Buchrezensionen

Andrew J. Mitchell: Heidegger unter Bildhauern. Körper, Raum und die Kunst des Wohnens. Aus dem Englischen von Peter Trawny, Klostermann 2018

Mit dem Verhältnis Martin Heideggers zur Bildhauerei hat sich Andrew J. Mitchell auseinandergesetzt. Stefan Diebitz hat sich das interessante Buch angesehen.

Es sind drei Bildhauer, denen sich Heidegger mit Sympathie und Verständnis genähert hat. Der erste war Ernst Barlach (1870 – 1938), von den Nationalsozialisten verfemt und doch vom Parteigenossen Heidegger geschätzt; der zweite war in der Nachkriegszeit Bernhard Heiliger (1915 – 1995), der dritte in den sechziger Jahren der Spanier Eduardo Chillida (1924 – 2002), mit dem zusammen er sogar ein Buch herausgebracht hat. Also drei sehr unterschiedliche, in ihrer Art sehr bedeutende Künstler, von denen Heidegger zweien tatsächlich begegnete. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich in dem schmalen Werk mit Pallas Athene. Die „Kunst des Wohnens“, obwohl im Untertitel angekündigt, wird eher stiefmütterlich behandelt. Das Buch enthält zahlreiche Abbildungen – teils der angesprochenen Plastiken, teils werden die Begegnungen Heideggers mit den Künstlern dokumentiert.

Der Autor, Philosophieprofessor am Emory College of Sciences and Arts in Atlanta, ist bereits mit etlichen Veröffentlichungen zu Heidegger hervorgetreten. Man kann es nur bewundern, wenn ein englischsprachiger Autor sich auf die sprachlich so extrem anspruchsvollen Werke Heideggers einlässt, und auch die Arbeit des Übersetzers kann man sich gar nicht schwierig genug vorstellen. Dabei ist dieser Übersetzer prominent genug, denn Peter Trawny ist als Herausgeber der „Schwarzen Hefte“ auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden.

Das Thema spielt in der Heidegger-Literatur überhaupt keine Rolle. In der großen Biografie aus der Feder Rüdiger Safranskis wird zwar Franz Beckenbauer erwähnt, nicht aber Barlach, Heiliger und Chillida. Und auch sonst scheinen die Begegnungen Heideggers mit den drei Bildhauern kaum Niederschlag gefunden zu haben.

Wer an Heidegger und die Kunst denkt, dem werden seine Hölderlin-Deutungen vor Augen stehen und noch dazu der „Ursprung des Kunstwerks“, jener Großessay aus den Vorkriegsjahren, in dem Heidegger Van Goghs Abbildung von Bauernschuhen zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht – ein oft und mit Recht bespöttelter Vorgang, denn etliche Passagen dieses langen Aufsatzes gerieten zu einem peinlichen Kitsch, wogegen andere wiederum erhebliche Einsichten verraten. Aber nach meiner Überzeugung sind es Einsichten, in denen nicht die Kunst im Fokus steht, sondern die Ontologie, also „Die Frage nach dem Ding“, wie ein anderes Buch Heideggers heißt. Es ist das „Dinghafte“, um das es ihm in seinem Aufsatz geht, in dem er das „Insichstehen des Werkes“ offenlegen möchte.

Was in Heideggers Analyse des Kunstwerkes nicht zählt, sind Arbeitstechniken, Fragen nach dem Entwurf oder dem Verhältnis zur Tradition, also die eigentlich kunstgeschichtlichen Fragestellungen; diese geraten ihm nicht nur nicht in den Blick, sondern werden geradezu systematisch ausgeblendet. Ein fragwürdiges Verfahren! Denn der historische Kontext ist doch nicht bloß ein bewährtes Thema für Dissertationen, sondern bestimmt das Selbstverständnis von Künstlern, die in eine bestimmte Zeit gehören und ihr verpflichtet sind, die von Vorbildern lernen und sich gleichzeitig von der Tradition absetzen. Und auch wenn man nichts über ihre Urheber weiß, ordnen sich Kunstwerke aller Art quasi von selbst in die Geschichte der Kunst ein – sie sind in sich selbst geschichtlich.

