Ausstellungsbesprechungen

A Retrospective of the Turner Prize

In einem alljährlich stattfindenden Medienspektakel wird der nach dem englischen Romantiker William Turner benannte und heute als bedeutendster Britischer Kunstpreis geltende Turner-Preis verliehen. Seit 1984 ging er an 23 bedeutende Nachwuchskünstler, die sich mit ihren Arbeiten in diversen Gebieten zeitgenössischer Kunst etabliert haben, darunter Mark Wallinger, Gilbert & George sowie Wolfgang Tillmans.

Der Turner-Preis ist dabei auch in seiner Akzeptanz gegenüber neuen Medien prominent.

 

Schon einige Wochen vor ihrer Eröffnung sorgte die Ausstellung für kuriose Aufmerksamkeit. Die japanischen Behörden erschwerten die Einfuhr von »Mother and Child, Divided«, dem Ausstellungsbeitrag des Preisträgers von 1995, Damien Hirst. Das Kunstwerk besteht aus einer in Formaldehyd eingelegten, halbierten Kuh mit Kalb und unterliegt damit dem japanischen Importverbot für britisches Rindfleisch. Die Papierschlacht sowie die nach der Einfuhr notwendig gewordenen Restaurationsarbeiten an den Wiederkäuern, für die wegen des Formaldehyds ein neues Belüftungssystem in das Mori Museum installiert werden musste, wurden allerdings bewältigt. Sie sind nun inmitten der anderen Werke zu bewundern.

 

Die Retrospektive führt in chronologischer Abfolge durch die Beiträge der Preisträger und erläutert in bündigen Texten die in Dekaden unterteilte Geschichte des Turner-Preises. Dieser wurde mit Ausnahme von 1990 jährlich vergeben und ging im ersten Jahr an Malcolm Morley. Der damals bereits bekannte Künstler ist mit seinem neoexpressionistischen Gemälde »Farewell to Crete« vertreten. Im Folgenden sind durchschnittlich ein bis drei Werke der Künstler ausgestellt und im Kontext ihrer Vorgänger und Nachfolger erlebbar. Zum ersten Mal bietet sich dabei die Gelegenheit, Arbeiten aller Preisträger auf ein und derselben Ausstellung zu sehen. Die Exponate sind auf japanisch und englisch erläutert, eine Begründung für ihre Auswahl wird jedoch bedauerlicherweise nicht gegeben. Somit bleibt es dem Besucher überlassen, die besondere Relevanz der einzelnen Künstler zu ergründen.

 

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Der Gang durch die Ausstellungsräume verdeutlicht die allmähliche Tendenz, den Preis in späteren Jahren an weniger etablierte Künstler zu verleihen und kontroverse Arbeiten, auch aus dem Bereich Performance und Neue Medien, zu würdigen. Steve Mc Queens und Gillian Wearings Videoarbeiten sind dabei genauso eindrucksvoll zu erleben wie Martin Creeds »The Lights Going On and Off«. Gerade aber bei letzterem Künstler, dessen Arbeit aus dem alternierenden Ein- und Ausschalten der Beleuchtung des Ausstellungsraums besteht, wäre es wünschenswert gewesen, weitere Beiträge zu sehen, um die Richtung seines Schaffens wenigstens erahnen zu können.

 

In der Realität besonders eindrucksvoll erweisen sich die recht bekannten Werke Damien Hirsts und Anish Kapoors, auch Wolfgang Tillmans Fotografien sind in ihrer teils enormen Größe und von ihm festgelegten Anordnung natürlich deutlich anders zu erfahren als in Reproduktionen. Rachel Whitereads 1994 zerstörtes »House Commissioned by Artangel Trust and Beck\'s« wird in Fotodokumenten und zwei Abgüssen repräsentiert. Im Weiteren bieten die humorvollen Bilder Keith Tysons Gelegenheit, seinen schwarzen Metallpfeiler »The Thinker«, eine Anlehnung an Rodins Denker, zu ergründen. Sie erläutern sein Innenleben, welches aus einem Supercomputer besteht, der sein eigenes Universum generiert. Mit den spontan entstandenen und eine eigenartige Dreidimensionalität suggerierenden Bildern Tomma Abts’ und einer Aufzeichnung Mark Wallingers in der Neuen Nationalgalerie aufgefürten, politischen Performance »Sleeper«, in der er sich als Bär verkleidet eine ganze Nacht lang durch die Glasscheiben des Gebäudes beobachten ließ, schließt die Übersicht.

 

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Am Ende der Schau bietet ein zusammenfassender Film dann doch noch Gelegenheit, die Künstler ein wenig näher kennen zu lernen. Dabei werden ausschnittweiße einige ihrer weiteren Arbeiten, Interviews sowie die einzelnen Preisverleihungen gezeigt.

 

Völlig unbeachtet bleibt leider die anhaltende Kontroverse um den Turner-Preis und seine Infragestellung seitens der Künstler, Kuratoren und Politiker. Im Laufe der Jahre wurden zahlreiche Gegenpreise ins Leben gerufen, und es kam zu spektakulären Aktionen von Gegnern des Turner-Preises. Erinnert sei an die angedrohte Verbrennung von £40.000 durch die K Foundation oder Banksys Graffitikommentar »Mind the crap« am Eingang der Tate, 2002 wurde zudem die Ausstellung zur Preisverleihung vom britischen Kulturminister Kim Howells als »conceptual bullshit« bezeichnet. Viele Kritiker sehen im Turner-Preis das gefährliche Potential, die britische Kunstwelt nach den Interessen des Sammlers und Mäzens Charles Saatchi, dessen Schützlinge ungemein stark unter den Preisträgern vertreten sind, zu formen. Sicherlich wäre es interessant, die Auseinandersetzung um den Preis und die mit ihr einhergehenden, teils ironischen Aktivitäten zu erfahren, nicht zuletzt, um überblicken zu können wie die durch den Turner-Preis geförderte Kunst sich dazu verhält.

 

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Alles in allem bietet sich dem Besucher jedoch die bisher einmalige Gelegenheit, die Werke aller preisgekrönten Künstler auf einer Ausstellung vereint zu sehen und sich ein Bild von der durch den Turner-Preis geförderten Kunst zu verschaffen. Die dabei offene Frage, inwieweit die Bedeutung der einzelnen Exponate in ihnen selbst oder in ihrer Medienwirkung liegt, bietet allemal einen guten Anlass, sich nach der Ausstellung genauer mit dem Turner-Preis zu befassen.

 

Preisträger:

 

1984 Malcolm Morley, 1985 Howard Hodgkin, 1986 Gilbert & George, 1987 Richard Deacon, 1988 Tony Cragg, 1989 Richard Long, 1991 Anish Kapoor, 1992 Grenville Davey, 1993 Rachel Whiteread, 1994 Antony Gormley, 1995 Damien Hirst, 1996 Douglas Gordon, 1998 Chris Ofili, 1997 Gillian Wearing, 1999 Steve McQueen, 2000 Wolfgang Tillmans, 2001 Martin Creed, 2002 Keith Tyson, 2003 Grayson Perry, 2004 Jeremy Deller, 2005 Simon Starling, 2006 Tomma Abts, 2007 Mark Wallinger

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