Ausstellungsbesprechungen

Abracadabra, Galerie Egbert Baqué Berlin, bis 30. August 2014

Gruppenausstellungen haben es nicht leicht im Kunst- und Galeriebetrieb, laufen sie doch immer Gefahr zu Lückenbüßern degradiert zu werden, die das Sommerloch stopfen. Oder aber, wie es Egbert Baqué Contemporary Art mit seiner diesjährigen Gruppenschau zeigt: »Abracadabra« – und ein Ausstellungskosmos eröffnet sich, feinsinnig kuratiert und zusammen gehalten durch ein stimmiges Referenzsystem. Helge Baumgarten weiß mehr.

Es offenbart sich in der Galerie ein betörendes Miteinander verschiedener Künstler und Kunstrichtungen, das ungeahnte Einblicke ermöglicht und verschiedene thematische Felder frei gibt, auf denen es sich lustvoll flanieren lässt. Sichtachsen eröffnen neue Perspektiven, und taucht man aus diesem Kosmos wieder auf, spürt man, dass die vollmundige Ankündigung nicht übertrieben war: »astonishing, intriguing, mesmerizing and thrilling«.

Neun Solokünstler und ein Künstlerpaar, in den Disziplinen Malerei, Zeichnung, Druckgrafik und Graffiti zu Hause, werden gezeigt: Egbert Baqué holt mit Leinwänden der beiden Künstler Poet73 und Mrs. Chy, aus der internationalen Szene nicht mehr wegzudenken, Street Art in die Räume der Galerie. Und entwirft mit dem Ensemble der versammelten Werke eine Welt, die wiederum weit über diese Räume hinaus nach außen zeigt. Verschiedene Fäden entspinnen sich im Zusammenspiel der Arbeiten, wobei einer dieser Fäden die Spur in ein feines Geflecht sich gegenseitig befruchtender Referenzen aus der jüngeren Kunstgeschichte legt. Erst beim zweiten Hinschauen entdeckt man auf dem Oberarm einer Figur auf der Leinwand von Giuseppe Gonella ein Tattoo: »Goyas Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer«, nachgezeichnet mit feinen Pinselstrichen.

Es lohnt sich dieser Spur zu folgen: Schräg gegenüber, auf einer von Wolfgang Neumanns großformatigen digitalen Radierungen auf PVC-Plane mit dem Titel »Gnadenstuhl«, gibt ein Weltenrichter, der aus Duchamps legendärem Pissoir aufzusteigen scheint, dem Geschehen seinen Segen. Weiter geht es mit Dada: George Grosz, versteckt hinter seiner papiernen Totenkopfmaske, mit der er einst Berlins Boulevards unsicher machte, grüßt den Betrachter auf einer der großen, comicähnlichen Tuschezeichnungen des Londoner Künstlers Neal Fox, und flankiert dabei ein sich ganz in dessen Sinne entfächerndes Panoptikum. Im Mittelpunkt ein gekreuzigter Ziggy Stardust, der wissend über den sich überlegen gerierenden Pavian mit Hakenkreuz-Podex und Hitler-Konterfei hinwegschaut.

Dem entgegengestellt, im Ausstellungsraum nebenan, ist eine ganze Wand dem Künstlerduo Abetz & Drescher gewidmet. Hier regiert Sinnlichkeit: üppige Nacktheit und Farbexplosionen in Rauschenberg- und Lichtenstein-Manier, verteilt auf drei Leinwände. Das laszive Lächeln der sich unschuldig gebenden Sylvie Vartan, gar nicht unschuldig die Pistole mit phallischem Schalldämpfer und Rosen davor, erwidert eine überlebensgroße Marylin Monroe von Ivar Kaasik, der mit seiner präzisen Technik die Ästhetik Warhol’scher Siebdrucke aufnimmt.

Wir schauen nach links durch die Türflucht in den Flur. Franz von Stucks »Tilla Durieux als Circe« bietet dem sagenhaften Gegenüber nicht die Schale mit dem verzauberten Trank, sondern reckt ihm stattdessen, alles Kommende vorwegnehmend, einen Totenschädel entgegen. Das jüngste Werk von Snapple, die es wieder schafft mit einem Augenzwinkern den Schauenden zu irritieren, ihn mit ihrem Pastell auf die Suche nach einem Fehler zu schicken.

Zu einem Schädel gehört normalerweise ein Hirn: Verlassen wir das Geflecht kunsthistorischer Referenzen und machen uns auf die Suche nach den Windungen jener grauen Zellen, die unsere verrückte Welt zu fassen suchen. Wir finden sie mehrfach: Schwarz auf schwarzem Grund auf Poet73s Graffiti-Leinwand, und im Kosmos von Abetz & Drescher thront ein Adler auf der blutigen Masse eines Gehirns. Winston Chmielinskis Männerkopf, von neon-gelber Aura umspielt, verinnerlicht mit sehnsuchtsvollem, in die Ferne gerichtetem Blick eine Welt, die in Gedanken über die im ersten Moment greifbar erscheinende hinausweist.

Die Reise endet im lichtdurchfluteten Wintergarten der Galerie-Räume, bei zwei in Chrom gerahmten Zeichnungen von Tim Plamper. Man ist der ungewohnten Leere dieser Großformate überraschend ausgeliefert: Mit den Blicken den flüchtigen Spuren folgend, die zielsicher und sparsam, doch mit raumgreifendem, oszillierendem Duktus auf den Zeichengrund gesetzt sind, bleibt man an drei kleinen Zeichnungen hängen, die wie Fenster auf der Fläche verteilt sind. Der Kopf einer antiken Statue, eine Hand die in die Ferne deutet, nicht größer als 10 x10 cm. Ganz am Rand der linken der beiden Arbeiten, die als Diptychon angelegt sind, ruht eine Hand auf der Brust und greift sich ans Herz. Und fasst damit die Emotionen zusammen, die diese Ausstellung auslöst: Sie trifft genau dorthin, ins Herz.

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