Seit mehr als 2.000 Jahren wird diese Gestalt in der Bildenden Kunst als Projektionsfläche für gesellschaftliche Probleme und als Spiegel des Frauenbildes genutzt. Die vorliegende Studie ist einer Gestalt des kollektiven Gedächtnisses des christlichen Abendlandes gewidmet, die seit dem Mittelalter das Schaffen von Künstlern inspiriert hat: Salome, deren Tanz beim Gastmahl des Herodes den Tod Johannes des Täufers bewirkt haben soll. Eine Rezension von Katja Weingartshofer.
„Ich will den Kopf des Jochanaan!“, gellt Salome in Richard Strauss‘ gleichnamiger Oper. Inspirationsquelle und Grundlage für das Libretto war Oscar Wildes Drama „Salomé“. Das 1891 uraufgeführte Stück regte nicht nur Richard Strauss zu einer Salome-Oper an, sondern auch zahlreiche Maler:innen zu neuen Bildideen. Adelheid Schumann geht diesen künstlerischen Wechselwirkungen auf den Grund und erarbeitet die Salome-Rezeption in der bildenden Kunst vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Die beachtliche Studie „Salome in der Kunst. Konstruktion eines Weiblichkeitsmythos im Wandel der Jahrhunderte“ erschien als Band 189 der Reihe Siegen – Beiträge zur Literatur-, Sprach- und Medienwissenschaft. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt den Aufbau einer umfassenden wissenschaftlichen Abhandlung zum Thema Salome in der bildenden Kunst. Nach jedem (Unter-)Kapitel erschließt sich, wie Salome in der jeweiligen Epoche dargestellt wurde und warum. Schumann legt in jeglicher Hinsicht bildhaft dar, wie der ikonografische Wandel der Salome-Darstellungen im Laufe der Jahrhunderte gesellschaftlichen Wandel, kulturelle und soziale Aspekte, politische Konstellationen, historische Entwicklungen und ökonomische Faktoren spiegelt.
Ausgehend von der Definition der Salome als Erinnerungsfigur des kulturellen Gedächtnisses nach Aleida und Jan Assmann führt die Autorin von der sakralen Kunst des Mittelalters über die Malerei der Renaissance- und Barockzeit, der Femme Fatale-Darstellungen der Kunst des 19. Jahrhunderts bis zur Salome-Rezeption des 20. und 21. Jahrhunderts. Grotesk verbogen wird die tanzende Salome in der sakralen Kunst des Mittelalters dargestellt, um der Kirche im frühen Christentum als abschreckendes Beispiel für die Umsetzung des Tanzverbotes zu dienen. Die drei Kernszenen der Salome-Erzählung (Tanz beim Gastmahl des Herodes, Enthauptung des Täufers und Übergabe des Hauptes an Salome, Präsentation des Hauptes) wird in allen Medien der mittelalterlichen Kunst, von Handschriften über Kirchenplastik bis zur Glasmalerei dargestellt. Mit dem Beginn der Renaissance in Italien ging der Einfluss der Kirche zurück, an ihre Seite traten aufstrebende Fürstenhäuser und städtische Eliten als Auftraggeber sakraler Kunst. Der gesellschaftliche Umbruch ging mit einer Veränderung des Menschenbildes einher, was sich auch auf die Darstellung der Salome auswirkte. Das negative Frauenbild wurde zu dem einer anmutigen Schönheit nach antikem Vorbild. Im Zuge der Gegenreformation im 17. Jahrhundert erfuhren Salome-Darstellungen einen Höhepunkt in der Kunst des Barock, ehe das Interesse an dem Thema im 18. Jahrhundert mit der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft abnimmt.
Mitte des 19. Jahrhunderts löste Heinrich Heine mit seinem Versepos Atta Troll eine Salome-Renaissance aus: Salome wurde als Femme Fatale dargestellt und dem bürgerlichen Frauenbild entgegengesetzt. Die Kunstströmungen des Jugendstils, Symbolismus und Orientalismus nehmen sich insbesondere dem Salome-Motiv an und stehen unter dem Eindruck von Oscar Wildes Drama. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird Salome letztendlich in ein positives Frauenbild umgedeutet und vor allem als Angstbild des Mannes vor der starken Frau dargestellt. Während sich im Westen die abstrakte Kunst durchsetzte und somit bis auf wenige Ausnahmen keine Salome-Bilder zuließ, kam der Malerei in Ostdeutschland eine bedeutende Rolle zu: mit einem figurativen und neorealistischen Malstil machten sich Künstler:innen an die Neudeutung der Salome-Darstellung.
Adelheid Schumann geht nach ihren Ausführungen zu den Darstellungsformen der Salome in den verschiedenen kunsthistorischen Epochen in jedem Kapitel auch auf ausgewählte Beispiele ein. Hier besticht die Autorin nicht nur mit präzisen Werkbeschreibungen, sondern macht es wiederum möglich, in die jeweilige Zeit einzutauchen, in dem sie erst Künstler und Werk, dann den kulturellen und kunsthistorischen Kontext vorstellt und abschließend die Darstellung der Salome beschreibt.
Tief verankert im kollektiven Gedächtnis wurde Salome im Laufe von mehr als 2000 Jahren zum kulturellen Speichermedium. Es lohnt sich, anhand dieses Bandes in die verschiedenen Darstellungsformen einzutauchen und das ikonografische Auge zu sensibilisieren.
Herausgeber: Universitätsverlag Winter GmbH Heidelberg; 1. Edition
Gebundene Ausgabe: 226 Seiten
ISBN-10: 3825395448
ISBN-13: 978-3825395445