Sonnenaufgänge, Seerosen, Licht- und Schatteneffekte: Fast jeder hat eine Vorstellung davon, was ein impressionistisches Bild ausmacht. Doch woran die meisten nicht denken, sind Werke der Druckgraphik – kann es in diesem Medium überhaupt impressionistische Kunst geben? In Schwarzweiß? Eine Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinett und ein begleitender Katalog präsentieren diese nie oder selten gezeigten Schätze des „anderen“ Impressionismus. Eine Rezension von Melanie Obraz.
Gleich zu Beginn stellt sich die Frage, ob die Kunst des Impressionismus, welcher die Impression in Grautönen, in Schwarz und den Abstufungen bzw. der Gradation zeigt, auch wirklich als Impression im Sinne jener Kunst gelten kann – gelten darf. Die Antwort sei sogleich gegeben – Ja! Zeigen sich nicht gerade hier Vorstufen, Studien und die Vorgehensweisen, die die Betrachter:innen zu den Grundlagen jenes uns so bekannten, hellen, mit Farben überfluteten Impressionismus führen. Und vor allem: auch die Zeit des Impressionismus, die gesellschaftlichen Gegebenheiten (Mitte des 19. Jahrhunderts) sind eben nicht nur als beschwingt und farbenfroh, sondern auch als arm, ausweglos und verzweifelt interpretierbar. Auf der Grundlage einer heutigen soziologischen Sichtweise, kann jene Zeit geradezu als katastrophal gelten. Zeigte schon der so bekannte Impressionismus teilweise auch in Anklängen bereits diese andere Seite, so z.B. wenn jene Tänzerinnen bei Edgar Degas recht mager und teilweise eher für eine bemitleidenswerte Person im Corps de Ballett stehen, als für eine im Glanz erstrahlende Primaballerina. Die Skulptur der Marie van Goethem ist hier richtungweisend. Denn das in den Wissenschaften und Künsten so aufstrebende 19. Jahrhundert, steht vor allem für die Zeit der industriellen Revolution. Jene ist nicht wegzudenken und ist ein Ideengeber und kann sogar als der innere Motor des Impressionismus gelten.
Das Buch zeigt eindringlich dass Kinderarbeit, Hunger und eine Ausweglosigkeit in jener Zeit allgegenwärtig waren, die man vielleicht in der Hinwendung zum Licht einer Kompensation zuführte, die aber darin keine Lösung jener schwierigen sozialen Verhältnisse bereithielt. Es war die dem Wunsch verbundene Sichtweise des Menschen, die sich dem Hellen zuwandte, ja zuwenden wollte. Doch die andere und oft sehr dunkle Seite blieb bestehen und man konnte sie nicht wegwischen, vollends der Vergessenheit preisgeben. Wo viel Licht ist, ist viel Schatten – eine Sentenz, die so schnell dahingesagt ist, doch gerade den Gehalt jenes anderen Impressionismus umschreibt. Daraus stellt sich recht detailliert die Frage, wie es zu der Kunstform des Impressionismus kam und sodann jenen anderen Impressionismus gleich „mitlieferte“.
Ist die hier vermittelte Seite der Kunst einem Gespenst gleich, welches sich wie ein Unheil neben die hell erstrahlende Interpretation des Gesehenen stellt? Nein, denn die Druckgraphik entfaltet eine eigene Aura, die sich wie unter einem Schleier auch in den hellen Gemälden des Impressionismus andeuten. Der äußerst spannungsreiche Vorgang einer Oszillation wird darin erlebbar. Die sich stete Ankündigung des Unvorhersehbaren und Unsicheren zeigt sich in den grauen Druckgraphiken besonders stark – sie bekunden damit einen Widerhall der gesellschaftlichen Verhältnisse. So gesehen kann die Druckgraphik als in einem hohen Maß authentisch interpretiert werden. Die Betonung des Realismus tritt in jenen Graphiken stärker hervor. Es ist eine Impression der anderen Art, die sich hier in den Studien kundtut.