Die Fragwürdigkeit von Heideggers ahistorischem Verfahren zeigt sich besonders in dem dritten Kapitel dieses Buches, in dem sich Mitchell mit einem Vortrag beschäftigt, den der gefeierte Philosoph 1967 in Athen über zwei Reliefs mit Abbildungen von Athene gehalten hat. Die Darstellung der Athene, die Herkules hilft, den Himmel zu halten – Atlas muss seine Hände befreien, um die Äpfel der Hesperiden pflücken zu können –, ist wenig mehr als bloßer Anlass für Heideggers freies Assoziieren. Tatsächlich gibt es vom Kunstwerk her überhaupt keinen Grund, auf Homer zu sprechen zu kommen, von wo Heideggers Assoziationskette ihren Anfang nimmt, die irgendwie ins Irgendwo führt.

Man sollte hier an Malraux‘ großartige „Stimmen der Stille“ mit dem Kapitel über die „Verwandlungen des Apollon“ (nämlich in eine Buddha-Statue) erinnern – ist das nicht der absolute Gegensatz zu Heideggers Zugriff? Malraux stellt uns eine Kette von Verwandlungen vor, die von dem griechischen Urbild ausgehen, ohne dass er auf die Mythologie zu sprechen käme – weder auf die griechische noch auf die buddhistische –, für Heidegger dagegen kommt nicht einmal in den Blick, dass es sich um ein Relief handelt, um eine sogenannte „Metope“, die sich im Fries eines griechischen Tempels befindet. Seine Deutung ist vollkommen freischwebend.

Schon im „Ursprung des Kunstwerks“ wird die Bildhauerei angesprochen, aber doch nur an zwei beiläufigen Stellen, an die nur wenige denken werden, wenn sie sich an diesen Essay erinnern. So wird die intensive Beschäftigung Heideggers mit der Bildhauerei viele Leser überraschen, zumal es drei Künstler sehr verschiedener Art sind, die uns in diesem Büchlein begegnen. Aber es sind drei bedeutende Künstler. Vielleicht hilft uns Mitchells Buch, ihre anspruchsvollen Plastiken mit der Hilfe eines großen Philosophen besser zu verstehen? Oder kann allein das Interesse an Heideggers verstiegener Spätphilosophie die Lektüre motivieren?

Heidegger wurde 1927 mit „Sein und Zeit“ berühmt, einem Werk, in dem es wohl erstmals in der Geschichte der Philosophie um den Menschen in seinen alltäglichen Bezügen geht; dort ist der Mensch ein Wesen, dessen erster und ursprünglicher Weltzugang ein praktischer ist. So kommt Heidegger dazu, Begriffe wie „Zuhandenheit“ und „Zeug“ einzuführen, um die Sorge zu analysieren, die sich auf unseren Alltag richtet und in der zusätzlich der Ablauf der Zeit und damit unser zukünftiger Tod thematisch werden. Es ist also die Zeit, die er dort analysiert, wogegen in seinen Betrachtungen über das Wesen der Plastik der Raum in den Mittelpunkt rückt.

Leider ist es so, dass Mitchell sich in dem Referat der Heideggerschen Ausführungen nicht immer von dessen merkwürdigem Privatvokabular löst, sprich gelegentlich selbst kräftig heideggert – so ist die Lektüre mancher Passagen kein Vergnügen. Besonders gilt das für die Einleitung; später liest sich das Buch viel angenehmer. Auch lässt Mitchell hier und dort den kritischen Abstand vermissen. Unter anderem ist es fragwürdig, wie in Heideggers Analysen der Gegensatz von Mensch und dem ihn umgebenden Raum überspielt wird. „Nichts bleibt in seinen Grenzen“, so referiert Mitchell Heideggers Überlegungen in dem Kapitel über Chillida, ohne hierzu kritisch Stellung zu nehmen. Wird hier nicht ein mystisches Erlebnis geschildert, in dem der Mensch mit Gott oder irgendetwas sonst zusammenfließt? Wäre es nicht die Aufgabe des Autors gewesen, die Hochschätzung der Mystik zu problematisieren?

