Ausstellungsbesprechungen

Anwendungsmöglichkeiten von Kunst auf das Leben: Das European Media Art Festival in der Kunsthalle Osnabrück, bis 21. Mai 2018

Das European Media Art Festival (emaf) widmet sich einmal jährlich in Film, Medienkunst, Workshops und Diskussionsrunden einem Thema an der Schnittstelle von Kunst und Gesellschaft. In diesem Jahr steht das emaf und damit auch die Ausstellung in der Kunsthalle Osnabrück unter dem Motto »Report – Notizen aus der Wirklichkeit« und untersucht die Beziehung von Kunst und Journalismus. Angesichts der Fake-News-Vorwürfe an soziale Netzwerke oder auch den Journalismus insgesamt werden hier die meist sehr komplexen Wege der Wahrheitsfindung aufgezeigt. Susanne Braun ist ihnen gefolgt.

Mitten im Kirchenschiff der ehemaligen Dominikanerkirche, die der Kunsthalle Osnabrück als Ausstellungsfläche dient, hängt ein großer Flachbildschirm. Eine afrikanische Frau in typisch bunter Kleidung steht hinter einem Pult und hält eine Rede. Vor ihr auf dem Rednerpult prangen deutlich sichtbar die Worte »Das Kongo Tribunal« in deutscher, französischer und englischer Sprache. Die Kamera zeigt immer wieder unterschiedliche Ausschnitte aus dem Saal und wechselt zwischen Rednerpult, einer vorsitzenden Gerichts-Jury und dem Publikum hin und her. Die Atmosphäre im Saal wirkt in vielen Momenten leidenschaftlich, dabei aber einer Gerichtsverhandlung durchaus angemessen.

Tumultartige Störungen kommen eher aus einer anderen Ecke der Ausstellungshalle. In Sichtweite flimmern die Videobilder der Installationen »Games Killer«, »Games Real« und »Leaders« über eine weitere Leinwand. Zu sehen sind Männer mit Waffen, Verfolgungsjagden, Gewaltszenen. Dazu schwillt in regelmäßigen Abständen krachender Lärm zu einer Art Gewehrsalven-Stakkato an. Es wirkt plötzlich so, als ob in der Nähe geschossen wird, bis der Lärm dann unvermittelt wieder abebbt. Die Installation »N.E.W.S. // N.O.W.S.« von Olli Holland besteht aus vier Marschtrommeln, die über einen Schaltkreis miteinander verbunden sind. Der Künstler hat einzelne Schlagzeilen aus 40 Ländern per Internet-Live-Stream gesammelt. Sie werden über vier Lautsprecher verteilt zufällig wiedergegeben. Die Trommeln schlagen dabei synchron zum gesprochenen Wort. Heraus kommt der in regelmäßigen Intervallen anschwellende Lärm, der keine Wörter mehr erkennen lässt, sondern nur noch an Gewehrsalven erinnert.

In einem weiteren sichtbaren Bereich der Halle hängt eine großformatige Landschaft. Der Film »Best of Luck with the Wall (variant)« von Garrett Lynch und Frédérique Santune zeigt das Gebiet, in dem sich die über insgesamt 1.954 Meter hinziehende Mauer zwischen den USA und Mexiko befindet. Mit dem Auto würde die Reise an der gesamten Mauer entlang 34 Stunden dauern. Der Film verkürzt die Zeit auf sechs Minuten. Die Satellitenaufnahmen zeigen das karge Land im Grenzbereich und erleuchten, mal mehr, mal weniger, die gesamte Ausstellungshalle.

All diese Eindrücke wirken auf Zuschauer des Films »Das Kongo Tribunal« ein. Als Gesamteindruck fügen sie sich zu Szenen einer kriegerischen Auseinandersetzung zusammen, die in ganz unmittelbarer Nähe stattzufinden scheint. Dabei ist wohl für die meisten Zuschauer an dieser Stelle des Films wohl noch gar nicht klar, was hier eigentlich genau verhandelt wird. Denn die meisten Menschen auf der Leinwand sprechen Französisch, viele von ihnen mit einer stark kongolesischen Prägung. In der ehemaligen belgischen Kolonie DR Kongo ist Französisch immer noch Verkehrssprache. Das alles macht es gar nicht so einfach, den Schilderungen inhaltlich zu folgen. Erst ein Blick in das Buch »Das Kongo Tribunal« im Nebenraum gewährt tiefere Einblicke. Hier hat der Regisseur, Autor und Künstler Milo Rau die Aussagen der Teilnehmer des Kongo-Tribunals in deutscher Sprache verschriftlicht. Es lässt sich erfahren, dass dieses Tribunal Teil eines Theaterprojekts ist. »Auf Festivals sind die Reaktionen auf den Film sehr positiv, im Kino läuft er nicht so erfolgreich«, erklärt Eva-Maria Bertschy, Dramaturgin und Rechercheurin für »Das Kongo Tribunal« bei einem öffentlichen Gespräch. »Das hat sicherlich sprachliche Gründe«.

