Ausstellungsbesprechungen

Amedeo Modigliani. Bundeskunsthalle Bonn, bis 30. August 2009

Das Schöne war lange aus der Mode in der Kunst. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als das Licht des Impressionismus verflogen war, der Jugendstil ausgedient hatte und die Welt darüber hinaus – wie im Kubismus – in Stücke zerfiel, bevor der Weltkrieg Ernst machte mit der Zerschlagung alter Ordnungen, verflüchtigte sich die Schönheit eher in die Abstraktion (Brancusi) oder sie entfaltete sich als Gegenwelt (Blauer Reiter). Alles andere hätte Kitsch sein müssen, aber Amedeo Modigliani schaffte es, die schönsten Akte zu malen, die man sich vorstellen kann – ohne ästhetische Entgleisung: Wohl dosiert fließen in sein Werk expressionistische und symbolistische, kubistische und abstrahierte, altitalische und afrikanische Züge ein.

Sein »Großer Akt« von 1919 steht in einer Linie mit Giorgiones »Schlafender Venus« und ist doch so modern wie seine Alterskollegen (von denen er Brancusi am nächsten steht). Seine Porträts, insbesondere die von Männern – Paul Alexandre, Paul Guillaume, Juan Gris, Max Jacob, Pablo Picasso, Diego Rivera –, sind keine Model-Typen, eher schräge Vögel. Landschaften gibt es nur wenige, aber sein Hauptmotiv sind ohnehin die Frauen, die sich in der Pose oft ähneln, das Haupt schräg gestellt: traurigen Blicks die eine, müde die andere, edelmütig jene usw. Allen wohnt ein Zauber, ein Mysterium inne – so will es zumindest die Bonner Kunst- und Ausstellungshalle zeigen, die dem nur 35 Jahre alt gewordenen toskanischen Maler eine spektakuläre Retrospektive widmet.

Die faszinierende Malerei mit den atemberaubend schönen Akten ist das Eine, nicht minder beeindruckend ist ein Streit, der sich bald anbahnte. Spektakulär wie die Exponate selbst tönte der Vorwurf durch das Haus, es seien Fälschungen unter den Bildern. Ohne Frage ist schon der Vorwurf, so berechtigt er sogar wohl sein könnte, ein Makel bei diesen ansonsten ungewohnt vollendet-anmutigen Bildern einer Ausstellung. Gleichwohl sind die Attacken, gepaart mit der Unterstellung einer mangelhaften Vorbereitung, recht scharf vorgetragen worden. Dabei war das Problem gefälschter Modiglianis nicht nur bekannt, sondern sorgte schon im Vorfeld zur Aussonderung etlicher fragwürdiger Gemälde. Angeblich ist mehr als die Hälfte seines Œuvres in der Vergangenheit als falsch entlarvt worden. Das lässt sich jedoch auch in aller Zurückhaltung im Katalog nachlesen. Von Fernand Léger ist sogar an der Museumswand ein Zitat aufgeklebt, das die Modigliani-Fälschungen zur Normalität erklärt. Nun wurden also weitere Arbeiten auf den Prüfstand gehoben: Der Weg der als echt präsentierten »Jungen Frau mit braunem Haar (Elvira)« von 1918 über Zeitungsannoncen ins Museum bleibt in der Tat auch ohne juristisches Verfahren verdächtig. Zur Diskussion steht auch ein »Liegender Akt (Céline Howard)« aus demselben Jahr, eine Variante des berühmten »Liegenden Akts auf roter Couch« (1917). Ein weites Feld, ist sich doch die Fachwelt bis heute nicht einig: sind es über 450 oder doch nur 350 echte Modiglianis? Ob es ein Schaden für die Ausstellung ist, lässt sich noch nicht absehen – die Besucher strömen mehr denn je, sei es, dass sie sich von der Faszination oder von der Fälschung treiben lassen. Bei Rembrandt hat man sich längst daran gewöhnt, dass sein für echt gehaltenes Werk alljährlich variiert, ohne dass dies seiner magisch anziehenden Wirkung schadet.

Man darf vor allem die Großartigkeit der Ausstellung nicht kleinreden: Hier wird nicht das skandalumwitterte Enfant terrible gezeigt, sondern der zu früh verstorbene geniale Künstler. Da passt auch der hinreißende Essay von John Updike, der im Katalog abgedruckt ist, wunderbar dazu. Vor einer Retrospektive scheute die Kunstwelt bisher zurück, mag sein, weil man sich bei der Zuschreibung in die Nesseln setzen kann, oder weil so viel Schönheit verdächtig ist. Insofern ist es den Bonner Ausstellungsmachern zu verdanken, dass die Schau zustande kam und der fraglos populäre Maler – und so kann man die Fälscherquote auch als Gradmesser deuten – ebenso als ernsthafter Künstler wahrgenommen wird. Für ein Pop-Idol taugt er heute nicht mehr. Denn seine Vita lässt sich nicht am Werk ablesen. Weder die Überzeichnungen noch die Idealisierungen dienen der Provokation, genauso wenig, wie die erotische Ausstrahlung der malerischen Schönen, die einst die Ordnungshüter auf den Plan rief, heute noch jemanden aufregen könnte. Heute ist die Strahlkraft fast poetisch, still, doch nie irgendwie bloß gefällig. Mit dem Wandel des Schönheitsbegriffs in der Moderne hat sich das Werk Modiglianis in ein facettenreiches, zauberhaftes Eigenuniversum verwandelt.

Weitere Informationen

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.
 

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