Ausstellungsbesprechungen

Alighiero Boetti – Order and Disorder. Gastspiel – Die Sammlung Marli Hoppe-Ritter aus der Sicht von Künstlerinnen und Künstlern. Museum Ritter, Waldenbuch, bis 26. April 2009

Der Autodidakt Alighiero Boetti (1940–1994) wollte nicht weniger als das Chaos ordnen und den Kosmos etwas in Unordnung bringen – Ergebnis sind u.a. die bunten Strickbilder (»arazzi«), deren Geometrie minimalistisch korrekt daher kommt, und zugleich hindern die Farbigkeit und just diese geometrische Klarheit die Lesbarkeit der Bilder. Denn lesbar sind die Buchstabenmotive durchaus, aber Worte ergeben, besser gesagt: erschließen sich erst im konzeptuellen Zugang, schließlich war Boetti ein Vertreter der Arte povere.

Bei genauerer Erkundung der an sich sachlichen Arbeiten sehen wir denn auch einen religiösen Hintergrund in Boettis Auseinandersetzung mit orientalischer Kunst, und wir stoßen auf einen politischen Kontext: Boetti suchte sich bewusst Afghanistan aus, wo seine quadratisch formatierten Bilder gewoben wurden, wo er den kreativen Schulterschluss und ein dialogisches Kommunikationssystem zwischen Künstler, Assistenten und Arbeiter(innen) suchte. Streng geht es dabei innerhalb der Motive zu: vier mal vier oder auch fünf mal fünf Buchstaben fügt er zum Quadrat und konfrontiert sie mit dem Zufallsprogramm des Koloristen. Faszinierend dabei ist die Entfaltung des Sinns, der auf denkbar kleinstem Raum wie ein scheues Reh sich zunächst verbirgt, verweigert. Indem er die schlummernden Buchstaben aufscheucht, entziffert der Betrachter alsbald poetische Sprüche wie »Ordine e Disordine« (Ordnung und Unordnung) oder »Dare tempo al tempo« (der Zeit Zeit geben). In anderen Werkreihen wählt der Künstler größere Formate und füllt sie mit alphabetischen Feldern und kosmisch anmutenden Zahlenspielereien: Bei 25 mal 25 Zeichen verliert man gern die Übersicht: War da nicht die symbolschwere Zahl Fünf, die zum Quadrat eine Seite des Ganzen ausmacht? Und auch die magische Seite macht die Zahlenfolge 1 + 3 + 5 + 7 + 9 reizvoll, die in der Summe 25 ergibt.

Daneben gibt das quadratisch-praktisch-gute Museum Ritter ein so betiteltes »Gastspiel« mit hochinteressanten Gästen: Kirstin Arndt, die Truppe der Filderbahnfreundemöhringen FFM, Heinz Gappmayr, rosalie und Timm Ulrichs geben sich die Ehre – und beleuchten die Sammlung Marli Hoppe-Ritter aus ihrer Sicht, und zwar mit speziell auf diese Schau gemünzte, ausgewählte oder geschaffene Arbeiten, die jeweils einen Raum des Museums füllen, unter Einbeziehung der Sammlung. Das Ergebnis ist ein einzigartiges Vergnügen! Die Palette reicht von einer fulminant bunte Wandinstallation über Objektkunst und Fotografie bis hin zur kühlen Neonwelt.

Am kühnsten hat sich Kirstin Arndt (geb. 1961) dem Thema genähert, indem sie ihre skulpturale Installation aus sperrigen Alltagsmaterialien – Kunststoffplanen, Holzpaletten oder Dachlatten – zusammen mit Arbeiten des Museums in eine Baustellenromantik verwandelt. Heinz Gappmayr (geb. 1925) setzt auf individuelle Vielfalt, zeigt eine Handvoll eigener Arbeiten im Ensemble mit Sammlungsbeständen, die fast schon kuratorische Kriterien erfüllt, wenn da nicht die antirhythmischen Bezüge der Hängung wären. Mit Kunststoffgranulat hat die Gesamtkunstwerkerin rosalie, wohl die bekannteste und bühnenerfahrene Teilnehmerin der Ausstellung, schillernde Quadratgemälde geschaffen, die unter dem Zyklentitel »Garten des Tandaradei« den Raum in ein phantasieglitzerndes Farboratorium verzaubern. Die Sammlung steuert zum Kontrast eine Neonarbeit Francois Morellets bei. Der Wortkünstler Timm Ulrichs (geb. 1940) nimmt eine »Neuvermessung« vor und sortiert die Bestände des Hauses nicht nach Inhalt, sondern nach horizontaler oder vertikaler Ausrichtung, Gewicht usw. Neben diesen zwei Künstlerinnen und zwei Künstlern tritt die Künstlergruppe Filderbahnfreundemöhringen (Michelin Kober, geb. 1968; Daniel Mijic, geb. 1969; Daniel Sigloch geb. 1970) mit viel Witz (und Gewitztheit) auf, das heißt eigentlich: zurück, denn sie hat Mitarbeiter des Museums in den eigenen vier Wänden fotografiert und in deren Zuhause echte Ritter-Kunst platziert.

 

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Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr
Montag geschlossen

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