Ausstellungsbesprechungen

Alles kneten. Metamorphose eines Materials – Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg bis 3. November 2019

Alles kneten. Was nach jeder Menge Spaß für Kinder klingt, entpuppt sich schnell als Vergnügen für die ganze Familie. Denn Schauen und Machen stehen eindeutig im Vordergrund der Hamburger Schau. Rowena Schubert–Fuß war vor Ort.

Brigitta Garcia López (*1967), Diverse Skulpturen, 1997–2016, Knetmasse (Fimo), Maße variabel, © Brigitta Garcia López Henrik Jacob (*1972), Bodyman 1, 2012, Knetmasse auf Acrylglas und MDF, 104 x 95 cm, © Henrik Jacob Ausstellungsansicht mit Besucherinnen, Foto: Henning Rogge Adam Elliot (*1972), Harvie Krumpet, 2003, Animationsfilm, 22 Min., © Adam Elliot
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 Am Anfang war das Nichts. Die Welt war öde und leer. Dann wurden die ersten Dinge geschaffen. Bis alles so war, wie wir es heute kennen, dauerte es. Erst 1890 konnte der Schöpfungsprozess deutlich verkürzt werden. In diesem Jahr erfand der Münchner Apotheker Franz Kolb das »Plastilin«, der breiten Öffentlichkeit eher bekannt als: Knete.
Man kann sich den Jubelschrei aller kreativ Tätigen vorstellen, die nun nicht mehr den Launen des Modelliertons ausgeliefert waren. Denn dieser hatte die Eigenschaft bei den niedrigen Temperaturen in den eiskalten Dachateliers einzufrieren und war dann nicht mehr zu verarbeiten.

Dass sich bis dato nur ein Schweizer Museum für diesem vielseitigen Werkstoff interessiert hat, muss etwas verwundern. Denn Knete bietet sich hervorragend für das publikumswirksame Format einer Eventausstellung an. So sind es auch hauptsächlich Kinder, die die Hamburger Schau bevölkern. Mit wahrer Wonne kneten sie ganze Völkerscharen fantasievoller Figuren an der gelben Knetbahn, die beide Präsentationsräume trennt. Genug Inspiration halten die 60 internationalen Arbeiten aus den 1950er Jahren bis heute bereit, mehrheitlich Filme, Musikvideos und Games.
Ab und zu versucht sich auch ein Erwachsener am formbaren Material. Der Umgang mit der Modelliermasse hat etwas unglaublich Sinnliches. Schnell vergisst man beim Kneten Zeit und Raum und schwelgt in Kindheitserinnerungen. Die Rückkehr in die Realität durch lautstark zankende Knirpse an den Spielkonsolen kommt daher ziemlich abrupt. Umso härter ist auch die Erkenntnis, dass das, was man ursprünglich herstellen wollte, irgendwie verformt ist. Anstelle eines stattlichen Superhelden hält man plötzlich »Gollum« aus »Der Herr der Ringe« in der Hand. Aber auch der darf einen Platz in der »Knet–Hall of Fame« einnehmen. Diese besteht aus mehreren Regalen an den Wänden des Knetraums.

Ein wenig Theorie über das Kneten wird über drei große Wandtexte vermittelt, die beispielsweise auf die Wandelbarkeit des Materials und die damit einhergehende Bedeutung für den Umgang eingehen. Da Knete besonders weich und leicht formbar ist, können Produktmodelle schnell angepasst und verbessert werden. Für kreatives Arbeiten ist dies natürlich von herausragender Bedeutung. Denn um die Figurenmodelle in Animationsfilmen schließlich zum Leben zu erwecken sind viele Umformungen notwendig. Etwa 15 Millionen Bewegungen waren es für den Film »Hasta los Huesos« (dt. Bis auf die Knochen, 2002). Mittels Stop–Motion–Technik erzählt Regisseur Rene Castillo darin die Geschichte eines Neuankömmlings in der mexikanischen Unterwelt. Wer hier allerdings Gruseliges erwartet, wird überrascht: Man befindet sich in einer Bar, wo zahlreiche Skelette munter feiern und ein Glas Tequila nach dem anderen kippen, während eine Sängerin melancholische Lieder ins Mikrophon haucht.

