Ausstellungsbesprechungen

Abstract confusion, Kunstverein Ulm, bis 13. November 2011

Abstraktion und Mimesis - immer wieder steht die Kunst in dieser Spannung. Dieses Themas hat sich auch der Kunstverein Ulm angenommen und wartet mit einer hochkarätigen Ausstellung auf. Günter Baumann war für das PGK vor Ort.

Kaum feiert die figurative Kunst neue und fröhliche Urstände, kontert auch schon die abstrakte Konkurrenz mit ähnlichen Höhenflügen. Zum Glück herrschen heute zwischen den Lagern keine Grabenkämpfe mehr, die in den Nachkriegsjahren hässliche Züge annahmen: Eher hat dieses Hin und Her aufputschende Wirkung – freilich für beide Parteien, die ja gar nicht so weit voneinander weg liegen. Denn die gegenständlichen Maler müssen zugeben, dass selbst die naturnahen Darstellungen Farbe auf der Fläche einer Leinwand bleiben, und die Abstrakten kommen nicht umhin, ihren gegenstandslosen Motiven konkrete Vorstellungen zugrunde zu legen. Welche Vielfalt sich hier wie dort entfalten lässt, zeigen einschlägige Ausstellungen – im Falle der Abstraktion eine Schau, die in Montabaur (b–05 Kunst- und Kulturzentrum) ihren Anfang genommen hat und nach der Station im Ulmer Kunstverein noch bis ins kommende Jahr hinein touren wird.

Unter dem Label der »Neuen Abstraktion« (die »Neue Gegenständlichkeit« lässt auf der anderen Seite grüßen) greifen Maler, Bildhauer, Fotografen und Installationskünstler auf die ganze Palette der ungegenständlichen Spielarten zurück, vom Informel bis zur geometrischen Kunst. Dass bei den 20 Künstlern kaum weniger Positionen auszumachen sind, ist erstaunlich genug und zeugt von der Virulenz des Anliegens. Den Hauptpart der Malerei bestreiten André Butzer, Sean Dawson, Shannon Finley, Torben Giehler, Terry Haggerty, Martin Kobe, Frank Nitsche, Bernd Ribbeck, Tanja Rochelmeyer, Klaus-Martin Treder und Thomas Scheibitz, der auch als Bildhauer auftritt. Die sind ansonsten vertreten durch Axel Anklam, Wolfgang Flad, Karsten Konrad und Wilhelm Mundt. Es folgen die Installationskünstler Isabel Kerkermeier, Peter K. Koch und Madeleine Boschan, zuletzt die Videokünstler Gerhard Mantz und Robert Seidel.

Am spannendsten sind die Arbeiten, die der Wahrnehmung nach eine tatsächliche Liaison mit der Gegenständlichkeit eingehen. Da ist etwa das Lampenensemble von Madeleine Boschan, bestehend aus Kunststoff- und Metallteilen, Neon und Lack, das einerseits mit poetischen Titeln (»Ex oriente lux« u.a.) exotische Motive evoziert und die Anmutung aufflatternder Vögel hat. Die Illusion glasklarer Räume entwirft Martin Kobe, der in leuchtenden Rottönen Piranesis labyrinthische Kerkerwelten in eine menschenverlassene Jetztzeit übersetzt. Als seien derartig surreale Konstrukte in einem Computerprogramm noch verfremdet worden, so zeigen sich manche der treffend »Zukünftige Erinnerung« o.ä. betitelten Bilder von Gerhard Mantz. Selbst die erhabenen Geflechtplastiken Wolfgang Flads erinnern an Knochengebilde oder abgeklärte Migofs (jenen informellen Gestrüppfiguren von Bernhard Schultze), die ein Eigenleben fern einer reinen Abstraktion zu führen scheinen.

Doch auch die „wirklich“ gegenstandsfreien und unfigurativen Werke präsentieren sich in einer Frische, die keinerlei Abnutzungserscheinungen in der abstrakten Kunst erkennen lassen. Das trifft auf die COBRA-nahen Farberuptionen von André Butzer genauso zu wie auf die schwungvollen Raumphantasien eines Sean Dawson oder Torben Giehler. Faszinierend wirken die Filmstills von Robert Seidel, der mit seinen »Schnitten durch eine virtuelle Skulptur« elegant die Gattungen klassischer und neuer Medien zusammenführt. Klaus-Martin Treder lotet am deutlichsten die Grenzen zur Concept art aus – und reicht »Super Sensitive Drops«. Die Liste könnte gerade so fortgeführt werden: Der Ulmer Kunstverein vereint Spitzenwerke einer teils noch relativ jungen Generation von Künstlern, die zwischen 1950 – Mantz als Senior – und 1979 geboren ist. Angesichts der selbstbewussten und mehrheitlich sinnlich-opulenten Positionen bekommt der Titel »Abstract confusion« fast den Beiklang von Fishing for compliments – aber die sind in jeder Linie gerechtfertigt.

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