Buchrezensionen

Anke Brakhage / Ariane Skora: Willy Lütcke 1905-1982. Die Wiederentdeckung einer ostdeutschen Künstlerbiografie, Wachholtz Verlag 2013

Der Wachholtz Verlag gewährt mit der Publikation Einblick in das Wirken des in Danzig geborenen Künstlers Willy Lütcke, dessen Arbeiten viel zu lange eine stiefmütterliche Behandlung in der öffentlichen Wahrnehmung und in der Wissenschaft erfahren haben. Verena Paul hat sich das mit einem umfangreichen Werkverzeichnis versehene Buch für Sie angesehen.

»Denn ich bin […] keiner, der eitel ist, sondern der immer schafft, was er für richtig hält, und nicht, was die Leute lieben oder […] haben wollen«, äußert Willy Lütcke in einem Interview 1979 und ergänzt: »Ich habe ein glückliches Leben gelebt! Wenn ich im Atelier bin, bin ich glücklich und ich hänge Niemandem an und bin Niemandem verpflichtet.« Damit wird nicht nur die Geradlinigkeit seiner Persönlichkeit offenkundig, sondern auch und vor allem die konsequente Suche nach eigenen gangbaren Wegen in der Kunst. Hierbei differenzierte Lütcke nicht zwischen den einzelnen Gattungen, sondern realisierte die ihn beschäftigenden Themenkomplexe sowohl in zweidimensionalen Arbeiten als auch in der Bildhauerei. Er dachte seine Kunst stets als etwas Geschlossenes, das einzig der Linie und der Form verpflichtet ist. Dies bezeugen seine Plastiken und Skulpturen ebenso wie die Gemälde, Zeichnungen, Holz- und Linolschnitte. Überblickt man das gesamte künstlerische Schaffen Lütckes, dann wird deutlich, mit welcher Entschiedenheit er den »Weg vom Figürlichen zur Abstraktion« beschritten hat, so Anke Brakhage und Ariane Skora in ihrem informativen und spannend geschriebenen Beitrag. Die Autorinnen richten zunächst den Blick auf seine Kindheit und Ausbildungszeit in Danzig und spüren schließlich der engen Verwobenheit von Leben und Kunst in Frühwerk, aber auch in der Zeit des Neubeginns nach dem Zweiten Weltkrieg sowie im Alterswerk nach.

Mit dem Ende des Krieges erlebte Willy Lütcke eine doppelte Zäsur, die im Verlust von Heimat sowie einem Großteil seiner Arbeiten bestand, von denen nur wenige bis heute erhalten geblieben sind. Doch in den 1950er Jahren knüpfte der Künstler wieder an frühere Werke an und wagte den Schritt in die Abstraktion, deren Duktus sich in sämtlichen Gattungen niederschlägt: »Wie jede Zeit ihren Ausdruck hat, so war auch ich bestrebt die Formsprache meiner Gegenwart zu finden, mir war es immer Aufgabe, die Sprache meiner Zeit zu sprechen.« Und diese Sprache kennt das Widersprüchliche, die spannenden Reibelaute, die gegen- und gleichzeitig miteinander erklingen, sodass amorphe Formgebilde auf tektonische Objekte treffen oder spielerisch leichte Kurvaturen zu Antipoden einer strengen Linienführung avancieren. Besonders markant sei, wie Brakhage und Skora schreiben, »der Kontrast zwischen den polierten glänzenden und unbearbeiteten matten Oberflächen« einer Werkreihe in Aluminium gegossener Arbeiten, die Willy Lütcke Mitte der 1970er Jahre fertigte. Hier sei »ein wirkungsvolles Wechselspiel von Hell und Dunkel, von Licht und Schatten […] Linie und Fläche, Statik und Bewegung« erzielt worden.

Sowohl bei der Lektüre als auch bei der Durchsicht der Bildteile werden die Leser des vorliegenden Bandes mit einem Œuvre bekannt gemacht, das durch eine bemerkenswerte Experimentierfreudigkeit bezüglich Formensprache und Material besticht. Insofern nimmt es wunder, dass ein vielschichtiges, »in sich stimmiges« Werk wie das von Willy Lütcke so lange im Verborgenen geblieben ist und ihm eine entsprechende Würdigung in der breiten Öffentlichkeit bis dato versagt wurde.

Resümee: Fundierte Informationen sowie ein klar strukturiertes Werkverzeichnis machen die im Wachholtz Verlag erschienene Publikation von Anke Brakhage und Ariane Skora zu einer wichtigen Grundlage für zukünftige wissenschaftliche Untersuchungen des Werkes von Willy Lütcke. Während sich die Forschung auf einen fruchtbaren Untersuchungsgegenstand freuen darf, wird das interessierte Publikum in horizonterweiternder Lektüre einem begnadeten Künstler begegnen, der mit seinen Arbeiten zu beeindrucken versteht. Ein hochwertiges Buch, das ich Ihnen uneingeschränkt empfehlen möchte!

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