Dagegen fehlt jede Thematisierung der Bewegung – sowohl in der Philosophie Heideggers als auch in den Plastiken Chillidas oder den Überlegungen Mitchells. Aber: Wie anders als in der Bewegung erfahren wir den Raum? Bei der Betrachtung der Plastiken Barlachs und Heiligers hätte der Autor ohne weitere Umwege darauf zu sprechen kommen können, denn Bewegung kennt besonders die lodernde „Flamme“ Heiligers, die riesengroße Plastik auf dem Ernst-Reuter-Platz in Berlin. Aber allein der Umgang Heiligers mit dem vergänglichen Material wird von Mitchell angesprochen – darin wird der Ablauf der Zeit natürlich auch thematisch, aber es ist nur eine Art Vanitas-Motiv, nicht jedoch unsere Eigenbewegung, in der wir selbst den Raum erfahren.

Bei den Arbeiten Barlachs – Heideggers Blick auf ihn und seine Sympathie wird im ersten Kapitel behandelt – rückt die „Formlosigkeit“ seiner Skulpturen in den Mittelpunkt. Das klingt zunächst erstaunlich, denn schließlich stellen die Plastiken Barlachs bevorzugt Menschen in typischen Stellungen dar, an die man sich noch lange erinnert. Aber verständlich wird die Betonung der Formlosigkeit, wenn man sie, wie es Mitchell tut, in den Gegensatz zu nationalsozialistischen Plastiken stellt, zum Beispiel jenen von Arno Breker. Über dessen Figuren notiert Mitchell, dass die „Bedeutung des Körpers […] in seiner feinen muskulösen Artikulation“ liege. Barlachs Skulpturen dagegen, schreibt er mit einer paradoxen Wendung, „sind mehr geformt als jeder Nazi-Körper es sein könnte, gerade durch ihre Weigerung, Form zu verdinglichen oder zu kristallisieren“. Die Lektüre dieses Kapitels macht wirklich den Abstand Barlachs zur nationalsozialistischen Kunst deutlich, und es ist ein Abstand, der sich durch weit mehr als die Ideologie erklärt.

Für mich, der zuvor nichts über Heideggers Verhältnis zur Bildhauerei wusste, war es erstaunlich, wie sehr er sich zeitgemäßer Kunst zuwandte. Wer also denkt, dass er wie die Nationalsozialisten den Kitsch der dreißiger Jahre hochhielt, der sieht sich angenehm enttäuscht. Mit Leuten wie Breker hatte er nichts im Sinn. Heiliger war ebenso ein Avantgardist wie Chillida, und über einen so gewaltigen Künstler wie Ernst Barlach braucht man gar nicht erst zu reden. Offensichtlich besaß Heidegger wirklich ein tiefes Verständnis für diese Kunst und stieß bei Heiliger und Chillida auch auf Respekt, ja Sympathie, als er ihnen begegnete. Es ist sowohl für das Verständnis Heideggers als auch der Künstler wichtig, dass diese Begegnungen jetzt in einer eigenen Studie thematisiert werden, und es geschieht auf eine sehr kompetente Art, denn Mitchell ist offensichtlich ebenso ein intimer Kenner Heideggers als auch ein verständnisvoller Interpret der Skulpturen.

Titelangaben

Andrew J. Mitchell
Heidegger unter Bildhauern. Körper, Raum und die Kunst des Wohnens
Klostermann, ISBN: 978-3-465-04351-5, Ladenpreis 24,80 €

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