Ausstellungsbesprechungen

Ars Viva. Labor, Kunstmuseum Stuttgart, bis 23. Oktober 2011

Georg Baselitz hat ihn. Albert Oehlen hat ihn. Und Rosemarie Trockel. Candida Höfer bekam ihn im selben Jahr wie Thomas Ruff und Thomas Struth. Etwas später durften sich Olaf Metzel, Karin Sander und Wolfgang Tillmans über ihn freuen. Die Rede ist vom Ars Viva-Preis für Bildende Kunst, den der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft seit 1953 jährlich an Künstler mit Wohnsitz in Deutschland vergibt. Sebastian Borkhardt hat einen Blick auf die aktuellen Preisträger geworfen.

Gewiss: Einen arrivierten Protagonisten des Kulturtheaters zu würdigen, ist in etwa so originell wie das Aufwärmen eines Fertiggerichts oder das Malen nach Zahlen. Demgegenüber lässt die Reihe berühmter Ars Viva-Preisträger gerade deshalb aufmerken, weil sie diese Auszeichnung erhielten, bevor sie im Zenit ihrer künstlerischen Laufbahn standen. Mit dem Anspruch der Ars Viva als Förderpreis korrespondiert ihr lateinischer Name: Damit die Kunst lebendig bleibt, ist es notwendig, sich um den Nachwuchs zu kümmern.

Im Oktober 2010 überreichte Dr. Arend Oetker, Urenkel des Firmengründers August Oetker und Juryvorsitzender im Kulturkreis der deutschen Wirtschaft, die Ars Viva an Nina Canell, Klara Hobza, Markus Zimmermann und Andreas Zybach. Mit dem Preis verbunden war für die vier Künstlerinnen und Künstler neben einer Prämie von je 5.000 Euro die Teilnahme an einer Werkschau, die nach Stationen in Chemnitz und Istanbul nun im Kunstmuseum Stuttgart gastiert.

Wie in den Jahren zuvor lag der Auslobung der Ars Viva 2010/11 ein thematisches Kriterium zugrunde: „Labor“ lautete es diesmal. In der Tat überkommt einen beim Gang durch die von Daniel Spanke kuratierte Ausstellung bisweilen der Eindruck, als betrete man den Arbeitsplatz eines Experimentators. So brodelt es bei einer Installation von Nina Canell (*1979 in Växjö/SE) wie in einer Chemieküche: In einem Gefäß befindliches Wasser wird ultraschallvernebelt und gelangt in Kontakt mit Zement, der infolge einer Reaktion aushärtet. Die spezifische Versuchsanordnung lässt den Abbindeprozess extrem langsam, wie durch eine Zeitlupe betrachtet verlaufen – und eröffnet dabei eine poetische Dimension.

Die hochexplosive Wucht eines missglückten Experiments suggerieren dagegen die „Farbspritzer“ an den Wänden eines von Andreas Zybach (*1975 in Olten/CH) gestalteten Raums. Sie bestehen aus Partikeln geschredderter Alltagsobjekte wie Pinsel, Plastikeimer und Betonrohre, die auf ausgelegten Postern noch gänzlich unversehrt zu sehen sind. Was zwischen der fotografischen Aufnahme und dem Jetzt-Zustand geschehen ist, bleibt unserer Fantasie überlassen. Mit einiger Sicherheit kann man aber behaupten, dass kaum je ein Künstler das Gegenständliche im Abstrakten Expressionismus auf so handfeste Weise vorzustellen vermochte, wie Zybach es hier augenzwinkernd tut.

Einen anderen Ansatz verfolgt Klara Hobza (*1975 in Pilsen/CZ) in ihrem Paper Airplanes-Projekt, bei dem das Konstruieren und die heuristische Methode des Trial and Error im Zentrum stehen. 2008 richtete Hobza in New York einen Papierfliegerwettbewerb aus, dessen Ergebnisse sie dokumentierte. Von einer Nadel durchbohrt werden die Siegermodelle in den verschiedenen Disziplinen (time aloft, distance flown und – als Kommentar auf den verbreiteten Messlattenpositivismus – beauty und spectacular failure) wie Schmetterlingsleichname in Schaukästen präsentiert. Dabei stellen sich grundsätzliche Fragen nach der Vermittlung von Wissen und nach dem Verlust, der mit einer musealen Dekontextualisierung und Fixierung der Dinge einhergeht: Was lernen wir von einem Papierflieger, der nicht mehr fliegt, was von einem Lebewesen, das nicht mehr lebt?

Auf den Zusammenhang mit dem Thema „Labor“ wird man bei den gezeigten Arbeiten von Markus Zimmermann (*1978 in Hannover) vermutlich nicht auf den ersten Blick kommen. Zimmermann entfernt sich in der Stuttgarter Präsentation nämlich von den „Guckkästen“, die sein bisheriges Schaffen prägten. In ihnen verwandelte er wie ein Alchimist Styropor, Schaumstoff und Pappe durch gezielte Eingriffe in miniaturräumliche Kuriositäten. Dabei sorgte der Kontrast zwischen einem meist schlicht gehaltenen Äußeren und einem effektvollen Innenleben stets für Erstaunen. Die in Stuttgart ausgestellten Werke behalten wesentliche Eigenschaften der früheren Guckkästen bei; doch sind sie teilweise geöffnet und auf die Größe von Möbeln gebracht, womit eine veränderte Rezeption einhergeht: Form-, Farb- und Materialbeziehungen werden nun in der Bewegung durch den Raum erfahren.

Durch die Akzentuierung positionsgebundener, sich verändernder Erfahrungswerte verdeutlichen Zimmermanns neueste Arbeiten, dass Wissen an sich gar nicht existiert, sondern aus der Begegnung zwischen Subjekt und Objekt resultiert. Es ist dieser keineswegs neue, aber oftmals vergessene Zusammenhang, der die gängige Verobjektivierung der Wissenschaften und die Versubjektivierung der Künste überwindet. – In diese Richtung dachten übrigens schon Adolf Hölzel (1853–1934) und sein Schüler Willi Baumeister (1889–1955), die eine parallel gezeigte Schau des Kunstmuseums in einen aufschlussreichen Dialog stellt. Der Überzeugung Hölzels von der Kunst als einer Wissenschaft folgend, schrieb Baumeister in seinem Buch »Das Unbekannte in der Kunst« (1947): »Künstler und Wissenschaftler sind innerhalb der Methode des Findens, des Genialen, gleich«.

Weitere Informationen

2011/12 geht der Ars Viva-Preis an Erik Bünger (*1976), Philipp Goldbach (*1978) und Juergen Staack (*1978). Eine Auswahl ihrer Werke, die sich mit dem Thema »Sprache« befassen, ist vom 9. Oktober 2011 bis zum 15. Januar 2012 im Museum Folkwang Essen zu sehen. Im Anschluss wird die Ausstellung nach Riga (Art Space) und nach Bremen (Weserburg | Museum für moderne Kunst) wandern.

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