Ausstellungsbesprechungen

Anton Henning. Midnight in Paris, Zeppelin-Museum Friedrichshafen, bis 10. Januar 2016

In der Ausstellung »Midnight in Paris« nimmt Anton Henning bewusst Bezug auf Woody Allens gleichnamigen Film und entwirft ein künstlerisches Szenario, das den Besucher auf eine Zeitreise in das Paris der 1920er und 1930er Jahre, als die Avantgarde geboren wurde, mitnimmt. Marco Hompes hat sich die Ausstellung näher angeschaut.

Wenn Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker über Anton Henning schreiben, kann man sich meist auf eine Flut von Künstlernamen gefasst machen. Reinhard Spieler und Ulrike Lorenz schrieben im Katalog zu einer gemeinsamen Ausstellung in Mannheim und Ludwigshafen beispielsweise: »Es ist, als ob Goya, Courbet und van Gogh sich im Pop-Ambiente zwanglos zum Cocktail treffen und gemeinsam eine Jam-Session veranstalten«. Katja Blomberg bemühte für ihren Text zur Henning-Schau im Haus am Waldsee 2009 die Namen bedeutsamer Maler, wie Franz Hals, Gustav Klimt oder Francis Picabia.

Auch in den Berichten zur aktuellen Sonderausstellung »Anton Henning. Midnight in Paris« im Zeppelin-Museum Friedrichshafen liest man wieder viele unterschiedliche Namen, vornehmlich solche der europäischen Avantgarde-Bewegungen. Ganz bewusst betreibt Anton Henning in der Stadt am Bodensee ein stilistischen Crossover. Besucher und Besucherinnen erleben hier, je nach Grad ihres kunsthistorischen Wissens, immer wieder Déjà-vues. Ständig glaubt man Referenzen auf Bilder der klassischen Moderne zu entdecken: Hier ein bisschen Picasso, da ein kleiner Delaunay und dort drüben ganz klar eine Anleihe bei Matisse, oder doch nicht? Je versierter sich ein Betrachter oder eine Betrachterin durch die Kunstgeschichte bewegt, desto rutschiger wird das Glatteis, auf das Henning sie führt. Denn der Künstler achtet genau darauf, dass seine Arbeiten keine schalen Imitationen oder gar Kopien sind. Immer wieder gibt es Mischungen, Abwandlungen und Brechungen. Am deutlichsten wird dies vielleicht bei Gemälden, in die ganz subtil Ausschnitte pornografischen Inhalts eingefügt wurden. Wenn ein scheinbar kubistischen Stillleben durch die Darstellung von Analverkehr erweitert wird, dann ist klar, dass die Grenzen zwischen Hommage, Zitat und (postmoderner) Ironie bewusst verwischt werden. Und das gilt nicht nur für einzelne Gemälde, sondern für die gesamte Ausstellung. Denn auch die Raumgestaltung imitiert ein historisches Narrativ.
Der Rundgang beginnt in Räumen mit Holzparkett und in dunklem Grau gestrichenen Wänden. Je Wand ist eine großformatige Arbeit auf der gewohnten Höhe von 1,50 Meter Bildmitte gehängt, darunter zwei Landschaftsgemälde und ein Triptychon. Alle drei besitzen einen massigen Rahmen mit „ausladendem, architrav-ähnlichem Vorsprung der Oberkante“ (Alexander B. Eiling), in den Neonröhren eingesetzt sind, um das Bild zu von oben zu beleuchten. Die erzeugte räumliche Ästhetik wirkt vertraut. Doch worauf genau rekurriert sie? Auf sakrale Bildinszenierungen des Barocks oder doch eher auf den romantischen Salon im 19. Jahrhundert? Das auf den ersten Blick stimmige Bild gerät bei näherer Betrachtung ins Wanken und man muss sich eingestehen: Es ist weder das eine noch das andere. Es ist ein Werk Anton Hennings, der historische Elemente miteinander kombiniert, sich jedoch auch immer wieder als autonomer Künstler ins Bild bringt. Deutlich wird dies auch bei den beiden erwähnten Landschaftsbildern - ein stürmisches Seestück und ein verschneites Bergpanorama. Hier entwachsen der Natur abstrakte, mäandernde Linien, die so etwas wie die Corporate Identity des Künstlers sind. Sein Markenzeichen, die sogenannten »Hennlinge«, tauchen auch auf zahlreichen Arbeiten in den darauffolgenden zwei Räumen auf.

Der erste scheint in der Gestaltung nahtlos an den vorausgegangenen anzuknüpfen. Nur werden die Gemälde hier durch Spots und nicht durch ein Leuchtmittel im Rahmen erhellt. Thematisch stehen das (Selbst-)Porträt und die Aktmalerei im Fokus. Beides spielt Henning in unterschiedlichen Malstilen durch. Der Effekt ist, dass alles irgendwie vertraut und doch neu und ungewohnt wirkt.

Im dritten und letzten Bereich geht es sehr viel lichter und bunter zu: Der Boden wurde mit hellem Teppich verlegt, die dunklen Wände sind pastelligen Farbflächen gewichen. Die Luxzahl wurde deutlich erhöht und die inhaltlich durchmischten Bilder sind in unterschiedlichen Höhen gehängt.

Ein besonderes inhaltliches und ästhetisches Highlight ist eine rechteckige Öffnung in der Wand zwischen den Ausstellungsbereichen. Diese wirkt von beiden Seiten aus wie ein lebendiges Bild, das die Geschichte des Museumsraums visualisiert; eine Geschichte, wie sie nur allzu gerne erzählt wird: Auf die dunklen Wände und theatralen Bildinszenierungen des 19. Jahrhunderts folgt die Raumaneignung durch die Künstler und Künstlerinnen der klassischen Avantgarden. Das Bild erobert sich den Raum, die Wände werden Teil des Werks. Die starren Genres werden hinterfragt, neu interpretiert und aufgebrochen. Die Abstraktion hält Einzug, High und Low bewegen sich aufeinander zu, der Rahmen macht sich unsichtbar... Anton Henning nutzt diese bekannten Entwicklungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts für seine Präsentation in Friedrichshafen, imitiert sie, führt sie aber auch gleichermaßen ad absurdum. Denn was im Haus am Bodensee fehlt, das sind die »Originale«. Alle Gemälde, Skulpturen, das Mobiliar, die Sockel und auch das kuratorische Konzept stammen von einem Künstler, der ein Simulakrum inszeniert, um den Betrachter oder die Betrachterin in eine simulierte Vergangenheit zu befördern.

Hierzu passt übrigens auch der Ausstellungstitel »Midnight in Paris». Dieser ist ein Verweis auf Woody Allens gleichnamigen Film, in dem der Protagonist sich plötzlich im Paris der 1920er Jahre, inmitten der damaligen avantgardistischen Künstlerszene wiederfindet. Von dort gelangt er ins Moulin Rouge der Belle Époque und muss am Ende lernen, dass der Mensch sich schon immer nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit gesehnt und an dieser geschönten Fantasie orientiert hat.

Ob dieser von Henning betriebene Blick auf die Vergangenheit durch heutige Augen gleichsam programmatisch für die Zukunft des Zeppelin-Museums unter der Neuen Leitung, Dr. Claudia Emmert, sein wird, bleibt abzuwarten. Die Ausstellung selbst ist jedenfalls ein  ästhetischer Hochgenuss und lädt zur intensiven Betrachtung und Diskussion ein.

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