Ausstellungsbesprechungen

Anna Franziska Schwarzbach – Bildhauerin und Medailleurin. Moritzburg/Halle, bis 28. August 2022

Anna Franziska Schwarzbach (*1949), die ihren Weg schon zu DDR–Zeiten selbstbestimmt und unabhängig von gesellschaftlichen und politischen Veränderungen sowie Geschlechterklischees ging, kann auf ein vielseitiges Œuvre blicken. Ihr Hauptthema ist der Mensch, dessen Schicksal die Künstlerin oft persönlich bewegt. Eine umfangreiche Werkschau zeigt nun einen Überblick über das künstlerische Schaffen einer der wichtigen zeitgenössischen deutschen Bildhauerinnen, das vor allem durch eines gekennzeichnet ist: Haltung–Bewahren und Position–Beziehen! Konrad Donhuijsen war vor Ort.

cover © Konrad Donhuijsen
cover © Konrad Donhuijsen

Anna Franziska Schwarzbach gehört zu den wichtigsten figurativen Bildhauer:innen Deutschlands. Dies zeigt nicht nur die Übersicht zu ihrem Werk im Kunstmuseum Moritzburg in der Bildhauerstadt Halle, sondern auch ihre Kuratierung durch den Direktor des dortigen Museums Thomas Bauer–Friedrich. Den Festvortrag zur Eröffnung am 8.4.2022 hielt der Bundestagspräsident a. D. Prof. Dr. Norbert Lammert, ein Signal, das eine staatstragende Künstlerin vermuten lässt. Dies umso mehr als wenige Wochen zuvor in ungleich größeren Räumlichkeiten desselben Museums die umfangreiche Retrospektive zum hundertsten Geburtstag des DDR–Giganten Willi Sitte zelebriert wurde, dessen Machismo–durchtränkte Agitprop–Plakatkunst die vermeintliche Stärke des Sozialismus feierte. Jetzt wird hingegen kein Staatskünstler gezeigt, sondern der Blick auf den Menschen, ebenso DDR geprägt, aber authentisch, persönlich, empathisch und sympathisch, dem Schwachen und Starken gleichermaßen verbunden, unprätentiös, ideenreich und zugewandt. So werden die Besucher:innen im Hof des Museums von Schwarzbachs Plastik »Europa vom Prenzlauer Berg« begrüßt, deren Stier zum Straßenköter mutiert ist.

Anna Franziska Schwarzbach wurde wenige Tage vor der Gründung der DDR im sächsischen Erzgebirge (Rittersgrün) geboren. Ihr Vater Hans Brockhage (1925–2009) war Holzbildhauer, der – Bauhaus–geprägt – in den 70er und 80er Jahren großformatige abstrakte Skulpturen schuf. Schwarzbach studierte Architektur an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, arbeitete drei Jahre als Architektin (u. a. am Theatersaal am Palast der Republik) um dann über Porträtkurse an der Kunstakademie in die Bildhauerei einzusteigen. Nach kurzer Kettensägephase Mitte der 70er schuf sie Porträtplastiken teils mit privatem Bezug, teils nach Vorgaben der Kulturbehörde, etwa zur kommunistischen Widerstandskämpferin Käthe Niederkirchner (1909-1944) – ein Werk das zunächst abgelehnt, dann aber in die Nationalgalerie übernommen wurde. Arbeiten in Bronze, Stein und später Holz folgten. In den 80er Jahren kam es zu Ausstellungsbeteiligungen jenseits der Staatsgrenze in Paris, Stuttgart, Bremen und München.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2022
© VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Seit 1987 faszinierte sie der Eisenguss, eine Berliner Spezialität. Es entstanden Arbeiten wie Kleiner Krieger, Schlenkerlotte, Pubertät auf Rädern, Erinnerungen an meine Großmutter und andere Werke, besonders zu ihren Kindern und dem familiären Umfeld. Eine große Büste der Gründerin der Eisengießerei Lauchhammer in der Niederlausitz Benedicta Margaretha Freifrau von Löwental (1683–1776) signalisierte die Rettung der altehrwürdigen Gießerei–Institution nach der Wende. Mit großer Hartnäckigkeit konnte sie das Mahnmal für die kindlichen Euthanasieopfer der Hirnforschung 1939–1945 in Berlin Buch »wenn ich groß bin« (Bronze, H 105 cm) realisieren, dass ein einseitig torsiertes Kind zeigt. Ihre Beteiligung am Denkmal für die protestierenden Frauen in der Rosenstraße/Berlin gegen die Inhaftierung ihrer Männer im NS-Staat trägt den Titel »Die Vergangenheit lastet auf der Zukunft oder Kadish für ein nichtgeborenes Kind« (1991).

