Ausstellungsbesprechungen

"Drift" Arbeiten von Herbert Hofer und Peter Köcher

Bis 17. Oktober 2009 zeigt der temporäre schauraum in Bexbach die Ausstellung „Drift“ mit Arbeiten von Herbert Hofer und Peter Köcher. Dieses Ausstellungsprojekt lebt von Gemeinsamkeit und Abweichung, von Harmonie und Spannung, wobei sich unsere Gedanken frei entfalten können – auch oder gerade auf die Gefahr hin, in andere Welten „abzudriften“.

Mit der sogenannten „Atelierfalte“, die uns offen im Eingangsbereich begegnet, nähert sich Herbert Hofer Raumstrukturen im doppelten Sinne an: Zum einen stellt er einen Raum in Form einer Photographie des Atelierinnern dar, die dann beidseitig auf eine Aluminiumplatte gezogen wird, zum anderen gestaltet er Raum mit dem Aluminium selbst, das gefaltet, gebogen, geknickt, zerknüllt und zerknittert auf dem Boden Halt findet. Hofer entwickelt also nicht nur eine den Raum faltende Arbeit, sondern er faltet Raum im besten Sinne des Wortes und treibt damit die Flüchtigkeit des Augenblicks, die Fragilität und den Anschein des Provisorischen auf die Spitze. Raum, Zeit und Form werden somit zum Spielball von Wirklichkeit und imaginärer Erscheinung, von Gegenständlichkeit und Abstraktion. Ihre skulpturale Qualität erlangt die „Atelierfalte“ darüber hinaus durch die glatte, zumeist weiße Oberfläche, über die unsere Augen freudig hinweghuschen und auf Entdeckungsreise gehen können, um dann auf Ausstülpungen oder Kanten und Ränder zu stoßen. Hinter diesen dynamischen Formationen verbergen sich Abgründe und Höhlungen, die das Licht geheimnisvoll reflektieren oder verschlingen. „Es gibt“, so die englische Bildhauerin Barbara Hepworth, „eine Innenseite und eine Außenseite von jeder Form. Stehen diese in einem speziellen Übereinklang, [...], dann wird mir der Einfluß des Lichts ganz besonders bewusst. Jeder Schatten, den die Sonne wirft, enthüllt durch den stets sich wandelnden Einfallswinkel die Harmonie von Innenseite und Außenseite.“ Wir müssen dem Formen-, Licht- und Zeitfluss in der „Atelierfalte“ nachspüren und uns auf den sie umgebenden Raum einlassen, um zu verstehen, dass alle vier – Form, Licht, Zeit und Raum – eine unverbrüchliche, ausbalancierte und Widersprüche verbindende Einheit bilden.

Auch in der Malerei artikuliert sich Hofers Bestreben nach Polyperspektive, d.h. der Mehransichtigkeit eines Werkes. In diesem Sinne avancieren die Arbeiten aus Aluminium und Leinwand zu dreidimensionalen Bildkörpern, die durch ihre komplexe Falttechnik eine subtile Raumerfahrung ermöglichen. Die Leinwand, die auf das Aluminium aufgezogen ist, spannt sich wie eine Epidermis um das Bildobjekt, bietet ihm Schutz, verschweigt aber zugleich nicht die Narben, die in Form von Kanten und Bildrändern in das Werk „eingefaltet“ wurden. Die Farben, die Hofer verwendet und die er selber anmischt, entziehen sich zudem einer eindeutigen Benennung, sind ungewohnt, undurchschaubar, unbestimmbar. Gemeinsam mit der Form scheinen die Farben sich im Unwirklichen zu verlieren, indem sie das uns Vertraute auf den Kopf stellen, Ordnungsmuster durchbrechen und im Grunde doch nur unsere Sprachlosigkeit belächeln.

Mit der Photoarbeit „asphalt“, die sich im selben Raum befindet, spielt Hofer mit der Begrenzung von Raum. Vor unseren Augen öffnet sich eine bizarre Landschaft aus schwarz-grauen Asphaltschollen, die – als Relikte urbaner Errungenschaften kalt und in ihrer Bewegung erstarrt – aufgeschichtet sind. Gleich den beiden benachbarten Photographien wird eine räumliche Destruktion festgehalten, doch machen Motivausschnitt und künstlerische Machart diese Arbeiten zu ästhetischen Highlights.

