Ausstellungsbesprechungen

Albert Christoph Reck – »Ich habe einen Vogel«. Kloster Cismar, bis 29. Oktober 2017

Auch in diesem Jahr folgt man in Cismar der Tradition, ein breiteres Publikum mit einer großen Ausstellung zu locken. Vom Strand ins Kloster, jedenfalls, wenn es mal regnet! Das Werk des 1922 in Schlesien geborenen Albert Christoph Reck ist wie dafür gemacht, wie Stefan Diebitz gerne bestätigt.

Im Grunde geben die 70, fast ausschließlich großformatigen Arbeiten des Künstlers einen Überblick über die klassische Moderne, denn in den Bildern Recks kann man den Stil und die Malweise vieler der Großen wiederentdecken. In formaler Hinsicht kann man ihm keine Selbstständigkeit zusprechen, sondern ganz offensichtlich hat sich der Künstler trotz seiner eigenen Themensetzung einer Fülle von stilistischen Einflüssen geöffnet. Bei manchen Bildern fühlt man sich an Max Beckmann erinnert, denn wie dieser umrandet Reck seine Figuren mit kraftvollen schwarzen Linien; dann wieder denkt man an Picasso, Klee oder Chagall. Und es sind begründete Assoziationen.

Recks Leben war umso eigenwilliger. Ein Grund war der Weltkrieg, der seine Ausbildung hinauszögerte. Von 1941 an ging er zur Marine und konnte erst nach Kriegsende sein Studium aufnehmen und war vor allem bei Alfred Mahlau, unter anderem zusammen mit Horst Jansen, Schüler. Seine Vorliebe für das Meer hat er sich sein ganzes Leben lang bewahrt, und sie führte ihn auf abenteuerliche Reisen. Schon bald nach seinem Kunststudium ließ er Deutschland hinter sich und lebte eine Weile in England und Frankreich, später – 1962 – wollte er eigentlich nach Mexiko, stieß aber wegen der Kubakrise auf Probleme und landete tatsächlich ganz zufällig in Südafrika. Und blieb erst einmal.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland zog es ihn 1976 wieder dorthin, aber dieses Mal mit einem Segelboot, dem er, der alte Schlesier, den polnischen Namen »Inopoleku« (Lass es ruhig angehen) gab. In Afrika arbeitete er sowohl als Künstler wie auch als Kunstpädagoge, und er entwarf Teppiche, die seine Frau in der Werkstätte Phumalanga webte. Unter anderem auf dem Flughafen von Chicago findet sich heute eine dieser Arbeiten, in denen er vielleicht am meisten zu sich selbst gefunden hatte.

Ein weitere Konstante in seinem sonst so wechselhaften Leben war die Pädagogik. Immer wieder arbeitete er als Lehrer und schloss nach seiner ersten Rückkehr aus Afrika sogar ein entsprechendes Studium in Hamburg ab. Seine Aktivitäten in Afrika, in denen er jungen Afrikanern einen Zugang zum Weben verschaffte, kann man kaum hoch genug einschätzen.

Er selbst bezeichnet sich als »Grenzer« – das bezieht sich auf seine Abenteuerlust, aber auch wohl auf seine Offenheit gegenüber allen möglichen Einflüssen, zu denen natürlich noch die afrikanische Kunst trat, deren Farbenpracht kaum zu übersehen ist. Den Katalog schmückt ein Bild der Blume »Protea«, der Nationalblume Südafrikas. Viele seiner Arbeiten wirken wegen ihrer Direktheit etwas naiv und dazu heiter, fröhlich und kraftvoll. Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf ein Zitat aus seiner »Kleinen Naturkunde« von 1962, in der er von sich selbst sagt: »Ich habe einen Vogel, der heißt Phantasie.« So sind die verschiedensten Vögel aller Art ein häufiges Motiv in seinen Bildern; der Kurator Christian Walda schätzt ihre Anzahl in dieser Ausstellung auf ungefähr 40. Einer ist der Vogel Phönix, manchmal sind es Stelz- oder Wasservögel, und dazu kommt noch der mit der Blume gleichnamige Vogel Protea, der südafrikanische Kaphonigfresser, der zwar auch Insekten nicht verschmäht, aber sonst gern an Blüten nascht und mit seinem langen Schnabel an einen Kolibri erinnert.

Eine Schwäche des Künstlers ist die Perspektive, denn kaum eines seiner Bilder besitzt Tiefe; alle seine Arbeiten scheinen flächig, und vielleicht gefallen deshalb seine Teppiche am besten. Merkwürdig ist seine Ölallergie, die es ihm fast ganz verbot, mit Ölfarben zu malen, so dass er auf alle möglichen anderen Techniken zurückgreifen musste, angefangen mit dem Buntstift.

Eine unbedingte Qualität seiner Arbeiten liegt in ihrem narrativen Aspekt, denn sie geben viel zu sehen. So lohnt es sich immer wieder, auf und in ihnen herumzusuchen und Details und Bezüge zu entdecken. Das schönste Beispiel dafür ist ein dem Andenken Alfred Mahlaus gewidmetes Bild, das schon mit der Beschriftung an den Lehrer erinnert und in dessen Hintergrund sich der Betrachter tatsächlich verlieren kann.

Die vier unteren Räume der Ausstellung sind zeitlich gegliedert, umspannen also dem hohen Alter des Künstlers entsprechend Bilder aus der Nachkriegszeit bis heute; das letzte großformatige Bild stammt aus dem vergangenen Jahr. Jetzt kann Reck nicht mehr die Leiter erklimmen und wieder herunterklettern und wieder hinauf, so dass es wohl sein letztes großes Bild bleiben wird.

Der obere Raum – ein einziger großer Raum unter einem spätgotischen Gewölbe – kennt auch eine thematische Gliederung; dort findet sich auch eine ganze Anzahl religiöser Bilder. Ein anderes wiederkehrendes Thema war oder ist das Meer, und auch an der Natur hat er sich immer wieder versucht, ebenso wie an Porträts. So stößt man in Cismar nicht auf einen der ganz Großen, wohl aber auf einen sehr ernsthaften, vielseitigen und anregenden Künstler.

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