Kirchliche Aufträge nahm sie seit den 90er Jahren wahr, ebenso weitere Porträts etwa zu Albert Einstein oder einen übergroßen Bronzekopf des Cellisten Mistlaw Rostropowitch, zu Puschkin, van Beethoven, Heinrich Schütz, Kurt Weill und Marie–Elisabeth Lüders, der liberalen Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin, nach der ein Parlamentariergebäude in Berlin benannt ist. Ihre Bronzen zu »Wolfrich von Goller und Friedgang Schiethe« (2013) persiflieren liebevoll Rietschels Doppelstandbild der Dichterfürsten in Weimar. All dies und noch viel mehr ist zusammengetragen für die Werkübersicht in der Moritzburg. Eines der wichtigsten Werke blieb allerdings in Berlin: Das Denkmal für Lise Meitner (2014/15) im Ehrenhof der Humboldt–Universität: Die kleine zierliche Figur der österreichischen Kernphysikerin behauptet sich dabei selbstbewusst in gelöster Haltung auf übergroßem schwerem Sockel gegen die Skulpturen der gewichtigen Wissenschaftler Helmholtz, Mommsen und Max Planck.

Ab 2015 formte Schwarzbach die Sieben Kinder des rumänischen Meschalik (Heiratsvermittler) Shimson Issac Ovitz, die wegen ihrer Kleinwüchsigkeit in Auschwitz vernichtet werden sollten, aber zu wissenschaftlichen Experimenten selektiert wurden und so den Holocaust überlebten. Bei der Ausstellung Prinzessinnen 2015/16 im Schadowhaus des Deutschen Bundestages stellte Schwarzbach ihre Skulpturen von Kleinwüchsigen den klassisch proportionierten Prinzessinnen (Luise und Friederike) Schadows aus dem 19. Jahrhundert gegenüber und beeindruckte damals nachhaltig den damaligen Bundestagspräsidenten, wie seine Ansprache zur Ausstellungseröffnung verriet. Neue Akzente zu den Kinderskulpturen setzen heute Schwarzbachs großformatige Takuhon in hartem Schwarz–Weiss–Kontrast. Dabei handelt es sich um Steinabreibungen auf Arbeiten, welche die die Künstlerin bevorzugt mit dem japanischen Begriff Takuhon beschreibt. Dazu arbeitet sie das Motiv zunächst als steinernes Flachrelief aus, welches anschließend mittels Frottageverfahren auf das Papier durchgerieben wird.

