Buchrezensionen, Rezensionen

Andreas Tacke/Franz Irsigler (Hg.): Der Künstler in der Gesellschaft. Einführungen zur Künstlersozialgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, WBG Darmstadt 2011

Wie sah der Alltag in einer spätmittelalterlichen, frühneuzeitlichen Künstlerwerkstatt aus? Die Soziologie der Kunst ist eine Landkarte mit vielen blinden Flecken, doch sie beginnt sich zunehmend mit neuen Mosaiksteinen zu füllen. In dieser Hinsicht ist das vorliegende Buch ein Desideratum und das Resultat eines vielversprechenden Initialprojektes. Ulrike Schuster hat es sich angeschaut.

Ausgehend von einer Lehrveranstaltung an der Universität von Trier im Sommersemester 2006, beleuchteten die beiden Herausgeber zusammen mit einer engagierten Gruppe von Studierenden das Thema unter interdisziplinären Gesichtspunkten. Daraus reifte die Idee zur Konzeption eines Sammelbandes heran, der anhand von speziellen Fallbeispielen Einblicke in die Lebenswelt von Künstlern im Mittelalter und der Frühen Neuzeit gewähren sollte. Eine Schnittmenge zwischen Geschichts- und Kunstwissenschaften, wie die Herausgeber betonen, die Aspekte zusammenzuführen vermag, die bisher in den Fachdisziplinen verstreut lagen.

Inhaltlich hat man sich in der Darstellung der Fallgeschichten auf vier große Themenkomplexe konzentriert, die sozusagen von der Wiege bis zur Bahre reichen. Als bedeutender Anhaltspunkt erweist sich hierbei die kritische Analyse von Vorschriften, Ordnungen und Verboten. Die Regelwerke konnten je nach Region und Zeitpunkt ihrer Verfassung natürlich höchst unterschiedlich ausfallen, doch schnell wird eines offensichtlich: ein strenges Korsett an Gesetzen und Pflichten – aber Privilegien und Rechten – begleitete den spät- und nachmittelalterlichen Künstler auf sämtlichen Schritten seiner Berufslaufbahn.

Vom Status her galt er als Handwerker und musste damit in seine Zunft eingegliedert sein. Nur so war es ihm gestattet, sich am gewählten Wohnort niederzulassen, seinen Hausstand zu gründen und seiner Profession nachzugehen. Die Zunftregeln legten die Anzahl der Mitglieder fest und regulierten Menge, Güte und Preise der Produkte. Sie bestraften unlauteren Wettbewerb und natürlich suchte man, unerwünschte Konkurrenz möglichst außen vor zu halten. Der organisatorische Rahmen ermöglichte es, für die Qualität ihrer Erzeugnisse bürgen. Andererseits reichten die strengen Bestimmungen bis tief in die private Lebensführung hinein.

Schon allein die Aufnahme des Lehrjungen verlangte den Nachweis einer freien, ehelichen und ehrlichen Geburt. Wer schließlich langen und prüfungsreichen Weg über Lehr- und Gesellenjahre erfolgreich absolviert hatte, musste neben den erworbenen Fähigkeiten auch einen geordneten Hausstand vorweisen, um endgültig als Meister zugelassen zu werden. Im Allgemeinen erfuhren Meistersöhne (beziehungsweise –schwiegersöhne sowie Gesellen, die Meisterswitwen ehelichten) gegenüber Bewerbern von außen eine weitgehende Bevorzugung.

Zu den Arbeitsgebieten eines Künstlers zählte ein weites Aufgabenspektrum, das wir heute im Kunstgewerbe einordnen würden: Etwa das Ausbessern und Restaurieren von Altären und älteren Bildwerken, das Fassen und Vergolden von Schnitzwerken, die Herstellung oder Reparatur von Uhrwerken und dergleichen. Bei großen Aufträgen agierten renommierte Handwerksmeister nicht selten als Unternehmer, die Subaufträge an weitere Künstler vor Ort weitergaben.

Als angesehene Bürger füllten sie oftmals städtische Ämter aus oder betätigten sich unternehmerisch auf „kunstfernen“ Gebieten: Tilman Riemenschneider hatte in seiner Heimatstadt Würzburg unter anderem das Amt des städtischen Baumeisters, des Fischereimeisters, des Kapellenpflegers, des Steuerherrn und schließlich des Bürgermeisters inne. Albrecht Dürers Schwiegervater Hans Frey, ein wohlhabender Rotschmied zu Nürnberg, besaß Bergwerksanteile. Lukas Cranach d.Ä. wiederum konnte in Wittenberg einen beeindruckenden Immobilienbesitz erwerben und betrieb eine Apotheke nebst Weinausschank.

Hatte es ein Künstler erst einmal zu Ansehen gebracht, so konnte er besondere Privilegien in Anspruch nehmen. Agnes Dürer vermochte sogar ein „Copyright“ zur Veröffentlichung der Druckwerke ihres verstorbenen Mannes zu erwirken (welches in der Praxis, nicht anders als heute, von der Konkurrenz umgangen wurde). Aber auch die Schöpfer der großen Meisterwerke, welche uns heute so zeitlos vor Augen stehen, standen nicht außerhalb des tagespolitischen Geschehens. Darauf weisen die Beiträge im letzten Abschnitt hin, die sich mit Verwicklungen einiger der Protagonisten in den politischen Wirren der Reformationszeit, des Bildersturms und der Bauernkriege auseinander setzen.

Die publizistische Aufbereitung des Sammelbandes folgt einer gut organisierten Struktur: Jede Fallgeschichte beginnt mit einer allgemeinen Einführung, betreffend die Vita eines Protagonisten und die Rekonstruktion seines Lebensumfeldes. Danach wird die betreffende Quelle ungekürzt wiedergegeben, sowohl in Originalschreibweise als auch in moderner Transkription. Die anschließende Kontextualisierung erläutert die Schlussfolgerungen daraus und ihren Bedeutungsgehalt in Bezug auf das Thema in seiner Gesamtheit.

Damit lässt sich das Buch auf unterschiedlichen Ebenen verwenden, sowohl als Einführung in das komplexe Thema als auch zum Vertiefen in die sorgsam ausgesuchten Quellen – und mit ausreichenden Hinweisen auf weiterführende Literatur.

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