Ausstellungsbesprechungen

Arnulf Rainer – Passionen. Retrospektive zum 75. Geburtstag

Manchem mag der Fall pikant sein: Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Münster wird am 25. Juni 2004 dem Übermalungskünstler Arnulf Rainer – berühmt wurden gerade auch seine Kreuzes- und Kreuzigungsübermalungen – die Ehrendoktorwürde verleihen.

Dass diese Ehrung in das Jahr des 75. Geburtstages (am 8. Dezember) von Arnulf Rainer fällt, ist ein durchaus vorhersehbarer Zufall – immerhin gehört er zu den bedeutendsten lebenden Künstlern im deutschsprachigen Raum (neben Georg Baselitz und Sigmar Polke – die allesamt mit dem renommierten Rhenus-Kunstpreis ausgezeichnet wurden, Rainer erst im vergangenen November). Dass die Ehrung von einer katholischen Einrichtung vorgenommen wird, wirft auch ein ruhmvolles Licht auf die zuständige Fakultät: könnte doch dem einen oder anderen konservativen Geist die exaltierte, exzentrische Malerei Arnulf Rainers zu weit gehen. (Andererseits zeigt etwa die Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst e.V. in München seit Jahren, wie nah sich moderne Kunst und Kirche sind; ähnliche Bestrebungen gab es auch schon in den späten 40-er Jahren: ausgerechnet in Wien betrieb der Monsignore Otto Maurer die Galerie Nächst St. Stephan, die auch Arnulf Rainer förderte.) Ausgezeichnet wird ein Lebenswerk, »das mit der höchsten Intensität künstlerischer Reflexion christliche Bildentwürfe und eigenständige Malerei in einen – oft konfliktreichen – Widerstreit führt«. Nun fügt es sich gut ein, dass der Künstler in diesem Jahr mit mehreren Ausstellungen bedacht wird, unter anderem mit einer Retrospektive in Aschaffenburg, die im Anschluss an die Schau in der Kunsthalle Jesuitenkirche noch in Mühlheim an der Ruhr und in Berlin zu sehen sein wird.

Als erster Hippie Österreichs wird er von seiner langjährigen Freundin und Maler-Kollegin Maria Lassnig beschrieben; als Enfant terrible und Angry young man, der nicht zuletzt das eigene Antlitz in gestischen Übermalungsaktionen zerstört, sieht man ihn bis heute. Dabei übersieht man allzu schnell den hochsensiblen Künstler, der aus einer gewissen Unzufriedenheit heraus Bilder – fotografierte Selbstporträts, Werke aus der Kunstgeschichte usw. – weitermalt, der sich wie kaum ein Zweiter mit dem Tod als Fortführung des Lebens auseinandersetzt, der den Zerfall als kreativen Prozess versteht. Schließlich erschöpft sich das großartige Werk nicht in den Übermalungen. Die Ausstellung in Aschaffenburg macht deutlich, dass Rainer aus der Tradition heraus zu seinem ureigenen Stil fand, der sich keiner Mode und keiner Schule unterordnen lässt, der sich in den späteren Arbeiten von den Übermalungen wegentwickelte, ohne sich untreu zu werden, ohne sich wandeln zu müssen. Der Grund lag in seiner dialektischen Art zu denken, wie Gabriele Uelsberg im hervorragenden Katalog zur Ausstellung ausführt: Als sich jeweils widersprechende Komponenten seiner Kunst nennt sie »Impuls und Korrektur, Verdeckung und Enthüllung, Schwärzung und Erleuchtung, Aktion und Verhaltung«.

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Die Stationen des Oeuvres bestätigen den steten Wandel im Immergleichen. Nach dem Krieg erlag Rainer zunächst in Paris dem Sog des Surrealismus, der ihm jedoch letztlich fremd blieb (was wahrscheinlich auf die Skepsis gegenüber Freuds Psychoanalyse zurückzuführen ist); dafür entdeckte er eine geistige Verwandtschaft zu den französischen Informellen, allen voran Jean-Paul Riopelle. Um 1950 entstanden die so genannten Atomisationen – dichte Bleistiftgewebe – und Blindzeichnungen im Gefolge der Écriture automatique: Man kann sie bereits als Übermalungen »ante rem« bezeichnen, als Versuch, dem bedrohlichen Weiß des Papiers zu begegnen. Danach setzt die Arbeit am fertigen Bild ein, sprich die Übermalungen. Anfangs wurde er sich selbst Motiv in fratzenhaften Fotoserien, deren Einzelbildern er auf den Leib rückte, und weil seine Mimik auf den Bildvorlagen den Grimassen des Franz Xaver Messerschmidt nicht unähnlich war, nahm er gleich Fotos von Messerschmidt-Figuren und dann auch andere Bilder aus der Kunstgeschichte heran und übermalte sie; eine ganz wesentliche Erfahrung wurde ihm die Übermalung von Kreuzdarstellungen. Eine Differenzierung des Übermalungsgedankens stellen die Geologica und Mikrokosmen sowie die Schleifen- und Schleier-Bilder dar, in denen Arnulf Rainer Farbbahnen in geschichteten Lasuren über den Grund legt, die scheinbar überdecken, was gar nicht mehr vorhanden ist. Eine fast schon milde Stimmung verbreiten die breiten Farbschleier, und mit hintergründigem Witz erklärt Rainer diesen sanften Sinneswandel zur altersweisen Weltsicht: »Ich lebe jetzt relativ zurückgezogen«, so der Meister in einem aktuellen Interview, »außerdem glaube ich nicht, dass es das so genannte wirkliche Leben überhaupt gibt, sondern dass sich das selber in gewissem Sinne erfindet oder erfinden muss. Ich habe nicht mehr so viel Testosteron, dass ich öffentlich aggressiv werde.«

In Anbetracht der Gemälde spürt man, dass es um ganz ernste Bilder geht, die fern jeglicher Selbstironie – die man vermuten könnte – die Existenz des Menschen ausloten. Deshalb sei die Frage gestattet, ob Arnulf Rainer denn nun ein religiöser Künstler ist. Er würde diese Einordnung wohl ablehnen, sofern man damit die Vorstellung eines Kirchenmalers verbände. Indizien dafür, dass uns in Rainer einer der bedeutendsten Sakralmaler der Gegenwart begegnet, gibt es zur Genüge: »Über die Auseinandersetzung mit den Alten Meistern«, so bekannte der Künstler im Hinblick auf seine Eingriffe in die Zeugen der Kunstgeschichte, »habe ich heute (…) Zugang zu biblischen Themen (…) gefunden«; und wenn er den christlichen Hintergrund auch von sich weist, so nennt er die zentrale Beschäftigung mit dem Tod einen »religiösen Umgang«, der nichts mit bloßer Vanitas-Ästhetik zu tun hat, sondern mit der unmittelbaren, ultimativen Grenzerfahrung des Menschen. Diesem starken Werk kann man sich nicht entziehen – so macht sich Arnulf Rainer selbst zu einem Nachfahren Grünewalds und van Goghs (um die extremen Eckpunkte religiöser Malerei abzustecken) sowie besonders im Hinblick auf das spätere, mildere Werk, das es zu entdecken gilt, einem Nachfahren Giottos.

 

 

Weitere Informationen

 

Eintritt
4 €, ermäßigt 3,50€

Öffnungszeiten
Dienstag 14–19 Uhr
Mittwoch–Sonntag 10–17 Uhr

Führungen

Öffentliche Führung jeden Sonntag um 11:00 Uhr
Sonstige Führungen: auf Anfrage (Tel. 06021 / 21 86 98)

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