Ausstellungsbesprechungen

Anita Albus – Die Kunst zu sehen, Kunsthalle zu Kiel, bis 22. Oktober 2017

Als Fiktionen nach dem Leben könnte man die Werke Anita Albus' bezeichnen, so detailgenau und farbintensiv sind sie und doch zuweilen surreal. In Kiel zeigt man nun zahlreiche Werke der Künstlerin. Pia Littmann hat sich die Schau angesehen.

Im letzten Jahr hat die Kunsthalle zu Kiel 63 Werke von Anita Albus als Dauerleihgabe von der Karl-Walter und Charlotte Breitling-Stiftung erhalten. Aktuell werden diese in einer Ausstellung »Anita Albus. Die Kunst zu sehen« präsentiert. Wie bringt man Kobolde, Unterwasser-Züge, Erdorchiden und Eisvögel unter einen Hut? Nun, das Studium der Natur und die Neigung zu Märchen und Fantastereien sind bei Anita Albus keine Gegensätze, sondern gehen eine fruchtbare Symbiose ein.

Albus, die an der Folkwangschule in Essen Freie Grafik studiert hat, begann ihre Karriere als Kinderbuchillustratorin. Mit Blick auf ihre späteren Arbeiten ist das Wissen über ihre künstlerischen Anfänge durchaus aufschlussreich – dramaturgisch nicht unklug ist es aber auch, dem Besucher dies erst im hinteren Teil der Ausstellung vorzuführen. Erst dort trifft man auf die Miniatur-Medaillons zum »Bucklicht-Männlein«, einem dieser seltsamen alten Kinderlieder, das erstmals 1808 in »Des Knaben Wunderhorn« von Achim von Arnim und Clemens Brentano herausgegeben wurde:

»Will ich in mein Gärtlein gehn, will mein Zwiebeln gießen,
Steht ein bucklicht Männlein da, fängt als an zu niesen.

Will ich in mein Küchel gehn, will mein Süpplein kochen,
Steht ein bucklicht Männlein da, hat mein Töpflein brochen«

und so weiter …

… bis es mit dem überraschenden Aufruf endet: »Liebes Kindlein, ach ich bitt, betʾ für’s Bucklicht Männlein mit.« Warum das? Weil der Wicht ein Teil von uns selber ist, er ist unser tollpatschiges Alter Ego. So jedenfalls interpretiert es Walter Benjamin in seinen Kindheitserinnerungen: »Wen dieses Männlein ansieht, gibt nicht acht. Nicht auf sich selbst und auf das Männlein auch nicht.« So werden die Widrigkeiten, aber auch die Zauberhaftigkeit des Alltags mit dem den Märchen und Liedern eigenen, moralisierenden Impetus verbunden. Und während uns das Männlein die eigene Bestialität vor Augen führt, werden die Lebewesen in Albusʼ späteren Arbeiten ins Kulturelle, ja geradezu ins Menschliche gedreht.

Die acht Originalzeichnungen sind auf einem Pergament zusammengefasst, das nur wenig größer als eine Postkarte ist. In der oben erwähnten Küchen-Szene zeigt Albus die junge Frau, wie sie den Quälgeist in zerbrochenem Krug aus großen, mandelförmigen Augen betrachtet. Sie sieht ziemlich resigniert aus und in ihrem roten Kleid wie eine echte Märchenfigur. Noch fantastischer wird es mit den auf den Geschichten von Kindern basierenden, surreal arrangierten Bildern wie dem »Schiff im Wald« oder »Zug im Meer«, die in dem 1974 erschienenen Buch »Der Himmel ist mein Hut, die Erde ist mein Schuh« veröffentlicht wurden. Jules Vernes hätte seine Freude daran gehabt. Wiederum spricht aus dem »Vanitas-Schrank« und dem »Trompe-lʼœil mit zerbrochenem Glas«, die ihrerseits Illustrationen – reichlich schauriger – Kinderlieder sind, Albusʼ Freude an der äußerst präzisen Wiedergabe, die hier zur Augentäuscherei getrieben wird.

Ebenso wie sich die Künstlerin aus der Zeit gefallenen Kinderliedern zuwendet, interessiert sie auch bei der Beschäftigung mit Tieren, vorzugsweise Vögeln, und Pflanzen das seltene (oder zumindest in den 1980er Jahren hierzulande seltene). Nun betreten wir die beiden vorderen Ausstellungskabinette. Die Aquarellzeichnungen von Erdorchideen, Porzellanlilien oder Kardinalslobelien – allesamt aus Albus‘ eigenem Garten stammend – werden vor kräftigem Rot präsentiert. Blatt für Blatt, Faser für Faser können sie mit einer der vor Ort verfügbaren Lupen studiert werden. Sie erinnern an die filigranen Pflanzenstudien von Dürer und mit ihrer Farbbrillanz an die holländischen Tulpenzeichnungen des 17. Jahrhunderts. Öfter gezogen wurde auch der Vergleich mit der Frankfurter Naturforscherin, Kupferstecherin und Malerin Maria-Sibylla Merian.

Wohl geht es Albus um eine möglichst naturnahe Darstellung, das ist auch bei den auf blaue Wände gehängten Waldrappen, Eisvögeln und anderen raren oder gar verschwundenen Vogelarten nicht anders. Etwa bei dem »Wachtelkönig«, der bei wolkenverhangenem Mond an einem Weiher sitzt. Vor schlanken Gräsern, die sich in den nächtlichen Himmel züngeln, steht er da mit seinem hübschen rosaroten Gefieder, braun und weiß besprenkelt. Das ist schon genaue Vogelstudie. Aber es ist auch wahrlich ein Stimmungsbild und bestens geeignet für eine schöne Geschichte.

Wo endet die Natur? Und wo fängt die Kultur an? Viele der präsentierten Tiere sind erstmals im Kontext von Büchern erschienen oder wurden, wie der »Wachtelkönig«, literarisch weiterbearbeitet. Das Buch »Von seltenen Vögeln« verbindet dabei naturkundliche Klassifikationen und Informationen mit erzählerischen Momenten und – mit Blick auf die argumentative Verschränkung von Vögeln und Menschen im Nachwort – Aspekten der Fabel. Ähnlich stellt es sich für »Das Botanische Schauspiel«, in dem die gezeigten Pflanzen rund 20 Jahre nach ihrer Entstehung veröffentlicht wurden. »Nach dem Leben gemalt und beschrieben« seien sie. Nach dem Leben (»naer het leven«) ist eine Idee, eine Gütebezeichnung, die durch Karel van Manders Künstlerviten (1604) Einzug in die Kunsttheorie erhielt. Nun sind sie nach der Natur gezeichnet und doch treten die Pflanzen als Schauspieler in Erscheinung, als Fiktionen nach dem Leben.

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