Ausstellungsbesprechungen

Adolphe Braun. Ein europäisches Photographie-Unternehmen und die Bildkünste im 19. Jahrhundert, Münchner Stadtmuseum, bis 21. Januar 2018

Ein Stück Fotografiegeschichte ist derzeit im Münchener Stadtmuseum zu sehen: Der ehemalige Textildesigner Adolphe Braun war ein Pionier der Alpenfotografie, avancierte zum Hausfotografen des Louvre und war mit seinem Unternehmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den höchsten Kreisen präsent. Walter Kayser hat sich die Schau angesehen.

Wir erinnern uns: Vor knapp einem Jahr sah US-Präsident Donald Trump, der anscheinend täglich seinem übergroßen Ego Futter geben muss, zu seiner Inaugurationsfeier Gespenster: »Fake news«, die ihm wahrmachen wollten, der Platz vor dem Kapitol mit der National Mall sei während seiner Vereidigung nicht mit Menschenmassen »in Rekordzahlen« gefüllt gewesen (so die subjektive Realität, die Trump schon im Vorfeld als Wunschfantasie, versteht sich, getwittert hatte). Auf die »fake news« folgten prompt die »alternative facts«, und zwar in Form von Fotografien. Diese wurden an den Wänden des Weißen Hauses aufgehängt und wollten jedem Besucher das Gegenteil weismachen: Sie zeigten einen bis zum Rand dicht gefüllten Platz.

So etwas war vor noch nicht allzu langer Zeit undenkbar. Fotografie war tatsächlich ein Synonym für Beglaubigung. Sie hatte dokumentarischen Beweischarakter. Sie fing ein, was man mit eigenen Augen sehen konnte; und was man mit eigenen Augen sehen konnte, das war die reine Wahrheit. Wenn Donald Trump deshalb in der Münchner Ausstellung die Fotografien betrachten würde, die Adolphe Braun vor 150 Jahren innerhalb seiner »Vues de Suisse« von Gletschern gemacht hat, von dem Gorner unterhalb des Matterhorns, dem Gletscher am Monte Rosa und vor allem von der langen Zunge des Aletsch und wenn dann noch Trump in Augenschein nehmen würde, was heute davon geblieben ist, - er würde, wer weiß, vielleicht sogar vom menschengemachten Klimawandel zu überzeugen sein. Denn derzeit schmilzt der gigantische Eispanzer des Aletschgletschers, der auf dem Einband des sorgsam edierten Katalogs zu sehen ist, jedes Jahr um 50 Meter in der Länge und zwölf Meter in der Höhe ab — deutlich sichtbar, objektivierbar, verifizierbar. Anders als die Bisson frères in der Rue Saint Germain in Paris inszeniert hier die Hochgebirgsfotografie aber nicht den schrecklich-schönen Schauer des »Erhabenen« in der Tradition eines Caspar Wolf; sie dokumentiert eine Welt, die bis dahin als unbetretbar galt und macht sie zu einem für Massen zugänglichen visuellen Gegenstand einer Illustrierten.

In dem Konkurrenzverhältnis, das bis weit ins 20. Jahrhundert zwischen der Malerei und der Fotografie herrschte, hatte das »Lichtbild« wenigstens in dieser Hinsicht die Nase vorn: Es verbürgte Wirklichkeit. Roland Barthes sagte einmal, ein altes Foto habe »nichts Proustisches« an sich, im Gegenteil: Es sage »nichts über das, was nicht mehr ist, sondern nur und mit Sicherheit etwas über das, was gewesen ist. Diese feine Unterscheidung ist ausschlaggebend […] Das Wesen der Photographie besteht in der Bestätigung dessen, was sie wiedergibt.«

Wie sehr man deshalb allerdings auch dazu neigte, dem »Bild aus der Maschine« seinen Kunstcharakter abzusprechen, wird kurz und bündig in einem Ausspruch Karl Paweks deutlich, eines markanten Photographietheoretikers der Adenauerrestaurationszeit: »Der Künstler erschafft die Wirklichkeit, der Fotograf sieht sie.« Diese Auffassung betrachtet die Fotografie nur als ein technisches, standardisiertes Verfahren, das, ganz im Sinne von Benjamins berühmten Aufsatz, dem Kunstwerk durch seine Reproduzierbarkeit seine einmalige Aura zu nehmen drohe.