Im Kongo tobt seit rund 20 Jahren ein brutaler Bürgerkrieg, dem bereits Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Die Lage ist extrem unübersichtlich. Einige Teilnehmer des Tribunals vertreten sogar die These, dass die vorhandenen ethnischen Konflikte des Kongo von multinationalen Konzernen geschürt und ausgenutzt werden, um ihren Profit zu maximieren und bessere Konditionen auszuhandeln. Ein Teilnehmer des Tribunals vermutet sogar, dass der Tod des kongolesischen Präsidenten Laurent-Désiré Kabila die Folge seines Versuchs war, höhere Steuern zugunsten der notleidenden Bevölkerung des Kongo durchzusetzen. Die DR Kongo ist sehr arm, obwohl sie über viele seltene Rohstoffe verfügt, die heute beispielsweise in Europa unverzichtbar sind. Die schweren Menschenrechtsverletzungen, die im Kongo an der Tagesordnung sind, werden in der Regel nicht juristisch verfolgt. So hat es bisher keine Möglichkeit zur Aufarbeitung gegeben. Durch »Das Kongo Tribunal« geraten die Zuschauer in eine ähnliche Situation wie ein berichtender Journalist oder ein Richter: Sie müssen sich mehrere teilweise widersprüchlichen Aussagen anhören, die Schilderungen mit den vorhandenen Fakten abgleichen und abwägen, welche Darstellung am ehesten überzeugt und der Wahrheit aller Wahrscheinlichkeit nach am nächsten kommen müsste. Ein schwieriger Prozess, denn eindeutige Antworten lassen sich nicht immer finden.

»Es gibt in dem Tribunal keine Angeklagten. Es geht für uns darum, die Dinge aufzuzeigen«, beschreibt Eva-Maria Bertschy den Anspruch an das Theaterstück. »Die Teilnehmer stammen aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Es sind Opfer und Täter dabei, die ihre Sicht auf die Dinge darstellen«. In der Jury säßen »echte« Juristen wie der Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck, dennoch glaubt Bertschy, dass »es schon gut ist, dass wir Leute nicht einfach so bestrafen oder einsperren können«. Insgesamt bewerteten die Menschen im Kongo das Theater-Tribunal aber als hilfreich. Sie seien froh, dass endlich einmal etwas zu unternommen werde. Deshalb planten Milo Rau und sein Team auch eine Fortsetzung.

Einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung in Krisengebieten liefert etwa auch der »Bomb Cloud Atlas« von Forensic Architecture. Die Forschungsagentur der Londoner Universität Goldsmiths verwendet Bilder von Bombenangriffen zum Beispiel aus sozialen Netzwerken und erstellt auf dieser Basis 3D-Modelle der Wolke. Anhand dieser Modelle lassen sich wichtige Daten ablesen wie etwa das Datum oder die Größe der Angriffe. So können manchmal sogar wichtige Beweise in Rechtsfällen geliefert werden. In dem Video »Air Strike Atimah« machen Forensic Architecture die Recherchen anhand eines Bombenangriffs auf ein Flüchtlingslager im syrisch-türkischen Grenzgebiet transparent und erklären auf verständliche Weise, welche Indizien zu welchen Schlussfolgerungen geführt haben. In diesem Jahr sind Forensic Architecture für den Turner Prize nominiert.

Wie zur Mahnung verweist die Ausstellung in der Nähe mit der Installation »Verortung des Unbekannten / Position of the Unknown« auf Dinge, die offiziell nicht existieren. In den alliierten Ländern wurden Bürger bis Mitte der 1970er Jahre offiziell dazu aufgerufen, auf unbekannte Objekte am Himmel zu achten. Heute suchen nur noch einige Amateure den Himmel nach geheimen Satelliten oder Ähnlichem ab. Die Installation verweist auf die Bewegung dieser unbekannten Objekte in der Erdumlaufbahn, die es offiziell nicht gibt und die dennoch existieren.

Auf eher allgemeine Wahrnehmungsmuster und die Anfänge von Form und Gestaltung verweisen »Superfreedraw« von Ralph Schulz und »Expanding and Remaining« von Nadine G. Khan-Dossos. Für »Expanding and Remaining« hat die Künstlerin Bilder angefertigt, die mit ihren kastenartigen streng geometrischen Formen an die Gestaltungsprinzipien des Designs von Webseiten erinnern. Khan-Dossos hat eine Ausbildung in islamischer Kunst und verbindet ornamentale Gestaltungsprinzipien aus diesem Kulturkreis mit der Ästhetik der abstrakten Malerei westlicher Prägung. Besonders auffallend ist dabei, dass ihre Bilder an kaum einer Stelle den meist makellosen Farbauftrag digital bearbeiteter Oberflächen erkennen lassen. Ihr sei es wichtig »die Ecken und Kanten aufzuzeigen, und darauf aufmerksam zu machen, dass die menschliche Hand am Werk war«, kommentiert die Künstlerin. Das Experiment »Superfreedraw« gewährte Nutzern einer interaktiven Webseite ab dem Jahr 2010 die Möglichkeit, anonym so viel zu malen, wie sie wollten. Dabei heraus gekommen sind jede Menge Kritzeleien, Sprüche, Wörter, aber auch Zeichnungen von Gesichtern, menschlichen Körpern oder Genitalien. Dabei beanspruchen Bilder, die mittlerweile etwa aus sozialen Netzwerken verbannt werden und damit kaum noch sichtbar sind, besonders viel Raum.

Auf die Suche nach diesen von vornherein aussortieren Inhalten machen sich Christoph Waechter und Matthias Jud in »Blacklist«. Sie machen die Gegenstände mit Hilfe eines Plotters wieder sichtbar. Der Plotter zeichnet die Bilder dabei auf eine sehr schemenhafte Art nach, so dass den Bildern die entscheidenden Erkennungsmerkmale fehlen und sie nicht mehr gesperrt werden. So tritt das Verbannte in etwas abgewandelter Form wieder in Erscheinung.

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