Rezensionen

Alexander H. Schwan: Schrift im Raum. Korrelationen von Tanzen und Schreiben bei Trisha Brown, Jan Fabre und William Forsythe. transcript Verlag

Alexander H. Schwan nimmt den bekannten Vergleich von Tanzen und Schreiben neu in den Blick und entwickelt erstmals eine umfassende Poetik der Bewegung als körperliche Schrift: écriture corporelle. Im intensiven Dialog mit Schrift– und Bildtheorien analysiert er herausragende Arbeiten postmoderner und zeitgenössischer Choreographie, die Tanzbewegungen als ephemere Einschreibung im Raum organisieren. Er zeigt exemplarisch auf, wie diese Körperfigurationen als Veränderung eines imaginären Schriftbildes betrachtet werden können. So eröffnet die Studie wichtige theoretische Perspektiven für die Tanzwissenschaft und verändert die Wahrnehmung von Bewegung: Tanz wird sichtbar als flüchtiges Schreiben und unlesbare Schrift im Raum. Eine Rezension von Melanie Obraz.

Cover © transcript Verlag
Cover © transcript Verlag

Alexander H. Schwan widmet sich in seiner Untersuchung der wechselseitigen Verbindungsmöglichkeiten zwischen Tanz und Schrift. Übersetzt man das Wort »Choreographie« so wird man zugleich (und selbstverständlich unter Vorbehalt) mit der Übersetzung Tanz–Schrift konfrontiert. Aber so einfach ist es nicht, denn es ergeben sich mannigfaltige Perspektiven den Tanz als eine Schrift zu erkennen und umgekehrt die Schrift als ein Schriftbild auch in den ausgeführten Figuren und Schritten bzw. Schrittfolgen des Tanzes aufzufinden. Es geht, wie es der Titel sagt, um Korrelationen von Tanzen und Schreiben, womit der Autor das Wort »Ballett« hier erst einmal nicht erwähnt. Es geht also nicht um Ballett und Schrift, denn diese Perspektive wäre zu kurz gegriffen, da sich der Autor auch zeitlich weit zurück orientiert und die Analogie von Schrift und Bild in den frühgeschichtlichen Darstellungen tanzender menschlicher Figuren nennt und somit auf die Arbeiten prähistorischer Archäologie ebenso hinweist und auf eine »frühe mögliche Parallelität zwischen Tanzfiguren und Vorformen von Hieroglyphen« Bezug nimmt, wird dem Leser/der Leserin die geheimnisvolle Welt des Tanzes schon in vorgeschichtlicher Zeit nahe gebracht. Sich auf das Ballett zu beschränken, wäre dem Autor jedoch viel zu wenig gewesen, weshalb eine so breit angelegte Studie den Tanz nicht nur als eine geschriebene Schriftsprache und damit als ein übersetzbares Ausdrucksmittel vorstellt. Damit zeigt sich auch, dass sich der Tanz keiner Logik verschließt, ja jene ist für diese Ausdrucksform sogar grundlegend. So wird der gesamte Schriftcharakter der Kunst in den Blick genommen und ebenso ein Bezug zu dem Maler Paul Klee wie dem Ästhetiker und Soziologen Theodor W. Adorno unternommen. Das Literaturverzeichnis ist dementsprechend weit aufgefächert – auch in Richtung Philosophie, Soziologie, Literaturwissenschaften bis hin zur Kunstgeschichte.

Die Schrift, die in einem Zusammenhang steht mit Tod, Stimme, Bild, Körper, Bewegung und so auch das Schriftbild Hieroglyphe bedient ist hier das Thema, ebenso wie das, Schriftbild der Arabeske. Bei William Forsythe erfährt das Graffiti besondere Beachtung und zum Abschluss auch das Schriftbild der Kritzelei.
Wie nun geschieht diese geheimnisvolle Übertragung des Tanzes in die Schrift? Es handelt sich auf keinen Fall um etwas, dass sich vom Grunde her leicht vergleichbar annähert, sondern ist durch ein Anderssein, zunächst entscheidend für den Blick dessen, der/ die sich mit dem Tanz als Wissenschaft beschäftigt.

Der Autor deutet auf die Undurchlässigkeit zwischen Tanz und Schrift hin, um dennoch herauszustellen, dass es eben gerade darauf ankomme, da erst hierdurch eine geheimnisvolle Aura entsteht, die den Beobachter:in, den Zuschauer:in des Tanzes in diese Welt der Linien und sich bewegenden und verändernden Figurationen bringt. Wo liegt nun der Fokus und wie kann es der Leser:in, Zuschauer:in herausfinden? Zeigt sich hier bereits der Anfang einer Aporie? Der Autor lässt es so vermuten, um dennoch den Ausweg und damit die Bereicherung der Erfahrung von Tanz und Erkennen eines solchen, als eine Übermittlung von etwas Darüberhinausgehendes auszuweisen. Das Transzendente, der Überstieg und alles damit in Zusammenhang stehende Ungewisse zeigen hier auch die theologischen Aspekte, die sich in der Tanzbewegung unterschwellig zeigen. So wie eine Kalligraphie sich oft der sofortigen und genauen Deutung entzieht und schließlich als schön aber unlesbar ausgewiesen sein kann, so zeigt sich auch der Tanz als opak, mystisch, exotisch und fern, um immer wieder dem/der Zuschauer:in einen speziellen Wink der Verständigung zu geben.

