Ausstellungsbesprechungen

"Atmosphärische Störungen" - Malerei und Zeichnung von Gabriele Langendorf in der Städtischen Galerie Neunkirchen, bis 23. Januar 2011

Die Städtische Galerie Neunkirchen präsentiert unter dem Titel „Atmosphärische Störungen“ das vielschichtige Werk der im badischen Rheinfelden geborenen Gabriele Langendorf. Es ist ihre bislang umfassendste Einzelausstellung im Saarland, in welcher die Künstlerin uns erstmals einen repräsentativen Überblick über ihr künstlerisches Schaffen in Form von Zeichnungen und Malerei der Jahre 2003 bis 2010 gibt. Unsere Autorin Verena Paul hat sich diese magisch verrätselte Ausstellung angesehen.

Bereits im ersten Ausstellungsraum im Parterre der Galerie wird der Besucher von der großformatigen Arbeit »Petroltanker 1« gefangen genommen. Es ist die in grün-gelbe Farbschlieren getauchte Verlorenheit eines entfernten Schiffes, dessen unheilschwangere Schönheit dem Betrachter Rätsel aufträgt. Durch die weiche Silhouette des Objektes und vor allem die irreale Lichtwirkung lässt uns jenes Werk an die Malerei der Romantik – wie etwa die von William Turner – denken. Und in der Tat verbindet Gabriele Langendorf mit der Romantik »das Interesse für Licht und seine Erscheinung als Farbe, außerdem geht es nicht«, wie sie selbst erklärt, »um exakte Naturbeobachtung, sondern um individuelles Naturerleben«. Als eine Art Pendant wurde die Arbeit »MS Europa 2« an der gegenüberliegenden Wand positioniert. Jenes Schiff durchschneidet beinahe unwirklich das Wasser, da keine Wellenbewegungen produziert werden, die selbst bei Stillstand entstehen müssten. Sowohl das auf dem Wasser treibende Gefährt als auch sein scharf konturiertes Spiegelbild in Gelbtönen bilden einen wirkungsmächtigen Antipoden zu den vertikal verlaufenden, rostfarbenen Spuren des Öls, das sich seinen ganz eigenen Weg über die Leinwand gebahnt hat. Mit der Serie der kleinformatigen »Dunststücke«, die ebenfalls in diesem Raum ihren Platz gefunden hat, trifft der Besucher auf Figuren, die hinter dicken Kreideschichten verborgen sind und sich unseren neugierigen Blicken entziehen. Allerdings fokussieren sie mit Ferngläsern den Betrachter und vertauschen somit die voyeuristischen Rollen.

Über eine Treppe gelangen wir, vorbei an den beiden kleinformatigen Arbeiten aus der Serie »Personenstücke« ins erste Obergeschoss, wo uns die Serie der »Pausen« erwartet, deren Titel bereits die Doppeldeutigkeit erahnen lässt. Sowohl der temporäre Aspekt des »Pausierens« als auch die Aneignung einer Bildvorlage schwingt in diesem Wort mit. Beide Bedeutungen spielen für Gabriele Langendorf eine wichtige Rolle während des Entstehungsprozesses. Allerdings paust die Künstlerin nicht einfach mit dem Bleistift die in Reisekatalogen gefundenen Motive durch, sondern sie muss neue Formulierungen finden, indem Vorgefundenes montiert und Ausschnitte gewählt werden, die die Situation nicht selten zum Kippen bringen. Paradigmatisch geschieht das in den Darstellungen von Booten: »Ich habe ja viel aus Szenen hervorgehoben, in denen Touristen in Schlauchbooten zu sehen sind. Das weckt in mir ein ambivalentes Empfinden hervor, weil dieses Motiv mehrdeutig besetzt ist. Es könnten eben Reisende als auch Bootsflüchtlinge sein, die orientierungslos auf dem Wasser treiben«. Dergestalt entwickelt Langendorf etwas Autonomes in ihren »Pausen«, indem sie, wie Nicole Nix-Hauck in ihrem Katalogbeitrag betont, gerade durch die Wahl des kleinen Formats eine »ironische Brechung« vornimmt. »[I]ch kristallisiere etwas aus einem unscheinbaren Katalog heraus, den sich wahrscheinlich keiner genau ansieht. Ich gebe einem Bildmotiv indem ich es hervorhebe, eine Bedeutung«, erklärt die Künstlerin. Filigran sucht ihr Bleistift in diesen Miniaturformen nach Menschen, die sich etwa mit ihren langen Schattenwürfen in die Tiefe des weißen Grundes vorwagen oder sich in einem quadratischen, runden, ovalen oder zu den Seitenrändern hin auflösenden Naturspektakel einfinden.

