Ausstellungsbesprechungen

Anish Kapoor, Royal Academy of Arts, London, bis 11.12.2009

„Ich habe schon oft betont, dass ich als Künstler nichts zu sagen habe. Etwas zu sagen zu haben, wird oft so ausgelegt, dass man nicht wirklich eine Meinung hat. Die Rolle des Künstlers ist, dass wir nicht wissen, was wir sagen wollen, und dieses nicht wissen was, führt letztendlich zur Arbeit.“ sprach Ansih Kapoor und verwirrt zunächst einmal alle Anwesenden. Eine Besprechung von Karin Ego-Gaal.

Doch abgesehen davon brauchen seine Werke keinerlei extravagante Geschichten und Erklärungen; sie wirken für sich, in absoluter Schönheit ruhen sie in sich, verführen die Gedanken und beherrschen die Sinne. Der in Indien geborene Künstler Anish Kapoor mit Wohnsitz in London gehört zu den einflussreichsten Künstlern seiner Generation. Seine Kunstwerke, die sich überwiegend mit Formen, Räumen, Farben und Materialien beschäftigen, sprechen für sich - genauso wie seine neueste Ausstellung in der Royal Academy of Arts in London - schlichtweg „Anish Kapoor“ genannt. Obwohl die Ausstellung signifikante Werke der letzten 30 Jahre seines Schaffens zeigt, betont der Künstler wiederholt, dass dies keine Retrospektive sei.

Anish Kapoor ist ein Poet, der sich mit wunderbaren Skulpturen ausdrückt. Schon beim Betreten des Vorhofes der Royal Academy, dem „Annenberg Courtyard“, gibt es einen Vorgeschmack auf das, was als skulpturelle Schönheit in Vollendung bezeichnet werden darf. „Tall Tree and the Eye (2009)“ ist eine monumentale Skulptur bestehend aus gleich großen Silberkugeln, die nicht nur den fantastischen Hof der Royal Academy einfangen, sondern auch den Himmel, die Wolken, die Sonne und den Regen. Es kann sich nur um ein mathematisches Genie handeln, das jede Kugel einzeln berechnet und das Ganze als Symmetrie und Reflektion in Perfektion wiedergibt oder es ist einfach die Erfahrung eines Meisters, der weiß, wie er bestimmtes Material in Szene setzt. Und in der Tat, Anish Kapoor kennt sich aus mit Spiegeln und deren Reflektionen. „Non-Objects“ heißen seine Objekte aus Spiegeln: rund, oval, rechteckig und in verschiedenen Größen, tatsächlich erinnern sie an Chamäleons, die sich und den Betrachter immer wieder verändern und überraschen. Sie verschönern, verzerren und stellen die Welt auf den Kopf; sie stellen Objekte von geometrischer Reinheit dar, mit einer phänomenalen Präsenz nehmen sie den Raum ein, und doch wiederum erscheinen sie wie Löcher, die sich in die Galerie bohren.

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Von einem großen Loch erzählt auch sein nächstes Stück „Yellow (1999)“. Gäbe es Bienen in der Galerie, würden sie darin verschwinden, ertrinken, taumelnd vor Glück. Das gelbe Werk erinnert an Blütenstaub pur; es scheint, als ob die Farbe für sich selbst steht. Das große gelbe Loch, das sich in die Wand bohrt, ist zunächst nicht wichtig; möchte man wissen, wie tief es ist, wohin es führt, was es versteckt? – Nein, denn in erster Linie ist es gelb und die Farbe ist das Geheimnis. Unsere Vision ist so sehr mit dem intensiven Gelb beschäftigt, so dass die räumliche Komponente untergeht.

Ganz im Gegensatz dazu spielt bei der Installation „Svayambh (2007)“ der Raum eine bedeutende Rolle. Groß, rot, viereckig, geruchlos und aus Wachs bahnt sie sich ihren Weg auf Schienen durch fünf Galerien der Royal Academy. Der Zug in Form eines Wachsblocks ist jedoch so langsam, dass man seine Bewegung kaum sehen kann, eher erahnen. Wie eine Knetmasse, die ihre Form sucht, schiebt sich der rote Block durch die großen Türrahmen der Royal Academy und hinterlässt Spuren. Und genau diese Abdrücke verändern das Gesamtwerk stetig; es ist ein endloser Prozess, in dem die Skulptur das Gebäude benutzt, um ihre Form zu kreieren.
Fast genauso spektakulär präsentiert sich das Werk „Shooting into the Corner (2008-09)“. Alle zwanzig Minuten feuert eine Kanone aus dem „Large Weston Room“ Munition, welche aus zwanzig Pfund rotem Wachs besteht, in den nächsten Raum. Die Kunst oder das Schlachtfeld findet im anderen Raum statt. Der Betrachter wird nicht unbedingt mit dem blutigen Drama konfrontiert, er kann sich ihm entziehen, wohl wissend was passiert ist.

Direkte Konfrontation dagegen löst „Greyman Cries, Shaman Dies, Billowing Smoke, Beauty Evoked (2008-09)“ aus: ein Raum gefüllt mit riesigen Zementbergen von unterschiedlichen Größen und Formen, welche die unterschiedlichsten Erinnerungen und Reaktionen hervorbringen. Sofort werden Erinnerungen an die Kindheit wach, an Sandburgenbauen mit nassem Sand, der durch die Finger rinnt und eine spezielle Form kreiert oder Würste, die gerade aus der Maschine gepresst werden und sich zu einem Haufen stapeln oder kleine Haufen, die im Garten zu finden sind und von Würmern gebaut werden – es gibt viele Interpretationen für die schweren Betonwerke, der Fantasie ist keine Grenze gesetzt. Wie enttäuschend hingegen ist die Tatsache, dass diese Skulpturen von einer Maschine gefertigt wurden. Kapoor entwickelte eigens dafür einen neuen technologischen Prozess: ein computerkontrollierter dreidimensionaler Drucker scheidet Zement in einer bestimmten Form aus, das Design wurde jedoch vorher vom Künstler formuliert. Anish Kapoors Ziel ist es hierbei, Kunst zu kreieren, ohne das wichtigste Hilfmittel des Künstlers: die Hände. Dies ist äußerst kontrovers und die Werke sprechen für sich: eine Sprache ohne Schönheit, einzigartig jedoch in ihrer Ausführung und eventuell stehen sie für eine Veränderung in der Geschichte der Kunst.

Doch ob innovativ oder altmodisch, das Resultat ist eindeutig: in dieser Ausstellung gewinnt „die Hand“ des Künstlers. Anish Kapoor braucht keine computerkreierten Kunstwerke: zu schön, zu rein, zu vollendet sind seine traditionell mit der Hand gefertigten Skulpturen.

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