Der Tanz, der oberflächlich sogleich eine direkte Zurschaustellung sein kann, bilanziert sich hier unter dem Aspekt der écriture corporelle, doch als das verschwiegene und heimliche Besondere. Eine Ikonizität von Tanz ist nicht in einer einsehbaren Buchstabenform und –folge gegeben. Auch gelte das Tanzen des eigenen Namens als verpönt, betont der Autor, zumal es auch um eine Abgrenzung in Richtung der Eurythmie gehe. Ein Beispiel aus der Populärkultur wird genannt: Der Tanz der Village People, die damit ihren Song Y.M.C.A. performten. Grundsätzlich gab es schon Buchstabentänze im klassischen Griechenland, aber auch hier war die Parodie gemeint, mit sogar oft obszönem Effekt.

Ebenso beleuchtet der Autor das problematische Feld der Runengymnastik, indem germanische Runen nachgestellt oder im sogenannten Runentanz mit Körperbewegungen in den Raum geschrieben werden. Hier wird eher keine Klärung, sondern eher eine Ausweglosigkeit in Hinsicht auf Tanz und Schrift erkennbar. Die ursprüngliche Schriftgenese aus einer Körperhaltung abzuleiten, ist nicht völlig abwegig, zumal auch der Tänzer und Choreograph Rudolf Laban in den 1920er Jahren dieser These gewogen war. Ebenso hat innerhalb des Balletts die Notation nach Laban, nicht lediglich die Aufgabe erfüllt, irgendeine Schrittfolge zu konservieren. Auch seine Ideen sind der Improvisation und individuellen Gestaltung gewidmet. Die reale Körperlichkeit erfährt eine kontrafaktische Deutung und ist so für die Geschichte der écriture corporelle basal und nicht unbedingt problematisch, soweit sie selbstreflexiv verhandelt wird, wie bei dem US–amerikanischen Tänzer und Choreograph William Forsythe.
In Zusammenarbeit mit Medien–Spezialisten und Pädagogen entwickelt Forsythe eben innovative Ansätze der Tanz–Dokumentation. Er richtet dabei das Auge stets auf die Bühne, den Raum und das Licht, um so den Körper des Tänzers:in einer neuen Sichtweise zu präsentieren. Auch hier erhält der Tenor des klassischen Balletts eine Radikalisierung und Verschiebung.
Auch Forsythe sieht in der Choreographie die herausfordernde Möglichkeit grammatische Regeln und also eine Gesetzgebung auch auf den Tanz und durch den Tanz zu transformieren. Dennoch sind die Regeln hier sehr offen. Nichts ist festgeschrieben in einer Art Dogma. »So wie Schreiben Gesetzen und Regeln folgt, orientiert sich auch Tanzen an einem Nexus aus Absprachen, mehr oder minder festgelegten Bewegungsmustern und Körperbildern.« Mit Hinweis auf den Rechtshistoriker und Psychoanalytiker Pierre Legendre macht der Autor darauf aufmerksam, wie sehr Tanz in der Gefangenschaft eines Gesetzes stehen kann und jene Gefangenschaft geht zurück auf bestehende gesellschaftliche und weltanschauliche Muster. Der Tanz eröffnet eine Dimension, doch in dieser scheint die Herrschaft des Nomos eine Größe zu sein. Der Körper sieht sich so stets mit einem von außen an ihn herangetragenen Gesetz konfrontiert.

Des Weiteren nimmt der Autor Trisha Brown in den Blick. Ihre choreographierten Arbeiten geben Kunde von einem Stil, der Vertiefung und Verfeinerung alltäglicher Bewegungen verdeutlicht. Auch Jan Fabre wird in diesem Kontext mit seinen Arbeiten thematisiert, in welchen sich Anlehnungen an das klassische Ballett hinsichtlich des Bewegungsmaterials zeigen. »So bestehen The Dance Sections über weite Strecken aus nichts anderem als aus einzelnen Bewegungsmustern, die von den Tänzer:innen wie in einem exercise in langen Repetitionsreihen wiederholt werden.«
Damit sei auch eine stillgestellte Figuration als Hieroglyphe und also als Modell von Schriftbildlichkeit aufzugreifen. Hier gerät wieder das Geheimnisvolle, das Rätselhafte in den Mittelpunkt, welches selbst dann noch als Rätsel betrachtet wird, wenn es schon längst gelöst ist. Damit macht Alexander H. Schwan auf ein Kuriosum aufmerksam, da es um jeden Preis um die Aufrechterhaltung eines Geheimnisses geht.
Das was uns mit dem Tanz gegeben ist und zwar in einer Gabe auf uns zukommt, zeigt sich auch in einem Kritzeln, als einem flüchtigen Schreiben, – das sich als das Verflüchtigende ausgibt und damit zugleich eine Schrift ist, die sich der Lesbarkeit entzieht. Die Tanzbewegung hat keine bleibende Existenz, sondern ist im nächsten Augenblick schon wieder aufgehoben. Dennoch ist es eine Schrift, die eine Aussage transportiert. Es ist hier eine Urkraft, die die Schrift und die Bildlichkeit gleichsam aufleuchten lässt. Der sich eigentlich auftuende innere Widerspruch ist dabei das Abenteuer, auf welches sich der/die Leser:in dieses anspruchsvollen Textes einlassen soll – einfach einlassen und hingeben muss.
Nicht nur ein Buch für am Tanz interessierte Leser:innen, sondern für Enthusiast:innen der geisteswissenschaftlichen Fragestellung einer Schrift im Raum.


Titel: Schrift im Raum. Korrelationen von Tanzen und Schreiben bei Trisha Brown, Jan Fabre und William Forsythe
Autor: Alexander H. Schwan
Verlag: transcript, Bielefeld 2022
ISBN 978–3–8376–3814–1

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