Wer dem Menschen Angelika Kauffmann (und nicht so sehr der Malerin) näher kommen möchte, der sollte dieser Tage zunächst am Landesmuseum des Vorarlberg vorbeifahren und sich in den Bregenzerwald hinaufschrauben. Dort, in dem winzigen Örtchen Schwarzenberg, hat man dieses unbeschreibliche »Dach-der Welt«- Gefühl:
Ein Blick in die Unendlichkeit, ein von allen Wiesenkräutern schwangerer Heuduft, in der Mitte des völlig verschindelten Biedermeierdorfes, gleich neben zwei herrlichen Gasthöfen, die Kirche und der Friedhof mit kunstvoll geschmiedeten Grabkreuzen dicht an dicht. Man versteht auf Anhieb: Dies ist eine Gegend, in der man die Zeit anhalten und Wurzeln schlagen möchte.
Das ist und war die Welt Angelika Kaufmanns, ihr »Vaterland«. Eine Welt freilich, in der sie nur wenige Monate ihres Lebens verbrachte. Denn eigentlich war sie von klein auf nur unterwegs; und streng genommen war sie ja auch eine Schweizerin, erblickte sie doch am 30. Oktober des Jahres 1741 in der nahen Bischofsstadt Chur das Licht der Welt. Doch in Schwarzenberg sah sie ihr seelisches Zentrum. Das Heimatmuseum, etwas oberhalb des Dorfes gelegen, der alte, im Kern auf das Jahr 1556 zurückgehende Kleber-Hof, mit niedrigen Stuben und vollgestopft mit bäuerlicher Alltagskultur, wurde in den letzten Monaten umgebaut. Die hangwärtige Scheune wurde zu einem modernen Ausstellungssaal umgemodelt. Hier befindet sich das Selbstporträt der erst Zwölfjährigen (1753, Innsbrucker Landesmuseum): ein pausbäckiges Mädchen mit dichtem Haar, das sich wie der junge Mozart mit einem Notenblatt in der Hand als Wunderkind präsentiert.
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Erst drei Jahre später zeigt sich Angelika entschieden in den Fußstapfen ihres Vaters, eines Malers in den Diensten des Churer Bischofs, der Grafen von Montfort und der oberitalienischen Aristokratie. Von nun fällt sie nicht mehr wegen ihrer ungewöhnlich schönen Stimme und ihres Cellospiels auf, sondern wir sehen auf dem Gemälde aus den Uffizien eine keinen Zweifel an ihrer Bestimmung lassende Tochter in der Tracht einer Bregenzerwäldlerin mit Malstock und Palette. Die beiden großformatigen Gemälde, welche ihrem Leichenzug voraus getragen wurden, dienen dem Besucher als Blickfang einer kleinen Gedenkschau, die vor allem die Heimatverbundenheit Angelika Kauffmanns bezeugt.
Bis zum Ende ihres Lebens ist die wie keine andere Frau ihres Jahrhunderts gefeierte Malerin diesem Dorf treu geblieben. Das beweisen die zahlreichen Briefe und großzügigen Wechsel, welche sie regelmäßig der Verwandtschaft zukommen ließ – das posthume Vermächtnis ihres Œuvres, nicht zuletzt aber die Bilder der Pfarrkirche, insbesondere das Hochaltarblatt mit der Krönung Mariens: eine klare, klassizistisch beruhigte Komposition mit der raffaelesken Gottesmutter im Schnittpunkt zweier sich kreuzender Diagonalen. Unverständlich, dass solch ein Bild bei seiner Ankunft im September 1802 wochenlang für Aufruhr sorgte.
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Unten im Tal, im Bregenzer Landesmuseum, ist anlässlich des 200. Todestags eine umfangreiche Retrospektive zusammengestellt worden. Die ohnehin große Sammlung an Kauffmann-Bildern wurde sehr geschmackvoll und aufwändig ergänzt. Die Bilder präsentieren sich bei hochsommerlichen Temperaturen in eiskalten, abgedunkelten Räumen, die in einem neutralen Grau getüncht sind wie die Schlicksäume des Bodensees. Als Leihgeber fungieren illustre Namen: die Fürstlich-Liechtensteinische Sammlungen in Vaduz–Wien, die Neue Pinakothek in München, die Staatliche Kunstsammlungen Dresden, das Bündner Kunstmuseum in Chur, das Kunsthaus Zürich, die Uffizien aus Florenz und daneben private Sammler und gleich eine ganze Reihe von Wiener und Londoner Galerien. Schon im Treppenaufgang wird dem Besucher mittels großer Städteveduten von Chur, London und Rom und prägnanter Zitate der Zeitgenossen verdeutlicht: Wir haben es mit einer Bilderbuchkarriere zu tun, mit einer starken Frau, die alles miteinander verband, was spektakulären Erfolg garantierte: Talent und Fleiß, gewandtes Auftreten und Internationalität, Schönheit und Charme, Sinn für den Zeitgeschmack und das Geschäft, Glück und die richtigen Beziehungen zu den richtigen Leuten.
Der Kurator und Herausgeber des sehr schönen, bei Hatje Cantz erschienenen Katalogs, Tobias G. Natter, scheint geahnt zu haben, dass den heutigen Besucher vor allem eine Frage beschäftigt, die er unausgesprochen ins Zentrum rückt: Was ist das, was diesen Erfolg erklärt? Ihre Malerei allein kann es kaum. Vermutlich ist die Erklärung nur in der glücklichen Koinzidenz vieler Umstände zu finden.