Bei der analogen Photographie „innen“ ist Stoff um einen Körper drapiert, der erst auf den zweiten Blick als Körper erkennbar ist. Ein grau-blauer, faltig gespannter Arbeitsanzug erscheint in der Aufsicht flächenhaft. Nur die am oberen Rand ins Bild ragende Nase und der Mund des Künstlers sowie das Handgelenk an der linken unteren Ecke verraten uns die Verwandlung von der Flächenhaftigkeit in den im Raum wirkenden Körper.

Die Videoarbeit „fallen“ zeigt den Künstler in sechs Szenefolgen, wie er in einem weißen Raum ständig zu Boden fällt und das Geräusch des Aufschlagens bedrohlich nachhallt. Dabei sollen die natürlichen, selbstschützenden Körpermechanismen ausgeschaltet werden, um die Verwirrung, Verlorenheit, Invalidität sowie die körperliche Deformation im Raum zu demonstrieren. Günther Holler-Schuster verortet diese Arbeit als gesellschaftskritischen Beitrag, wenn er schreibt: „Man könnte meinen, die gesellschaftlichen Umstände verhindern etwas, was sie gleichzeitig fordern.“ Ein Paradoxon in dieser Arbeit, das sich nicht auflösen lässt und gerade von jener Undurchdringlichkeit lebt.

Peter Köchers in die Dreidimensionalität übergehende Malerei im benachbarten Raum zeugt von einem leidenschaftlichen, explosiven Schaffensprozess. Die drei großformatigen, mit Gipsmullbinden ummantelten Styroporteile zeichnen das Entstehen nach. Zunächst verlaufen die Risse in der linken und mittleren Arbeit horizontal und graben sich filigran in den weißen Grund. Doch bereits hier können wir die hinter den Mullbinden im Verborgenen liegende Welt erspähen, die zerklüftet und zerrissen, Zeugnis von Destruktion, aber auch Konstruktion ist. Zerstört wird das Material und erschaffen wird ein neuer Raum, ein Hohlkörper, der spannungsgeladen auf seine Umgebung wirkt. Die Arbeit „Würdenträger“ – ganz links – treibt die Sprengsätzigkeit ihrem Höhepunkt entgegen: Eine Art Rahmen, dem das Künstler-Ich eingeschrieben ist, umfasst eine schwarz-weiß-rote Kraterlandschaft mit angedeutetem T-förmigen Antoniuskreuz. Dieses Kreuz kann als Sinnbild für den Mittelpunkt der Welt gedeutet werden, verweist jedoch mit dem Personalpronomen „Ich“ im Rahmen auf den Künstler selbst, der in diese Arbeit – vielleicht als „Würdenträger“ – eingewoben ist. Die aus dem Bild wie eine Schärpe heraushängenden Materialreste eröffnen den Dialog zu den drei am Boden aufgeschichteten Styroporarbeiten, die als Ruhekissen nach der Arbeit fungieren können und von zwei stark in Anspruch genommenen Arbeitshandschuhen an der Wand gekrönt werden.

An der gegenüberliegenden Wand dann Köchers „Nadelstreifen“. Hier geben vertikale Risse im schwarzen Grund den Blick auf weißes Styropor frei und es tanzen weiße „Ichs“ und rote „Nadelstreifen“ über den edlen Zwirn, der in seinem Formenfluss stark dynamisiert ist. Diese Bewegungsfreude wirkt auch in den kleinteiligen, von Damenstrümpfen umspannten Gebilden am Boden nach, die den Raum auf eigene Weise erobern.

