Mittelalter bis in die Gegenwart vor, und exemplarisch tritt die Sammlung auf mit Aquarellen, Buchillustrationen, Collagen, Exlibris, Fotos, Grafiken, Mappenwerke, Plakate, Zeichnungen. Leider ging die Binnenschau innerhalb der Ausstellung mit Erwerbungskandidaten für den Ausbau der Sammlung – etwa mit einer grandiosen Arbeit von Silke Schatz – im Katalog verloren, der ja auch die bestehenden Schätze beleuchten will. Die Bandbreite reicht von der Schutzmantelmadonna um 1450/60 bis zu »Pasolini’s Eye« von Patti Smith, von Adolf Menzel mit einer hinreißenden Handstudie bis zu einer Architekturfantasie von Hermann Finsterlin, von Rembrandt über Francisco de Goya und Georges Seurat bis Picasso, Klee und Beckmann und weiter bis hin zu Nicolas de Stael, Maria Lassnig (köstlich: »Selbstporträt als Schwammerl«), Peter Roehr und Andreas Gursky. Wenn man sich dem Katalog nach und nach nähert, entdeckt man Arbeiten, die das Zeug zum anrührenden Erlebnis haben, so Henry Moores »Eurykleia trägt Telemachos, während Penelope den Umriss von Odysseus in die Wand ritzt« oder HAP Grieshabers »Hommage à Lehmbruck«. Abschließend führt der Band die diversen Teilsammlungen auf, ohne die die Grafische Sammlung nicht die wäre, die sie ist, sowie ein Verzeichnis der Ausstellungen seit 1866.

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