Die Ausstellung versammelt zahlreiche internationale Erfolgsfilme (»Nightmare before Christmas«; »Shaun das Schaf«). Hierzulande vielleicht weniger bekannt ist »Harvie Krumpet« (2003). Zunächst bedrückend entwickelt sich die Geschichte zu einer Story mit Tiefgang und viel Herz, wofür er mit dem Oscar in der Kategorie »Bester animierter Kurzfilm« ausgezeichnet wurde. Der Zuschauer begleitet den 1922 in Polen geborenen Harvek Milos Krumpetzki, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtling nach Australien kommt, durch zahlreiche Unglücksfälle, die sich in seinem Leben aneinanderreihen. Obwohl er am Tourette–Syndrom leidet, vom Blitz getroffen wird und einen Hoden verliert, bleibt Harvie stets optimistisch und lebt sein eigenes Leben. Besonders eindrücklich ist dies, als er in ein Altenpflegeheim muss, das durch hohe schlammig graue Mauern begrenzt ist. Eine Bewohnerin mit Kropf möchte sich aus lauter Einsamkeit und wegen der Tristesse des Ortes das Leben nehmen. Harvie, zunächst ebenfalls deprimiert, setzt sich dann jedoch nackt bis auf ein Paar Plüschpuschen auf die Bank an der Bushaltestelle für die Alzheimerkranken und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen.

Deutlich brachialer geht es im Musikvideo »Sledgehammer« von Peter Gabriel zu, das ebenfalls auf Knet–Ästhetik in einigen Szenenfolgen setzt, insbesondere, wo sich der Sänger von einer Knetfigur über verschiedene Zwischenstufen in einen blauen Knetstreifen verwandelt. Beni Bischof griff die Idee für merkwürdige Fratzenporträts auf, darunter eines für den Musiker Iggy Pop, das passig erscheint zu seinem derzeitigem Leinwandauftritt als Zombie in »The Dead Don’t Die«.
Die Möglichkeit eine bestimmte Knetmasse in etwas komplett Anderes zu verwandeln hilft übrigens auch der Zeichentrickfigur Mabel aus der Serie »Gravity Falls« dabei ihre Ängste zu überwinden: Ein gefährlicher Zyklop wird in einen Blinkestern mit Herzchenbrille verwandelt.

Wer nach diesem visuellen Input nun selbst aktiv werden möchte, kann entweder an die Knetbahn treten oder sich an eines der diversen Konsolenspiele setzen. »Skull Monkeys« (1998) etwa ist ein Jump’n’Run–Spiel, bei dem man einen Knetmann mit Möhrenkopf durch verschiedene Level springen lässt, dabei fleißig Knetkugeln einsammelt, welche die Lebensenergie steigern, und grobschlächtigen Affen auf den Schädel hopst, bis sie explodieren. Der Spaßfaktor ist wirklich enorm.
Freunden der Hochkultur bietet die fröhliche Schau einen besonderen Leckerbissen an: Guionne Leroys »La Traviata« (1993): Pudding, Eclairs, Fondant und Tortenfüllung auf einem Tisch machen sich hier selbstständig, formen sich zu niedlichen kleinen Figuren und tanzen zu den Klängen der bekannten Oper von Giuseppe Verdi auf eine bisher ungeschmückte Kuchenform zu.

Alles in allem bleibt die Schau dem Besucher nichts schuldig. Wer also nicht weiß, was er nächstes Wochenende mit seiner Familie unternehmen soll, dem sei ein Besuch der Ausstellung empfohlen!
Als Special für v.a. junge Besucher bietet das Museum verschiedene Workshops zu den Themen »Character–Design« und »Knet–Trickfilmen« an.

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