Doch wie wenig die Bildwelten von Malerei und Fotografie als alternative Rivalen zu sehen sind, wie sehr sie sich im Gegenteil schon im 19. Jahrhundert gegenseitig befruchtet haben, das kann gerade diese Retrospektive belegen. Der Franzose Adolphe Braun war in jeder Hinsicht ein Wanderer zwischen den Welten. Er überschritt Genre- wie Ländergrenzen. Als gelernter Textildesigner war es zunächst lediglich seine Absicht, Vorlagen für Handwerker zu erstellen. Die von ihm auf der Pariser Weltausstellung von 1855 präsentierten Blumenstillleben beeindruckten aber nicht nur Maler, sondern ein so breites Publikum, dass Braun sein Metier aufgab und ein Fotounternehmen in Dornach bei Mühlhausen/Elsass gründete, das bis zum Jahre 1968 in Familienhand blieb.

Der überaus reiche Nachlass von Tausenden von Bildern wurde erst in den letzten Jahrzehnten gesichtet. Eine Besonderheit der sehr aufwendigen Originalplatten ist ihre Vielseitigkeit und Qualität. Ermutigt durch seinen Erfolg bei der Weltausstellung wurde Braun ebenso ein Pionier in der Dokumentation seiner elsässischen Heimat wie ihrer bäuerlichen Tierwelt oder ihrer Trachten. Die Jagdstillleben entsprechen in Komposition und Arrangement ganz den Bildtraditionen, wie sie die Malerei seit 16. Jahrhundert zur Sehgewohnheit gemacht hatte. Da in der Ausstellung die Fotografien mit Gemälden konfrontiert werden, ist aber umgekehrt auch deutlich vor Augen geführt, wie Maler immer wieder die Fotos als Inspirationsquellen und Vorlagen für ihre Bilder nahmen.

Mit Expeditionen in die hochalpine Welt oder in das Ägypten, das 1869 gerade den Suezkanal eröffnete, schrieb sich Gaston Braun jun. ein in die große Tradition der »Orientalisten«. Auch für ihn zählte bei der Herstellung der Abzüge nur Spitzenqualität: In Empfindlichkeit und Kontrastreichtum übertrifft das nasse Kolophoniumverfahren bei weitem das Fotografieren mit der trockenen Kolophoniumplatte. Anfang der 1860er Jahre fertigte er die äußerst beliebten stereoskopischen Aufnahmen an, die das plastische Volumen des Wiedergegebenen erhöhten, indem sie technisch die »einäugig-flächige« Wahrnehmungsweise korrigierten. Ähnliches gilt für die Panoramabilder, welche die Einschränkung des Horizontausschnitts zur Rundumsicht erweiterten und auf diese Weise ebenfalls das Breitwand-Kino vorbereiteten.

Der Ruf des Unternehmens Ad. Braun et Cie de Dornbach wuchs so sehr, dass zwischen der Gotthardbahn-Gesellschaft und Gaston Braun, mittlerweile dem Leiter des Geschäfts, ein Vertrag genau festlegte, zu welch horrenden Preisen nicht weniger als 7000 Abzüge zu liefern seien, die den technischen Triumph der Alpenüberquerung zu dokumentieren hatten. Die Eisenbahn als Symbol einer neuen Zeit schier grenzenlosen Fortschritts und die Technik der Fotografie sind als wahlverwandt anzusehen, wie Bernd Stiegler in seinem Kapitel darlegt. Das Unternehmen Braun hielt auch in einzigartiger Weise die Zerstörungen des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 fest; es arbeitete für den Bayerischen König Ludwig II., indem es seine hypertrophen Schlösserfantasien nach dem Vorbild des französischen Absolutismus beflügelte.

In seinen Stillleben, Veduten, Landschaften und Genreszenen folgte das Unternehmen Adolphe Braun der klassischen Hierarchie der Malereigattungen, wie sie 1667 vom französischen Architekten André Félibien aufgestellt wurden, ohne sich freilich auf ein Spezialgebiet festzulegen. Hierin liegt ihre Einzigartigkeit in der Fotografiegeschichte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Für die Kunstgeschichte ist Adolphe Brauns Arbeit aber vor allem in ganz anderer Hinsicht kaum zu überschätzen: Sie konstituiert die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kunst, indem sie beste Reproduktionen von Kunstwerken aus den großen Museen der Welt liefert, von St. Petersburg bis Madrid, von den Vatikanischen Museen und dem Louvre bis Berlin. Dabei wurde in dem zu einer großen Fabrik ausgewachsenen Unternehmen in Mulhouse ein neues chemisches Verfahren angewendet: Pigmentdrucke, bei dem die am Licht sich zersetzenden Silbersalze durch Pigmente wie Lampenruß oder Kohle ersetzt werden.

Das Münchner Stadtmuseum zeigt 2018 große Teile von Adolphe Brauns vielseitigem Werk, denn zu dem riesigen Gesamtbestand des Hauses von über 850.000 Fotografien gehört ein großer Teil des Nachlasses dieses fotografischen Großunternehmens. Anschließend wandert die Ausstellung in das Musée Unterlinden in Colmar.

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