Ausstellungsbesprechungen

Andreas Gursky. Architektur

Darmstadt steht im Jahr 2008 ganz im Zeichen der Architektur: Vor 100 Jahren wurden der berühmte Hochzeitsturm und das Ausstellungsgebäude von Joseph Maria Olbrich eingeweiht – sie wurden zur architektonischen Krönung der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe und zum Wahrzeichen Darmstadts.

Diese »Stadtkrone« wird mit einem umfangreichen Jubiläumsprogramm gefeiert, das, so das Programm, »ausdrücklich das Nachdenken über die Rolle der Architektur als essentiellen Lebensraum des Menschen befördern will«. Ein Highlight des Festjahres ist die Ausstellung »Andreas Gursky. Architektur« im Ausstellungsgebäude Mathildenhöhe.

Der gebürtige Leipziger Andreas Gursky (*1955) ist derzeit einer der bedeutendsten zeitgenössischen Fotografen. Bekannt geworden ist er für seine großformatigen, meist aus mehreren Aufnahmen montierten Arbeiten, die räumliche Situationen, mal bevölkert, mal menschenleer, zeigen. In detailreichen Fotobildern, denen ein zentraler Gegenstand fehlt, spielt der Fotograf mit der Perspektive und der Wahrnehmung des Betrachters – die Bilder schwanken zwischen extremer Nahsicht und Makroperspektive.

In Darmstadt wird eine Auswahl von vierzehn Fotografien aus den letzten zwanzig Jahren präsentiert, die verschiedene Annäherungsweisen Gurskys an Architektur und Raumdarstellung zeigen. Die älteste Fotografie in der Ausstellung, »Uni Bochum«, 1988, ist zugleich auch eine seiner frühesten Arbeiten.

Hier begegnet der Betrachter noch dem »klassischen« Blick aus einer Säulenarchitektur hinaus in die Landschaft – allerdings sind die Säulen nicht Teil eines Tempelbaus, sondern des modernistischen Universitätsbaus in Bochum. Der Landschaftsausschnitt wirkt unauffällig, der Blick geht in einen unscharfen und blassen Tiefenraum – noch, denn in späteren Arbeiten wird die Perspektive aufgehoben bzw. manipuliert.

Bei »Paris, Montparnasse« (1993) etwa ist der Hintergrund/Horizont nur noch auf einen grauweißen Farbbalken reduziert, der kein Gefühl mehr für Räumlichkeit vermittelt.

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Zu sehen ist »nur« die Hauswand eines Pariser Wohnblocks – übrigens des größten der Stadt –, ein typischer Bau der 1960er Jahre, in dem sich Wohneinheit an Wohneinheit, Fenster an Fenster reiht. Das Raster der Fenster sowie der Detailreichtum ihrer Wiedergabe entwickeln einen ganz eigenen Bildrhythmus, der die Fotografie strukturiert – wobei man wissen muss, dass hier nicht nur zwei Aufnahmen zusammenmontiert, sondern auch die Anordnung der Fenster komponiert wurden. Im Einerlei der Fensterwand sucht der Betrachter nach dem Übergang, dem Fehler, der Störung in der Masse – wo wurde zusammengesetzt, wo wurde manipuliert, wo ist eine Stelle, die sich von den anderen unterscheidet und ins Auge springt? Diese Detailsuche funktioniert nur vor dem Original – kaum eine Repro kann die Riesenformate von oft 2 m x 3 m oder mehr so genau wiedergeben. (Es ist übrigens die Färbung der Fenster in »Paris, Montparnasse«, die Hinweise gibt auf die Montage – sie sind mal kräftiger, mal blasser getönt.)

Neben weitere Außenbau-Aufnahmen – etwa einer Nachtfotografie der Sixth Avenue in Manhattan (»Avenue of the Americas«, 2001) und von dem »Copan«, einem Wohngebäude von Oskar Niemeyer in São Paulo (»Copan«, 2002, eine der eindrucksvollsten Montagen der Ausstellung) – treten mehrere Innenraum-Aufnahmen. Vor allem in diesen Arbeiten wird deutlich, wie die architektonische Struktur der fotografierten Bauten bei Gursky auch zur Struktur des Bildes wird.

Die Aufnahme der U-Bahnstation »São Paulo, Sé«, 2002, das Titelbild der Ausstellung, wird von den balkonartigen Stockwerken gegliedert. Hier bricht Gursky mit der Seherfahrung des Betrachters durch die manipulierte perspektivische Verzerrung der Architektur. Ihre Wiedergabe stimmt mit den natürlichen, gewohnten Proportionen nicht mehr überein, eine räumliche Tiefenwirkung kommt kaum zustande. Die Menschen, die die Etagen der Bahnstation bevölkern, sind dabei winzig klein und kaum als Individuen erkennbar. Somit bilden die architektonischen Elemente die wesentliche Grundlage des Bildaufbaus. Gurskys Architekturfotografien wirken – trotz der Fülle an Details – ungegenständlich und zeigen, verstärkt noch durch das übergroße Format, ungewöhnliche, ungewohnte Ansichten.

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Insgesamt ist die Ausstellung »Andreas Gursky. Architektur« mit zwei Sälen überschaubar gestaltet. Dadurch beeindrucken die gezeigten Arbeiten von Gursky umso mehr. Ein vierseitiges Faltblatt vermittelt Informationen zu den Fotoarbeiten; die Frage, nach welchen Kriterien sie ausgewählt und angeordnet wurden, bleibt jedoch leider unbeantwortet.

Begleitet wird die Ausstellung von einem umfangreichen Katalogbuch mit Essays von Ralf Beil, Gernot Böhme und Francesca Ferguson sowie Bildkommentaren zu den ausgestellten Werken.

Zu sehen ist übrigens auch eine Version des berühmten Werkes »99 Cent«, 1999, das 2006 zum Rekordpreis von 2,26 Millionen Dollar bei Sotheby’s New York versteigert wurde. Damit stellt es die derzeit teuerste zeitgenössische Fotografie dar. Auch gezeigt werden zwei der jüngsten Arbeiten Gurskys mit einer ungewohnten Ansicht der Cheops-Pyramide, »Cheops« (2005), und einer Aufnahme aus dem Tank des japanischen Neutrino-Detektors Super-Kamiokande, »Kamiokande« (2007), die Erinnerungen an den Film »Matrix« und die Op Art hervorruft.

 

Weitere Informationen

 

Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr
Donnerstag 10 – 21 Uhr

11. und 12. Juli: Wegen des Olbrich-Symposiums ist die Ausstellung »Andreas Gursky. Architektur« am Freitag, 11.7. ab 13 Uhr und am Samstag, 12.7. ausnahmsweise geschlossen.

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