Buchrezensionen, Rezensionen

Anette Creutzburg: Die heilige Birgitta von Schweden. Bildliche Darstellungen und theologische Kontroversen im Vorfeld ihrer Kanonisation (1373-1391), Verlag Ludwig 2011

Viele Darstellungen des weihnachtlichen Geschehens der Geburt Christi gehen auf eine Vision der heiligen Birgitta von Schweden zurück. Nun legt die Kunsthistorikerin Anette Creutzburg ein Buch vor, das sich mit solchen Bildern befasst, die das Leben und die Offenbarungen der Mystikerin vor ihrer Heiligsprechung zum Hauptgegenstand haben. Franz Siepe hat sich von dem schönen und instruktiven Band erfreuen und belehren lassen.

Es handelt sich bei Anette Creutzburgs Buch um die — auch hinsichtlich der Herstellung hochwertige — Druckfassung ihrer kunstgeschichtlichen Dissertation, die im Rahmen des Kieler Graduiertenkollegs »Imaginatio borealis. Perzeption, Rezeption und Konstruktion des Nordens« entstanden ist. Dieses Projekt hatte untersucht, welche mentalen Bilder und diskursiven Konzepte über den Norden vom Mittelalter bis heute existierten und geschichtsrelevant geworden sind. In diesen Forschungszusammenhang fügen sich freilich Vita, Werk und Wirkung der Nordländerin Birgitta von Schweden trefflich ein.

Die Mystikerin, der zahllose Offenbarungen (Revelationes) zuteil wurden, wird seit 1999 als Co-Patronin Europas verehrt, hatte aber zu Lebzeiten als Frau, die kirchliche Missstände kritisierte und zudem geografisch nicht aus dem katholisch-kulturellen Zentrum, sondern aus der Peripherie des — traditionell nicht eben wohl beleumdeten — Nordens stammte, manche Widerstände zu überwinden.

Geboren wurde die Aristokratentochter mit verwandtschaftlicher Verbindung zum schwedischen Königshaus 1303 bei Uppsala, brachte in ihrer Ehe mit Ulf Gudmarsson acht Kinder zur Welt, verwitwete 41-jährig und starb 1373 in Rom. Als sie nur wenig später von Papst Bonifaz IX. zur Ehre der Altäre erhoben wurde, spielte die Heiligsprechungsurkunde auf Birgittas nördliche Herkunft wie auch auf die Tatsache ihrer Weiblichkeit an. In der hohen Sprache metaphernreicher Theologie verlautbarte der Heilige Stuhl 1391: »Wahrlich aber hat in den jüngsten Tagen — damit auch von Norden her Gutes kommen möge — jener himmlische Weingärtner [...] eine starke Frau, die ihren Wert mit sich herbrachte, herbeigeführt ...«.

Birgittas Weihnachtsvision ereignete sich 1372 während einer Pilgerreise in Bethlehem. Noch vor ihrem Tod muss der Inhalt dieser Offenbarung in Neapel kursiert sein, denn schon vor 1375 entstanden dort drei Tafelbilder, gemalt von Niccolò di Tommaso, welche als die frühesten Beispiele des später so populären »birgittinischen Typs« der Christusgeburt gelten. Der Meister gestaltete die Weihnachtsszene eng angelehnt an Birgittas Schauung und platzierte die Seherin selbst im Witwengewand in die rechte untere Bildzone. Ein Strahlenkranz um ihr Haupt signalisiert ihre kommende Heiligkeit und antizipiert den Nimbus, der erst nach einer offiziellen Kanonisierung das Haupt umfangen darf.

Auf die knappste Formel gebracht, zeichnet sich der birgittinische Typ der Geburtsikonografie dadurch aus, dass Maria im Unterkleid das gerade von ihr jungfräulich zur Welt gebrachte Erlöserkind kniend anbetet. Das Christkind liegt dabei  seltsamerweise nackt, also noch nicht in Windeln gewickelt  auf dem Erdboden; und es geht ein helles Leuchten von ihm aus.

In der Lübecker Marienkirche befand sich jahrhundertelang ein Schnitzaltar, der auf einem seiner Flügel die Christusgeburt auf birgittinische Art um 1425 darstellte. 1942 verbrannte dieses Meisterwerk bei einem Bombenangriff, doch sind gottlob noch Fotos vorhanden. Offenbar hatte die Hansestadt seit je ein besonders enges Verhältnis zur schwedischen Mystikerin: Die erste vollständige Druckausgabe der lateinischen Fassung ihrer »Revelationes Celestes« erschien 1492 in Lübeck.