Die sich hiermit einstellende Impression geht auf die Betrachter:innen in der Weise über, dass jene teilweise auch erschrocken inne halten und die Zeit des Impressionismus kritisch, eben mit einer gewissen Distanz sehen. Damit wird der Grundgedanke des Realismus klar definiert, der so auch von Édouard Manet (1832-1883) weiter entwickelt wurde. Es geht vor allem um eine Lebensrealität, die sich an den Lebensbedingungen der einfachen und oft sehr armen Bürger zeigte und die zugleich eine Gesellschaftskritik darstellte. In diesem Sinne brilliert der Impressionismus in und mit jenen Druckgraphiken auf eine andere Weise, nämlich als ein eindringlicher Hinweis auf den entbehrungsreichen Alltag, welcher in den „leuchtenden“ Gemälden nicht unbedingt eine prominente Rolle spielte.
Die Druckgraphik verlebendigt quasi die dunkelsten und schwierigsten Situationen im Leben der Menschen und setzt damit einen Kontrapunkt. Hier wurden jene Menschen zum Thema, die eben nicht die Früchte des industriellen Aufschwungs erlebten und sich nach getaner Arbeit der Freizeit widmen konnten, in Parkanlagen spazierten, bei einem Picknick zusammen kamen, so wie es die lichtdurchfluteten Gemälde den Betrachtern:innen offenbaren.
Wichtig ist, dass die Phantasie der Betrachter:innen stark herausgefordert wird, um weit über das Gesehene nochmals hinaus zu gehen, zu interpretieren und zu hinterfragen. Dennoch ist es wichtig hervorzuheben, dass die hellen Ölgemälde eben aufgrund ihrer besonderen Farbwirkung lukrativ für die Künstler waren und die Druckgraphik in dieser kommerziellen Hinsicht nicht „mithalten“ konnte. Bunte und helle Kompositionen haben oft eine geradezu betörende Wirkung auf das Auge, weshalb das Publikum jene Sprache der Malerei – wenn auch nicht immer – so doch oft eher akzeptiert. Aber wie es bereits das Titelbild des Buches veranschaulicht, besticht jener ANDERE Impressionismus durch ein ebenso wirksames Spiel mit Licht und Schatten. Das Gesicht und die Hände des hier dargestellten Knaben – Titel: Über der Asche – von Albert Besnard (1849-1934) erstrahlt geradezu – wenn auch in einer ganz anderen Strahlkraft.
Doch nicht nur die Grau in Grau Thematik wird damit beleuchtet, sondern ebenso die farbigen Lithographien zeigen sich im Buch des Imhof Verlages. So wird auch auf die Vielseitigkeit der Möglichkeiten innerhalb der Technik der Lithographien und Druckgraphiken allgemein aufmerksam gemacht. Neben der Vielzahl der Portraits wie z.B. Andreas Zorn (1860-1920) „Junges Mädchen mit Zigarette“ stehen auch die wahrhaft beeindruckenden Landschaftsbilder eines James Abbott McNeill Whistler (1834-1903) und Stadtansichten wie von Henriette Hahn-Brinckmann (1862-1934) Außenalster, Farbholzschnitt und Joseph Pennell (1857-1926) mit den Ansichten von New York, womit das Buch eine große Bandbreite der Sichtweisen und Techniken vorstellt. Ganz in diesem Sinne ist auch der Verweis auf Katsushika Hokusai (1760-1849) gegeben, womit der Bezug zum japanischen Farbholzschnitt hergestellt wird.
Hervorzuheben ist, dass jede Technik im Glossar eine detaillierte Erklärung erfährt und so auch den noch nicht kundigen Lesern:innen eine gute Übersicht ermöglicht. Auch in dieser Hinsicht ist das Buch sowohl lesenswert als auch sehenswert.
Die Ausstellung im Kupferstichkabinett Berlin läuft noch bis zum 12.01.2025
Titel: Der andere Impressionismus
Untertitel Internationale Druckgraphik von Manet bis Whistler
Herausgeberin, Anna Marie Pfäfflin, für das Kupferstichkabinett – Staatliche Museen zu Berlin
Verlag Michael Imhof
Umfang 208 Seiten, 147 Farb- und 3 SW-Abbildungen
Sprache Deutsch
ISBN 978-3-7319-1433-4