Einen Raum weiter begegnet uns Herbert Hofers „Variable Arbeit“. Hände sind – nach Kopf und der Mimik des Gesichts – der ausdrucksstärkste Teil der menschlichen Gestalt: sie können arbeiten, streicheln, schlagen oder gestikulieren, sind also sowohl Werkzeug als auch Ausdrucksträger. Die Hände des Künstlers, in Form zweier sich widersprechender Ordnungssysteme in schwarz-weiß photographiert und auf einheitlich große Rechtecksäulen gezogen, verkörpern den Kunstschaffenden und verweisen – wie die anderen Hoferschen Werke auch – auf den Raum als einen Ort, wo die Wahrnehmung des Künstlers zirkuliert. Aufgehäuft greifen diese Objekte, die selbst räumlich begrenzt sind, in ihre Umgebung ein und verdeutlichen das künstlerische Bestreben: Raum in die Hände zu nehmen und zu gestalten.

Abschießend treffen wir – neben einer Vielzahl von farbkräftigen kleineren Arbeiten – auf eine großformatige, mit schwarzen Nylonstrümpfen bespannte Arbeit von Peter Köcher. Dieses Wandobjekt macht aufmerksam, verwirrt und provoziert, denn die fetischistischen Elemente haben Erklärungsbedarf. Mit den Damenstrümpfen, die bis an die Grenze des Zerreißens gespannt sind, artikuliert sich Kritik – Kritik an der Vermarktung des nackten Frauenkörpers in der Werbung. Wie oft sehen wir wohl bei Anpreisungen von Pflegeprodukten und Kosmetika im Fernsehen und auf großen öffentlichen Werbeflächen leicht bekleidete, nicht selten zu Fetischobjekten degradierte Frauen, ohne dass wir dies wahrnehmen (wollen) – im Grunde täglich. Köcher versucht den Betrachter daher für derartige gesellschaftliche Schieflagen zu sensibilisieren, indem er die Zerreißprobe im doppelten Sinne vorführt.

Beide Künstler sind sich bewusst, dass sie im Spannungsfeld von Idee und fertigem Kunstwerk eine Projektion ihrer selbst im Raum gestalten. Und doch geben sie uns keine klaren Antworten, sondern entwerfen ein Geflecht aus vielschichtigen Andeutungen, die gesehen und bedacht werden wollen. Bindet Peter Köcher sein Lettern-Ich als Stigma geheimnisvoll in seine Arbeiten ein, ist Herbert Hofer selbst Bestandteil von Videos oder Photographien – als agierender, bisweilen auch entfremdeter Körper, der Raumerfahrungen neu auszuloten sucht. „Wir Künstler“, so hat Tony Cragg einmal gesagt, „sind Entdecker, indem wir uns in das Material verlängern.“ Durch Einfühlung in das Arbeitsmaterial und Aufgehen im Schaffen können deshalb auch bei Hofer und Köcher Werke entstehen, die authentisch, abgründig, leidenschaftlich, bisweilen ironisch und auf eine nüchterne Weise poetisch sind.

„Mein Leben in Reinschrift? / Wen geht das schon was an./ Ich frage, wollen wir hier nun ein Papier erarbeiten oder / lieber nachsehen, wo noch ’n klein bißchen Leuchtstoff rumhängt?“ Das unter der Oberfläche pulsierende Eigenleben von Kunst, dieser sogenannte „Leuchtstoff“, von dem der Lyriker Peter Rühmkorf spricht, tritt auch in den hier gezeigten Werken hervor. Allerdings nicht bei flüchtiger – und das heißt ja nichts anderes als oberflächlicher – Betrachtung, sondern bei konzentrierter Annäherung an den über die reine Ästhetik hinausweisenden Gehalt im Objekt, Photo oder Video, auf der Leinwand oder in der Installation. Wir sind also angehalten, die zwischen illusionärer Form und realistischem Inhalt oszillierende hintergründige Ästhetik, die durch das Zusammenspiel von Farbe und Form, Form und Raum entsteht, zu erkennen und dabei – wie der Ausstellungstitel empfiehlt – unseren Gedanken freien Lauf, die Ideen in viele Richtungen „driften“ zu lassen. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass Kunstbetrachtung mit purem Vergnügen, mit der Kommunizierung von Gefühlen und mit unterschiedlichsten Formen der Bereicherung zu tun hat.

Die Ausstellung „Drift“ ist ein Juwel: bereichernd, Funken sprühend – einfach wunderschön!

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