Ausstellungsbesprechungen

Armut – Perspektiven in Kunst und Gesellschaft, Stadtmuseum Simeonstift und Rheinisches Landesmuseum Trier, bis 31. Juli 2011

Das Thema Armut ist heute aktuell und brisant wie nie, seine Probleme sind allerdings schon wesentlich älter. Auseinandersetzungen um knapper werdende materielle und kulturelle Ressourcen, Streitigkeiten um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe sowie Differenzen über die Grenzen der Solidarität prägen seit der Antike unsere Gesellschaft. Die Ausstellung spiegelt die unterschiedlichen Formen des Umgangs mit Armut von der religiös geprägten Bescheidenheit bis zu ökonomischen Gesichtspunkten wider. Günter Baumann hat sich für PKG dem Thema angenommen.

Man hätte die Ausstellung zur Armut, wie sie zur Zeit in Trier und in Kürze – wenn auch in kleinerem Zuschnitt – in Ulm zu sehen ist, auch als Themenschau abhandeln können, wie sie so zahlreich zu besuchen sind: zur Landschaft in dieser oder jener Zeit etwa, zur Frühmoderne in der Malerei o.ä. Sie wäre beeindruckend genug gewesen. Nun verlangt das schwierige Sujet, das weit in die Gesellschaft hineinragt, mehr noch: das zuerst in der Gesellschaft angelegt ist und dann erst in der künstlerischen Auseinandersetzung seinen Niederschlag findet, eine sensible Behandlung.

Über Jahre hinweg hat sich an der Universität Trier der Sonderforschungsbereich 600 zum Thema »Fremdheit und Armut« etabliert in Verbindung mit einem zweisemestrigen Seminar, in dessen wissenschaftlicher Atmosphäre die Sonderausstellung reifen konnte. Eine solche Vernetzung von (wissenschaftlicher) Forschung und (Publikums-)Ausstellung ist selten. Als visuell aufgearbeiteten Ertrag kann man die etwa 250 Ausstellungsstücke und -bilder ansehen, die im Rheinischen Landesmuseum mit antiken Arbeiten und im Stadtmuseum Simeonstift mit rund 170 mittelalterlichen bis hin zu gegenwärtigen Künstlern auf Besucher warten. Über einem solchen Fundament konzipiert, kann sich die heikle Materie in jeder Hinsicht sehen lassen, zumal die präsentierten Leihgaben dafür sorgen, dass der sozialethische Aspekt nicht allzu trocken daher kommt. Was sich da zwischen Pompeji und Pop Art, von Brueghel bis Immendorff ausbreitet, lässt einen nicht kalt zurück. Dass die Bundesministerin für Bildung und Forschung Annette Schavan die Schirmherrschaft übernommen hat, spricht für die besondere Ausrichtung der Präsentation, deren begleitende schwergewichtige Publikation – die über einen Katalog deutlich hinaus geht – hoffentlich auch in die Schulbibliotheken Einzug hält: Sie ist so angelegt, dass sie nicht nur Lesefutter für die Ausstellungsbesucher bereithält, sondern auch eine verlässliche Handreichung für Lehrer verschiedener Fachrichtungen darstellt. Denn eines wird rasch deutlich: Die Armut ist nicht nur ein gravierendes Problem in Drittweltländern, sie ist fatalerweise auch ein ernstzunehmendes, interdisziplinäres Thema in den großen Industrienationen, wo man gern die Augen davor verschließt. Da verwundert es schon, wie selten das Problem über die visuelle Kommunikation veranschaulicht wurde – die Trierer Schau dürfte als größtes diesbezügliche Unternehmen Maßstäbe setzen.

Herbert Uerling, der das Forschungsprojekt leitet, machte aus der Not regelrecht eine Tugend: Die üppig ausgestattete Präsentation »ist in erster Linie eine Armutsausstellung, aber wir haben das Thema ins Medium der Kunst übersetzt, damit überhaupt eine ansprechende Ausstellung daraus werden kann. Was wir zeigen, sind 2500 Jahre Geschichte der Armut in Europa im Spiegel der Kunst«.

Wir sehen nicht nur, wie die erstrangigen Künstler das Thema behandelt haben, sondern auch, wie die Gesellschaften im Laufe der Jahrtausende damit umgegangen sind. Plötzlich entfaltet sich ein Bündel von Armutsmodalitäten und Modellformen im Umgang mit Armut: die christliche Barmherzigkeit hat eine andere Qualität als der aufklärerische Kampf um das Recht auf Wohlstand, der im minimalen Konsens Recht auf Essen bedeutet. Uns mag das selbstverständlich sein, doch waren diese Ansprüche einst Revolutionen – an denen in vielen Winkeln der Erde noch Bedarf ist (manch satte, wirtschaftsfixierte Menschen denken noch wie die sprichwörtlich alten Römer, die die Armen gern verspotteten). Andrerseits ist Armut auch emotional wohl zeitlos konnotierbar: Ob Pieter Brueghels »Sieben Werke der Barmherzigkeit« oder »Brot!« von Käthe Kollwitz – beides aus dem Ulmer Museum der Brotkultur, wo die Ausstellung im Herbst Station machen wird –, die existentiell bedrohliche Situation spricht aus dieselbe bildnerische Sprache.

Unter den exzellenten Kunstwerken brillieren neben den genannten Künstlern »Die trunkene Alte«, ein hellenistisches Motiv, eine zauberhafte mittelalterliche Darstellung der Mantelteilung des hl. Martin, von einem Schwäbischen Meister geschaffen, Frans Franckens d.J. »Gleichnis vom reichen Prasser« bis hin zu Karl Hofers »Arbeitslosen« u.a.m. Die Perspektiven der Schau folgen den Leitbegriffen »Dokumentation« (Fotografien, Armutszeugnisse), »Appell« (Hunger, Spendenwerbung), »Ideal« (Menschenwürde, Nächstenliebe), »Stigma« (unwürdiges Dasein, Fremdheit), »Reform« (Prävention, soziale Fragen). Während Liebermann (sympathisierend: »Hof des Waisenhauses in Amsterdam«), Picasso (kunstvoll: »Das karge Mahl«), Katharina Fritsch (signethaft: »Bettlerhand«) & Co. quasi für die Aufmerksamkeit zum notgedrungen leidigen Thema werben, liefern die Ausstellung und der Katalog gleichermaßen ein theoretisches Rüstzeug. Ein integrales, essayistisch fundiertes Glossar beleuchtet alle Facetten der Armut – von »Almosen« bis »Zucht- und Arbeitshaus« entfaltet der Begleitband das soziale und ethische Rüstzeug, um auch kritisch den ästhetisierenden Inszenierungswillen vieler Künstler zu hinterfragen. Denn die Wirklichkeit ist letztlich doch meist rücksichts- und gnadenloser als die Kunst.

Weitere Informationen

Die Ausstellung ist vom 11. September bis zum 6. November 2011 auch im Museum der Brotkultur Ulm zu sehen.

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