Ausstellungsbesprechungen

Albert Weisgerber - Malerei. Edwin Scharff Museum, Neu-Ulm, bis 27. Februar 2011

Als die Münchener Secession, auf Anregung von Wilhelm Hausenstein, dem Maler Albert Weisgerber 1918 ein Gedenkbuch widmete, war dieser bereits drei Jahre tot, gefallen an der deutsch-belgischen Front. Wie so viele war Weisgerber mit wehenden Fahnen in den Krieg gezogen; er kehrte nicht mehr heim. Ein Nachruhm wie bei Franz Marc oder August Macke war ihm zunächst nicht beschieden - ihm ging es eher wie Hermann Stenner und all denen, die erst viel später wiederentdeckt wurden. Die Ausstellung, die das nun ändern möchte, hat sich Günther Baumann für Sie angesehen.

Trotz Fürsprechern wie Hausenstein oder auch Max Beckmann rutschte Weisgerber ins hintere Glied der Kunstgeschichte, die nicht immer Wert auf Zwischentöne gelegt hat. Denn verglichen mit den jüngeren Expressionistenkollegen gehörte der 1878 in St. Ingbert geborene Maler einer Generation an, die noch im späten deutschen Impressionismus verwurzelt war, die also nicht mehr von der Leuchtkraft der Franzosen profitieren konnte, aber sich auch noch nicht die explosive Farbigkeit der jungen Deutschen zu eigen machen wollte. Vor dem Krieg konnte er sich in Münchner Secessionskreisen – er war für einige Zeit deren Präsident – einen Namen machen, der dem 30jährigen Tür und Tor geöffnet hätte. Die Zeitläufte standen dem im Wege, und die »jungen Wilden« passten besser ins Schema. Immerhin hinterließ Weisgerber ein Werk von rund 400 Gemälden, denen tatsächlich in den letzten Jahren vermehrte Aufmerksamkeit zuteil wurde. In St. Ingbert und in Saarbrücken gehört er längst zum festen Bestand öffentlicher Sammlungen. Außerhalb des Saarlandes hat sich das Edwin Scharff Museum verdient gemacht um die Wiederentdeckung des Malers. Von dem Secessionskollegen Edwin Scharff stammt ein Gedenkblatt aus Weisgerbers Todesjahr 1915, das auf deren Freundschaft hinweist und nun in Neu-Ulm zu sehen ist. Rund hundert Jahre nach dem traurigen Anlass zeigt das Edwin Scharff Museum über 50 Gemälde sowie Zeichnungen des Arbeitersohns und ehemaligen Schülers von Franz von Stuck. Die Schau gliedert sich in die Anfänge des frühbegabten Malers, die Pariser Jahre, die Atelierarbeiten, die religiösen Motive mit einem Seitenraum für die Darstellungen des Jeremias und Absalom und schließlich einen Blick auf das späteste Werk.

Grund sowohl der Zurückhaltung in der Rezeptionsgeschichte und zugleich für das neu erwachte Interesse an Weisgerber dürfte dessen Hingabe an das durchgängig lebendige Menschenbild gewesen sein, die ihn enger an die Tradition band, als dass ihn die Avantgarde hätte locken können, die er sehr wohl kannte – ob nun Kandinsky in München oder Matisse in Paris, die aktuellen Strömungen waren ihm vertraut. »Ein Mensch wie Weisgerber malte nicht«, so Hausenstein, den Weisgerber über Theodor Heuss kennen gelernt hatte, »das Malen löste sich nicht als eine Spezialfunktion vom Organismus; in gleichsam sportiver, athletischer Steigerung wurde der ganze Körper mit allen sinnlichen und geistigen Zuständen an der Arbeit beteiligt, in die Arbeit verflochten, in der Arbeit verbraucht«. So sportlich wie 1918 wird man Weisgerber heute nicht mehr einstufen, doch in der Konsequenz übt sein Werk immer noch (oder wieder) eine große Anziehungskraft aus, der wir (nach Hausenstein) »kaum noch entrinnen können«. Diese sensitive Anbindung gleichermaßen an die Tradition und die Avantgarde brachte einen ganz eigenen Stil hervor. Die »Schlafende« von 1907 etwa entpuppt sich als ein extrem kühnes Bild, das einerseits im Privaten verhaftet ist (es zeigt Weisgerbers Frau, schlafend) und entschieden realistische Züge trägt, zum anderen aber spektakulär komponiert ist: Zwei Drittel des Formates nimmt die weiße – und das heißt seit Cézanne: in unendlich feinen Farbnuancen plastisch modulierte – Decke ein, darüber der seitwärts geneigte Kopf der Schlummernden, deren schwarzes Haar sich oberhalb des Kissens im dunklen Hintergrund verliert. Wenn hier das Farbspektrum an Manet denken lässt, so weist das Hauptwerk Weisgerbers, »Absalom« von 1914, bereits expressive Züge auf, die aber wie die impressionistischen Färbungen der »Schlafenden« dem ureigenen Stilwillen des Malers zugehören, der eine Welt zwischen Lebensfreude und Lebensklage vor Augen führt. Das eine Mal zeigt sich Weisgerber berührt von einer durchaus todesbewussten Glückseligkeit, das andere Mal steht er am Abgrund, getragen noch von einer märchenhaft-utopischen Lebensbejahung.

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