Im nächsten Raum präsentieren die Ausstellungsmacher die zwischen figuraler Fragilität und kraftvoller Farbsprache pendelnde Serie der »Atmosphärischen Pausen«, in der absichtsvolle Brüche herbeigeführt werden. Den Auftakt für die Entwicklung eines skurrilen Handlungsstranges im Bild fand die Künstlerin in der Zufälligkeit von freien Pinselstrichen, Klecksen oder Farbfluten. So treffen wir beispielsweise auf dieses explosive, grüne Liebesspiel eines klein gestalteten Paares, dessen Leidenschaft mehr durch die es umgebenden wilden Farbschwünge als durch seine Körperhaltung transportiert wird. Oder der Feuerwehrmann, der in seiner Schutzkleidung bäuchlings durch das rot-gelb-graue Farbloch robbt. Insgesamt begegnet uns Schutzkleidung in den Arbeiten Gabriele Langendorfs sehr häufig, was nicht zuletzt aus ihren Beobachtungen im Alltag resultiert, denn hier trifft sie oft auf Menschen in dieser Montur. »Vielleicht«, sinniert sie, »ist das eine latente, kollektive Angst, die sich so ausdrückt. Es bereitet mir auf jeden Fall großes Vergnügen diese Kleidung, deren Stofflichkeit und Falten zu malen.« Neben der inhaltlichen Wirkungsabsicht ist der Künstlerin gleichermaßen an der formalen Ausgestaltung gelegen, die es ihr überhaupt erst erlaubt, das fragwürdig gewordene Landschaftsidyll implizit zu dekuvrieren und unterschwellig zu kommentieren. »[D]as macht meine Bilder aus, dass sie auf den ersten Blick harmlos daherkommen, in ihnen aber etwas anderes subtil mitschwingt. Das kann durchaus subversiven Charakter haben. Vielleicht«, so die Überlegung Langendorfs, »drückt sich auf diese Art mein allgemeines Unbehagen aus, vielleicht eigene Ängste: Da ist was nicht von Dauer… ist zerbrechlich.«

Über eine weitere Treppe gelangen wir schließlich zur letzten Ausstellungsebene im zweiten Obergeschoss. Auch auf den hier wirkungsvoll positionierten, großformatigen Leinwänden herrscht jene beunruhigende Ruhe, die jeden Augenblick umschlagen könnte. In »Straße 1« etwa steht ein roter, möglicherweise liegen gebliebener Sportwagen auf einer menschenleeren Landstraße. Während die Sonne am Horizont mit ihren roten Strahlen – scheinbar dem romantischen Naturidyll verpflichtet – untergeht, strecken schwarz verschattete Bäume am Straßenrand bedrohlich ihre Äste empor, als wollten sie den Spannungsmoment der Szene bis zum Zerreißen ausdehnen. Während dem Besucher in der zuvor gesehenen Serie der »Atmosphärischen Störungen« menschliche Gestalten begegneten, sind sie in diesen Werken zumeist ausgespart, wobei einzelne verrätselte Elemente in den Landschaften – Brückenteile, Boote oder Zelte – menschliches Wirken erkennen lassen. Gerade diese Spuren der Zivilisation erscheinen, wie Nicole Nix-Hauck pointiert formuliert, »als Störfaktoren, die die ursprünglich angelegte romantische Stimmung konterkarieren.«

Fazit: Die in der Städtischen Galerie Neunkirchen gezeigten Arbeiten Gabriele Langendorfs sind verstörend und tröstlich, lehrreich und leichtfüßig, weltenhaltig und magisch verrätselt zugleich. Sie tragen inhaltliche und formale Spannungen intensiv aus und überzeugen den Besucher nicht zuletzt durch die subtile Übersetzung von gegenwärtigen politischen Schieflagen und Defiziten in das Medium scheinbar idyllischer Landschaftsmalerei. Warum diese Wirkung? Sicher kann das auch auf die wunderbare Werkpräsentation in den lichtdurchfluteten Räumen zurückgeführt werden, die den Arbeiten die Möglichkeit freier Entfaltung bieten. Den Ausstellungsmachern ist mit »Atmosphärische Störungen« auf jeden Fall eine einfühlsame, klar strukturierte und nachdenklich stimmende Präsentation gelungen, die ich als sehr bereichernd empfunden habe!

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