Schwarzbach überrascht den Besucher mit fantasievollen Objekten, deren Besonderheiten sich auch in ihren Bezeichnungen widerspiegeln. So etwa der „Bettelnde weibliche Plagegeist“ (Eisen, 70x85x30 cm), der eine Harpyie zeigt - einen Vogel mit Brüsten und menschlichem Gesicht. Oder „Der General mit Ofenplatte“ (Eisen, Collage, H25 cm), welcher seine Besonderheit übergroßen Epauletten verdankt. Im „Narziss oder Langeweile“ (Eisen, 26x31x16,5 cm), wird durch einen sitzenden Giacometti-artig reduzierten Mann, der Reichtum der DDR angesprochen- das Übermaß an Zeit.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2022
© VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Oft zeigt die Bildhauerin kleine und große Menschen, häufig in kauernder, sitzender oder kniender Stellung - wie etwa „Bettlerin & Tod“ (Eisen,34x19x30 cm), die das Thema Aids in Simbabwe ansprechen. Sie scheint fasziniert von Proportionsverschiebungen des menschlichen Körpers, bieten doch nur wenige ihrer Standbilder abstrahierte Figuren ohne Wucht oder Gravität, wie der torsierte Mann „Auf und davon“ (Bronze 172x45x45 cm) oder ein Kruzifix für die St. Paulus Kirche in Halle (Bronze, H 90 cm). Lediglich ein großer Engel aus Holz mit Schalenbeton umformt, ist in kraftvoller Dynamik und mit üppigem Volumen entwickelt (Erfurter Figur, Pappelholz, H 180).
Schwarzbachs Arbeiten sind gekennzeichnet durch einen spielerischen Umgang mit den verwendeten Materialien. Selbst dem vollen schweren Eisenguss verleiht sie eine Leichtigkeit, die zu den oft ernsten Sujets kontrastiert. Dies kann bis zur Groteske reichen, wie etwa im „Ameisenbaby oder kleiner Moro“ (Bronze, 26x35x55 cm).

Seit 1993 konzentrierte sich Schwarzbach zusätzlich auf die Kunst der Medaille. Porträts berühmter Zeitgenoss:innen, private Charakterköpfe oder erzählende zarte Kleinreliefs bilden einen weiteren Schwerpunkt ihres Werkes und dieser Ausstellung. Mehrere Vitrinen zeugen von ihren sprudelnden Inventionen, u.a. die Ausstellungsreihe »Holder Mammon oder die schöne Kunst anständiges Geld zu machen«. Im Jahr 2020 erhielt sie für ihr numismatisches Wirken als zweite deutsche Künstlerin und 11. Frau in 100 Jahren die weltweit höchstmögliche Auszeichnung – den J. Sanford Saltus Award der American Numismatic Society.

Die aktuelle Ausstellung in der Moritzburg/Halle gliedert das thematisch breite Werk in sechs Kapitel: Porträts, Arbeiten in kirchlichen Zusammenhängen, frühe Arbeiten, Die Kinder des Shimson Eizik Ovitz, Eisen und Bronzegüsse und Biographisches in Text und Bild, verbunden mit dem Mahnmal Betty Reis von Hans Brockhage und Anna Franziska Schwarzbach. Die Inszenierung der Arbeitssituation im Atelier Schwarzbach in Berlin/Heinersdorf mag als Installation beeindrucken, bietet aber durch die dichte Aufreihung zahlreicher Skulpturen (vorherrschend in Gips) das Bild einer Ausstellung in der Ausstellung und zeigt so ein Problem im Kleinen wie im Großen: Die Präsentation der zahlreichen Werke in dem begrenzten Raum des Ausstellungskubus (der »Box«) führt zu einer drangvollen Konzentration, welche die Wirkung besonders der kleinen Objekte schmälert. Mehr Raum für strenger selektierte Objekte hätte deren Eindruck gesteigert und die Intensität der Arbeiten unterstrichen. Das gilt auch für die sehr zahlreichen Medaillen, die horizontal in Vitrinen eher lieblos abgelegt und nur mühsam zu sehen sind.

Eine kostenlose Begleitbroschüre (Spende erwünscht) ersetzt die fehlenden Beschriftungen, ist aber nur begrenzt erhältlich. Der umfangreiche Katalog (38,00 Euro, 200 Seiten), zugleich auch eine Monografie der Künstlerin, ist reichhaltig bebildert. Er lässt die Skulpturen sprechen und die Medaillen leuchten. Erfreulicherweise kommt die Künstlerin in gleich mehreren Textbeiträgen zu Wort, so dass sich ihre Gedankenwelt und Denkweise dem Betrachter zusätzlich erschließt.

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