Buchrezensionen

Anne-Marie Bonnet: Was ist zeitgenössische Kunst oder Wozu Kunstgeschichte?, Deutscher Kunstverlag 2017

Kunstgeschichte neu denken? Auf 103 Seiten setzt die Bonner Professorin für Kunstgeschichte Anne-Marie Bonnet mehr als ein Fragezeichen hinter die gegenwärtige Rolle ihres Fachs im Betriebssystem Kunst. »Wozu Kunstgeschichte?« fordert im Zeitalter der Block-Buster-Ausstellungen eine unabhängige Instanz, die das Museum zum Ort diskursiver Wertebestimmung ausbaut. Torsten Kohlbrei hat den Essay gelesen.

»Sind Fragen nicht anregender als Antworten? Ist nicht Zweifel der Motor der Erkenntnis?« Dieser Abschluss des Vorworts von Anne-Marie Bonnets schmalem Büchlein »Was ist zeitgenössische Kunst oder wozu Kunstgeschichte?« lässt den Leser hoffen. Im documenta-Jahr der großen Theorie-Töne mal keine selbstsichtige, hermetische Analyse, die dem Leser einen so anstrengenden wie freudlosen Nachvollzug abverlangt. Stattdessen setzt Bonnet nicht nur im Buchtitel, sondern auch im weiteren Verlauf viele Fragezeichen. So fragt sie beispielsweise: »Welche Kunstgeschichte(n) der Moderne gibt es?« »Was heißt heute ›Freiheit der Kunst‹?« oder »Wie sammelt das Museum der Moderne?«. Mit diesem deutlichen Rückgriff auf das rhetorische Mittel der Frage umkreist sie das titelgebende Thema und ermutigt zum eigenen Nachdenken.

Auch die Gliederung in 48 kurze Sinnabschnitte soll vermutlich einen diskursiven Impuls auslösen und zum Gebrauch des eigenen Verstandes anregen. Doch dem, was dem Leser dann zwischen Seite 13 bis 102 begegnet, fehlt die aufklärerische Kraft. Dies liegt vor allem an einem recht laxen Umgang mit Begriffen und Sachverhalten – Kostprobe auf Seite 27: »Wer legt Bedeutung fest? Früher entschieden zunächst Auftraggeber, dann die Akademien, dann die (avantgardistischen) Künstler selbst und die entstehenden Gegenöffentlichkeiten wie Salons und bürgerliche Kritik. Und heute? Zurzeit ist vielmehr die Gleichung ›prominent = teuer = bedeutend‹ geläufig.« Für diesen historischen Rundumschlag benötigt Bonnet vier Zeilen, ohne dass sie gerade ihre Interpretation der Gegenwart näher erläutern würde. Gerne würde man Bonnet deshalb mit einer Gegenfrage konfrontieren: Was haben – eine Gegenüberstellung unter vielen möglichen – die im Erscheinungsjahr des Buches viel diskutierte Münsteraner Skulpturen-Schau und die gleichzeitig stattfindende Bespielung der Collection Pinault durch Damien Hirst gemeinsam? Beide Projekte wurden im überregionalen Feuilleton besprochen, beide fanden Diskurspartner. Aber folgen die Projekte dem von Bonnet vorgeschlagenen Schema »prominent = teuer = bedeutend«?

Vor dem Hintergrund einer flott formulierten, jedoch eher flüchtig belegten Bestandsaufnahme konstruiert die 1954 geborene Professorin der Uni Bonn die Zielsetzung ihrer Publikation. Bonnet möchte ihr Fach bei Diskussion und Bewertung zeitgenössischer Kunst stärker ins Spiel bringen und fragt daher: »Was haben Andreas Gurskys Fotoarbeiten de facto dem Medium der digitalen Fotografie hinzugefügt? Wann hört man das Urteil ›brillant, aber irrelevant‹? Marktwert und kunsthistorische Relevanz haben meist wenig miteinander zu tun.« (S. 90).

Auch an dieser Stelle bleibt die Autorin eine tiefer greifende Analyse ihres Gegenstandes, hier der Fotografie Gurskys, schuldig. Doch im Verlauf der Lektüre erschließt sich, worum es Bonnet mit ihrer assoziativ aufgebauten Argumentation eigentlich geht: Der Kunstdiskurs brauche Orientierung und Substanz. Zurzeit dreht sich bei den Protagonisten in der Presse, den öffentlichen Institutionen und dem Kunsthandel zu viel um »Selbstpromotion« (S. 89), »Block-Buster-Politik« (S. 92) »Hofberichterstattung« (S. 99) und »Statussymbole« (S. 99).

Gegen diese Entwicklung will Bonnet ihr Verständnis von Kunstgeschichte in Stellung bringen: »Daher sind Überlegungen geboten, wie das gelegentliche kunsthistorische Ohnmachtsgefühl überwunden und in ein Instrument kritischer Zeitgenossenschaft transformiert werden könnte« (S. 11). Sehr allgemein ruft sie dazu auf, »methodisches Wettrüsten« zu beenden, die »Ignoranz gegenüber den Realitäten marktwirtschaftlicher Bedingungen« (S. 95) aufzugeben und das Fach als »eine vom Markt unabhängige Instanz« (99) zu nutzen. Bonnets auf festem akademischem Boden wandelndes Fach Kunstgeschichte soll sich als eine »Vermittlungswissenschaft zwischen verschiedenen Bildkulturen« (S. 99) bewähren und so helfen, das Museum zum »Ort diskursiver statt autoritärer kultureller und künstlerischer Wertebestimmung jenseits des ›Kapitalanlage-Denkens‹« (S. 98) neu zu etablieren. Auf diese Weise findet Anne-Marie Bonnet dann doch zu einer Antwort auf die Frage ihres Essays »Wozu Kunstgeschichte?«.

Es ist eine sympathische, ambitionierte und unzeitgemäße Antwort. Doch warum ausgerechnet einer historischen Wissenschaft die Autorität zugesprochen werden soll, im unbekannten Fahrwasser der Gegenwart als ordnende oder gar wegweisende Instanz zu agieren, diese hermeneutische Grundsatzfrage stellt die Autorin nicht. Und so umgeht dieses Buch trotz seines Reichtums an anregenden echten und rhetorischen Fragenzeichen die entscheidende Fragestellung.

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