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In der Jugend saugt Angelika Kauffmann mit wachem Sinn alle Einflüsse auf, die sich ihr bieten: Nachzeichnungen von Tizians Pesaro-Madonna oder von Rembrandt sind zu sehen (der auch überdeutlich bei dem Selbstbildnis von 1781 aus dem Tiroler Landesmuseum Pate stand). Und ein Zweites: Gerade die Nähe zu Italien war hier besonders förderlich. So benutzt sie Radierungen nach Piazetta, als sie zusammen mit dem Vater in der Pfarrkirche von Schwarzenberg Apostelköpfe freskiert.
Sie adaptiert alles, was in ihrer Zeit hoch geschätzt wird: das etwas Süßliche von Raffael und Correggio, Guido Reni, die Carraccis, die venezianischen Renaissance- und Barockmaler ebenso wie Thomas Gainsborough und Joshua Reynolds (der sogar um ihre Hand anhielt). Sie ist Eklektikerin, nicht aus Berechnung, sondern sozusagen naiv, aufrichtig und ungebrochen.
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Noch das Kenotaph mit der Büste des Christopher Hewetson, das einige Jahre nach ihrem Tod in der Pfarrkirche von Schwarzenberg errichtet wurde, beweist: Angelika Kauffmann war eine schöne Frau, wenn es auch Zeitstimmen gibt, die am Wahrheitsgehalt der Selbstporträts zu kratzen wagen. In jedem Fall muss ihre ganze Art herzlich, ungezwungen und gewinnend gewesen sein, ihr Auftreten kultiviert, sprachgewandt und charmant. Wie sonst könnte man erklären, dass sie als 25-Jährige zu einer der begehrtesten Porträtmalerinnen der englischen high society avancierte und sich auch gegen Intrigen als »starke Frau« erwies?
Möglicherweise haben es die merkantil sehr nüchtern kalkulierenden Briten auch geschätzt, mit welch ausgeklügeltem Geschäftssinn diese selbstbewusste Frau ihnen in Französisch verfasste Verträge vorlegte, die minutiös aufschlüsselten, wann welcher Teilbetrag ihrer klar und teuer berechneten Werke zu entrichten sei.
15 Jahre blieb Angelika Kaufmann in England, fiel 1767 auf den schwedischen Heiratsschwindler Graf Horn herein und setzte anschließend immer wieder auch ihren persönlichen Kummer in anmutig-elegischen Bildern von trauernden Frauen in Szene. Ja, gerade auch in dieser mythologisch überhöhten Melancholie, die sich in humanistischer Versagungspose stilisiert, trifft sie den Ton des empfindsamen Zeitalters.
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In der verlassenen Kalypso, in der trauernden Penelope, die mit dem Bogen ihres entschwundenen Odysseus in der Hand vor sich hinsinnt, in jeder edel anmutig entsagenden »La Penserosa« und sich opfernden Iphigenie sah sie sich sicherlich selbst, ohne zu spüren, wie schrecklich konventionell sie damit war. Amor trocknet Psyche die Kullertränen, indem er seine langen goldenen Locken zur Hilfe nimmt. Nicht Angelika Kauffmann allein, fast alle ihre gebildeten Zeitgenossen sahen sich derart in literarisierten, vornehmlich antikisierenden Selbstbildern.
Nach ihrer Heirat mit dem Venezianischen Maler Antonio Zucchi lebte sie in hochherrschaftlichem Stil von 1781 bis zu ihrem Tod 1807 in Rom. Auch hierin war sie um eine entscheidende Nasenlänge den Zeitengenossen voraus und wies all den von Italiensehnsucht Getriebenen den Weg. Aber muss man deshalb schon Johann Gottfried Herder zustimmen, der begeistert nach Weimar schrieb, Angelika Kauffmann sei »bei aller demütigen Engelsklarheit und Unschuld [die] vielleicht kultivierteste Frau in Europa«? Auch Goethe, der sie in Rom als »ein Weib von ungeheurem Talent« (wohlgemerkt, nicht Genie!) kennen und schätzen lernte, war vielleicht in erster Linie von ihrer Ortskundigkeit und ihrer Großherzigkeit angetan, mit der sie als würdige Nachfolgerin Anton Raphael Mengs ein offenes Haus auf dem Pincio zu führen verstand. In jedem Fall muss sie eine warmherzige Frau gewesen sein, in deren Nähe sich die nordischen »stranieri« Herder, Tischbein, Johann Friedrich Reiffenstein, Alexander Trippel, Philipp Hackert, Karl Philipp Moritz oder der bayrische Kronprinz Ludwig an kalten römischen Wintertagen wie an einem alpenländischen Kachelofen geborgen fühlen konnten.
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Nein, die Malerei allein offenbart nicht, wie man dem Geheimnis eines Zeitgeists auf den Grund kommt. Erschreckend konventionell wirken einige dieser Gemälde: Häufig werden die Figuren wie auf eine Guckkastenbühne gestellt; allzu klar sind sie kompositionell in Zweier- und Dreigruppen aufgeteilt und hinterfangen; da greifen die mythologischen Heroinen, mit idealisch eingefrorenen Unsagbarkeitsgesten in den Raum und haben Hälse, die aus viel zu breiten Stiernacken herauswachsen. In schrecklich schematischer Weise drehen sich links und rechts vom Hauptgeschehen die ludovisischen Junos exakt so ins Profil, dass sie mit schnurgerader Nase-Stirn-Linie ganz und gar dem griechischen Schönheitsideal entsprechen. – Aber einige wenige Bilder wie das sehr freie und fast monochrom gemalte Selbstbildnis um 1800 (heute in einer Privatsammlung) lassen erahnen, dass hinter aller Pose tatsächlich eine tief human empfindende »edle Seele« lebte.
Öffnungszeiten
14. Juni bis 9.September 2007
täglich 10-20 Uhr
11.September bis 5.November 2007
Di-So 10-17 Uhr,
Do 10-20 Uhr