Ausstellungsbesprechungen

Alexander Calder – Avantgarde in Bewegung, Kunstsammlung NRW/K20, Düsseldorf, bis 26. Januar 2014

Er brachte Bewegung in die Kunst, Bewegung und Klang: Alexander Calder (1898-1976) schrieb mit seinen kinetischen Mobiles ein wichtiges Stück moderner Kunstgeschichte. Gleichwohl dauerte es zwei Jahrzehnte, bis nun mit der Kunstsammlung NRW erstmals wieder ein deutsches Museum sein bildhauerisches Œuvre in gebührendem Rahmen präsentiert. Nina Loose war vor Ort, um diese bewegende Kunst mit Augen und Ohren zu erfahren.

1600 Quadratmeter für rund 70 Werke – Calders Werk bedarf außergewöhnlich viel Platz zur Entfaltung, den in Düsseldorf zwei gigantische Ausstellungssäle, die Grabbe- und die Kleehalle des K20, bereitstellen. Besonders die Kleehalle wurde eigens für »Calder – Avantgarde in Bewegung« mit einer neuen Ausstellungsarchitektur versehen. Diese gestaltet die Wahrnehmung der dort gezeigten Mobiles und Stabiles so vielseitig wie nur möglich: Weiße Podeste und Fonds rücken den effektvollen Schatten ins Visier, den die mehrfach angestrahlten Skulpturen werfen. Bei »Quatre systèmes rouges (mobile)« (1960), das nebenbei auf dem Plakat zur Ausstellung prangt, gemahnt dieser Schattenwurf z.B. an ein filigranes, sich im Lufthauch wiegendes Blätterdach. Etliche weitere Mobiles sind, von der meterhohen Decke herabhängend, frei beweglich und aus unterschiedlichen Perspektiven erlebbar. Steht man erst einmal auf dem erhöhten Steg inmitten der Kleehalle, dann genügt schon ein ausgestreckter Arm, um eines der schwebenden Gebilde in Bewegung zu versetzen. Aber ehe es soweit kommt, wird man vom wachsamen Personal zurechtgewiesen. Denn egal wie sehr sie unseren Spieltrieb entfachen, auch für Calders Mobiles gilt: Bitte nicht berühren! Und nicht pusten!

Ausschließlich Mitarbeitern des Museums ist es vergönnt, das Pendel in »Small Sphere and Heavy Sphere« (1932/33) im halbstündigen Takt anzustoßen. Welche Kraft hierbei aufgewandt wird und in welche Richtung der Stoß zielt, bestimmt die Flugbahn des Pendels, ergo die Klangkulisse, die entsteht, wenn es mit anderen Objekten (Flaschen, einer Blechdose, einem Gong, einer Holzkiste) zusammentrifft. Ab den 1930er bis in die 1970er Jahre markiert der Einsatz von metallenen Gongs, mal wuchtig-schwer, mal zierlich-leicht, zahlreiche von Calders Arbeiten. »Untitled« aus dem Jahr 1940 weist gar einen Klöppel auf, der, sofern in Schwingung versetzt, den dazugehörigen Gong zum Klingen bringt.

Parallel schuf der experimentierfreudige Amerikaner eine Reihe animalisch anmutender Werke. Darin verbiegen sich Rohre zu Spinnenbeinen, wie in »Little Spider« (um 1940), erscheinen Bleche als Seehunde, wie in »Performing Seal« (1950) oder konstruieren Drähte eine fragile Wirbelsäule, wie in »Squelette Blanc« (1950/51) und »Untitled« (1940). Diesbezüglich hat sein Zeitgenosse Jean-Paul Sartre einmal treffend behauptet, dass »Calders Mobiles seltsame Wesen, halb Materie, halb Leben« darstellen.

Aller Spielerei zum Trotze ist Calders Kunst jedoch nicht im Kinderzimmer zu verorten, sondern in den ersten Reihen der Avantgarde Europas. Nicht zuletzt dies möchte Susanne Meyer-Büser, Kuratorin der Retrospektive, dem Publikum vor Augen führen, wenn sie Alexander Calder dessen Vorbildern Joan Miró und Piet Mondrian gleichbedeutend zur Seite stellt. Die Motivwahl des Spaniers — Sterne und Planeten —, vor allem aber die Abstraktion des Niederländers nahmen nachhaltigen Einfluss auf Calders Schaffen. »Dieser eine Besuch versetzte mir einen Schock, der die Dinge ins Rollen brachte«, sagte der Künstler selbst über sein Zusammentreffen mit Mondrian in Paris im Jahr 1930. Damals stellte er u.a. im Salon des Indépendants aus, trat der Gruppe Abstraction-Création bei und war mit Neuerern wie Pablo Picasso, Robert Delaunay oder Hans Arp vertraut. Auch Calders Beschäftigung mit experimentellen Positionen aus Film und Musik zeugt von einem universellen, avantgardistischen Denken. In Düsseldorf begleiten daher Filmsequenzen von Man Ray oder Marcel Duchamp ebenso wie Kompositionen von Edgar Varese oder John Cage die Bildhauerkunst Calders. Gemeinsam erfüllen sie die luftigen Ausstellungsräume nicht nur mit Form und Farbe, sondern gleichermaßen mit Bewegung und Klang.

Im Kontrast zu den meist hauchdünnen Mobiles der Pariser Jahre treten die jüngeren Werke aus Bronze — versammelt in der Grabbehalle — wie Schwergewichte auf. Eines von ihnen ist das Stabile »Le Tamanoir« von 1963, das eklatant einer riesenhaften Spinne à la Louise Bourgeois ähnelt. Dabei wurde hier, wie der Werktitel verrät, tatsächlich ein Ameisenbär stilisiert.

Neben »Le Tamanoir« sind fast sämtliche der Düsseldorfer Exponate aus dem Ausland angereist, wo sie sich gewöhnlich in renommierten Sammlungen oder auf öffentlichen Plätzen verstreuen. Einzig das frühe, Klang erzeugende Mobile »Untitled« (1936) gelangte vor Kurzem in den Besitz der Kunstsammlung NRW. Und in deren Calder-Retrospektive beansprucht es sogleich eine zentrale Rolle: In ihm vereinigen sich zum einen Beweglichkeit und Akustik; zum anderen antizipiert seine Formgebung bereits die monumentale Freilichtkunst Calders, wie man sie beispielsweise aus Rotterdam oder Paris kennt. Daher lieferte jenes »noise-mobile« einen entscheidenden Impuls für die Ausstellungsmacher von »Calder — Avantgarde in Bewegung«. Entstanden ist daraus eine hochkarätige, international zusammengetragene Werkschau, aber auch ein fantasievoll bespielter Parcours, der nicht nur visuell beeindruckt.

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