Buchrezensionen, Rezensionen

Annette Ludwig: Die Architekten Brüder Heinz und Bodo Rasch. Ein Beitrag zur Architekturgeschichte der zwanziger Jahre, Wasmuth 2009

Die bisher wenig erforschten Stuttgarter Architekten Heinz (1902-1996) und Bodo Rasch (1903-1995) leisteten mit ihren Papier gebliebenen Hängekonstruktionen einen wichtigen Beitrag zur Hochhausdebatte der 1920er Jahre und nahmen das zugbeanspruchte Bauen der deutschen Nachkriegsmoderne vorweg. In der ersten Monografie über die in einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft verbundenen Pioniere, die sich auf der Stuttgarter Weißenhofsiedlung 1927 auch als Möbeldesigner präsentierten und als Autoren wegweisender Publikationen der zwanziger Jahre hervortraten, werden diese Lücken in der Architekturgeschichte nun gefüllt.

In Nikolaus Pevsners »Lexikon der Weltarchitektur« sucht man die Brüder Heinz und Bodo Rasch vergebens – mit dem Blick aufs Ganze ist das nachvollziehbar. Dass Vittorio Magnago Lampugnanis »Lexikon der Architektur des 20. Jahrhunderts« sie nicht nennt, ist dann aber doch verwunderlich. Spürt man in den Medien nach den Namen, wird man zwar fündig, doch bleiben die Informationen spärlich. Eine Fährte zur Stuttgarter Weißenhofsiedlung ist interessant genug, um sie weiterzuverfolgen. Ohnehin schon Weltkultur ist Le Corbusiers Beitrag zur Vorzeigesiedlung im Juni diesen Jahres knapp an der Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes vorbeigeschrammt. Nun stehen die Rasch-Brüder auch in diesem Kontext eher unter »ferner liefen«. 1977 – 50 Jahre nach dem ersten Spatenstich – ist Bodo Rasch mit dabei, als sich Karl Krämer, Manfred Lehmbruck, Frei Otto, Anton Stankowski und andere mehr in einem kleinen Freundeskreis zusammenfinden, um für die Sanierung des Bauensembles einzutreten, zwei Jahre sitzt er im Vorstand des neu gegründeten Vereins Freunde der Weißenhofsiedlung e. V.

Dank der Dissertation von Annette Ludwig kann man sich nun viel Mühe sparen: Sie hat dem Leben und Werk der Brüder Heinz (1902–1996) und Bodo Rasch (1903–1995) eine umfangreiche Betrachtung gewidmet, die die weißen Flecken in der architektonischen Forschung mit viel Sachverstand aufschüttet. Mehr noch: Die Autorin ist eine versierte Museumsfrau, seit einigen Jahren wissenschaftliche Mitarbeiterin im Kunst- und Skulpturenmuseum der Städtischen Museen Heilbronn. So genügt die Arbeit der wissenschaftlichen Forschung – Annette Ludwig lässt Hunderte von Quellen sprechen, dass man vor der notwendigen Fußnoten- bzw. Anmerkungsflut etwas zurückschreckt –, sie entgeht jedoch bravourös den Tücken einer gespreizten Akademikersprache. Das ist ein Glücksfall für die Raschs, deren Schaffen erst mit dieser Arbeit eine Kontur bekommt, die sie auch ins Bewusstsein eines breiteren Publikums holt. Hier tut freilich der Wasmuth Verlag das seine, der zu den Traditionshäusern unter den Architekturverlagen gehört und mit den Namen Muthesius und Frank Lloyd Wright verbunden ist.

Heinrich Klotz sah in den Projekten der Brüder die »schönsten Arbeiten der frühen Moderne«, für Frei Otto waren »die Entwürfe der Raschs (…) die kühnsten von allen«. Annette Ludwig stellt die Protagonisten als Generalisten vor, die manches nur auf dem Papier entwickelten – und selbst dabei bedeutende Impulse für die Hängekonstruktionen im Hochhausbau gaben –, dann auch tatkräftig als Möbeldesigner für die Weißenhofsiedlung auftraten, u.a. für die Häuser Behrens und Mies. Sie tauschten sich (in bislang zum Teil unbekannten Briefen) mit den Stararchitekten des modernen Bauens aus: Mies van der Rohe, Gropius, Bruno Taut, aber auch mit Willi Baumeister. Heinz Rasch war zudem Schriftleiter der Zeitschrift »Die Baugilde«. Ludwig entwirft zwei Lebensläufe, die zum einen die Jahre der Weimarer Republik durchmessen, zum anderen von Projekten, Visionen und Real-Utopien in den Bereichen Industriebau und Ein- bzw. Mehrfamilienhaus gesäumt werden. Im Fazit erschließt sich dem Leser das Werk zweier »Stürmer und Dränger«, wie es in der »Bauzeitung« 1928 hieß. Das Werk- und Schriftenverzeichnis im Anhang zeigt nicht nur das erhebliche Engagement von Bodo und Heinz Rasch, sondern es zeugt auch von der akribischen Entdeckerfreude Annette Ludwigs, der sie unter anderem im Deutschen Architektur-Museum in Frankfurt nachkommen konnte.

 

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Es ist fast tragisch, dass diese Pioniere der Architektur und des Designs immer nur Platz im Vorhof des Ruhms fanden. Heinz und Bodo Rasch schlugen zunächst in ihrer Ausbildung verschiedene Wege ein, bevor sie gemeinsam 1926 das Stuttgarter Büro »Brüder Rasch. Hochbau, Möbelbau, Werbebau« begründeten (der Büroname ist verantwortlich für Ludwigs syntaktisch zunächst befremdlichen Titel). Nach 1930 gingen beide wieder weitgehend getrennte Wege. In die Zeit des gemeinsamen Büros fällt die Zusammenarbeit mit der sogenannten Werkbundfraktion sowie wichtige Publikationen wie »Wie Bauen?« (1927) oder dem Werbebuch »Gefesselter Blick« (1930). Die Hängehaus-Idee, die hier ihre Wurzeln hatte, machte Furore, doch blieben die Raschs eher die Vorreiter und Projekte-Schmiede – den Erfolg hatten später andere Architekten. Unter den realisierten Bauten nach 1945 ragen wohl die Karosseriewerke Joseph Hebmüller & Söhne in Wülfrath (1948–52) von Heinz Rasch und das Verwaltungsgebäude der Farbwerke Hoechst AG in Stuttgart (1956–58) von Bodo Rasch hervor. Doch sollte man die solide Aufbauarbeit nach dem Krieg nicht gering schätzen, der sich auch die Architekten stellen mussten und die nicht geeignet war, medienwirksame Prachttempel zu errichten. Wie groß die Not war, zeigt beispielsweise ein Brief Bodo Raschs an den Kollegen Guggenheimer vom 17. September 1946: Rasch, der 1933/34 (!) eine jüdische Gebetsstätte in ein bestehendes Stuttgarter Wohnhaus eingebaut hatte, bat darin, »für einen besonderen Zweck« zu bescheinigen, »dass ich 1934 die Synagoge der orth.-jüdischen Gemeinde in der Schlosserstraße umgebaut und eingerichtet habe«. Es war die Zeit, als er sich nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft daran machte, aus Trümmersteinen Architektur zu schaffen – darunter auch sein eigenes Wohnhaus.

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