Allerdings gilt das primäre Forschungsinteresse Anette Creutzburgs nicht Birgittas Weihnachtsvision, sondern der Untersuchung des Bildprogramms der frühesten illuminierten Handschriften der Offenbarungen Birgittas, das die Strategie verfolgte, die Orthodoxie der starken Frau aus dem Norden zu dokumentieren und die Authentizität ihrer Visionen illustratorisch zu untermauern. Dabei berücksichtigt sie die einschlägigen theologischen Grundsätze jener Zeit und zieht minuziöse, sehr überzeugende Vergleiche zu anderen, bereits etablierten legitimitätssverbürgenden Bildformeln.

Nun war die Schlüsselfigur im Prozess der Heiligsprechung Birgittas der Eremit und ehemalige Bischof Alfonso von Jaén, der unter anderem auch über ausgezeichnete Beziehungen zum neapolitanischen Königshaus der Anjou verfügte. In Birgittas letzten Lebensjahren fungierte Alfonso als ihr Beichtvater und Vertrauter, war an der Herausgabe ihrer Offenbarungen maßgeblich beteiligt und nahm auch Einfluss auf die Konzeption der künstlerischen Ausstattung.

Drei dieser ersten, vom »Maestro del Liber Celestium Revelationum« und vom »Maestro del Seneca dei Girolamini« in Neapel gefertigten Codices haben sich erhalten und werden heute in Warschau, New York bzw. Palermo aufbewahrt. Die »neapolitanische Trias«, wie Creutzburg sie bezeichnet, präsentiert »ein geschlossenes ikonografisches Programm, das sich aus den ganzseitigen Miniaturen und historisierten Initialen zusammensetzt«.

Den Miniaturen ist gemeinsam, dass Christus und seine bräutliche Mutter Maria diejenige überirdische Autorität repräsentieren, durch die Birgittas Offenbarungen legitimiert sind. Kompositorisch herrscht ein in unterschiedlichen Ausführungen gestaltetes hierarchisches Übereinander von himmlischer und irdischer Sphäre, wobei aber — und das ist das Entscheidende — folgendes sichtbar gemacht wird: Birgitta auf unserer Erde empfängt das erleuchtende himmlische Wort Gottes. So korrespondieren Oben und Unten, Transzendenz und Immanenz. Birgitta ist, so der Tenor der Miniaturen, eine privilegierte Adressatin des »Verbum Dei«, des göttlichen Wortes. Ihre Visionen verbürgen, dass das im Diesseits offenbarte himmlische Licht jede Annahme eines strengen Dualismus von Gottheit und Menschheit versöhnend überstrahlt.

Einheitlich ist das ikonografische Programm der historisierten Initialen an verschiedenen Textanfängen. Die dreizehn ausgemalten Großbuchstaben, die — wie auch die ganzseitigen Miniaturen — oben die himmlische Inspirationsquelle und unten Birgitta in Witwentracht und stets mit lichtumstrahltem Haupt zeigen, unterzieht Creutzburg einer gründlichen Betrachtung. Einmal war auch die Mystikerin vom Satan versucht worden, doch Christus selbst hatte sie gelehrt, dass der Böse weicht, wenn man ihm sagt, dass die von Gott entzündete Liebesglut größer ist als die vom Teufel entfachte. Jeder, der ein Exemplar der birgittinischen Offenbarungen zur Hand nahm, wurde mithin auch vom Medium Bild davon überzeugt, dass die Seherin aus dem hohen Norden eine wahre Prophetin Gottes gewesen und der Heiligsprechung würdig ist.

Unbestreitbar hat sich in Creutzburgs Untersuchung, die im Spiegel der Birgitta-Bilder zugleich ein Kulturpanorama des späten 14. Jahrhunderts aufscheinen lässt, eine überaus intensive und extensive Forschungsleistung kondensiert. Zu preisen ist schließlich die in hoher Qualität reproduzierte Auswahl der Farbtafeln im Anhang. Wenn man partout etwas monieren möchte, so wäre es die Fülle an Wiederholungen im ansonsten vorzüglich lesbaren Text. Wer zu Weihnachten 2011 Anette Creutzburgs Buch auf dem Gabentisch findet, hat gewiss ein frohes Fest!

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