Ausstellungsbesprechungen

Art Déco. Grafikdesign aus Paris, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, bis 21. Oktober 2018 (verlängert)

Hochwertige Gebrauchsgrafik aus Paris, also vor allem Plakate, aber auch Werbung, Design und sogar ein wenig Mode der Zeit präsentiert das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe in einer bunten und interessanten Schau, die Stefan Diebitz besucht hat.

Art Déco ist nicht Jugendstil, aber eng mit ihm verwandt, und eigentlich entwuchs er ihm sogar. Der Begriff geht auf Le Corbusier zurück und ist ursprünglich polemisch gemeint, denn dem berühmten Architekten und Autor einiger Artikel missfiel der in seinen Augen snobistische Anspruch des Art Déco, der damit Tendenzen des Jugendstils aufgriff und gelegentlich auf die Spitze trieb. Art Déco ist eine Abkürzung von »Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes«, dem Titel einer Pariser Ausstellung von 1925, aber die Ursprünge dieser Bewegung liegen wesentlich früher, wohl im Jahr 1910, und die Ausstellung war ja eigentlich auch schon für 1915 geplant. So war der Erste Weltkrieg für die Unterbrechung der Bewegung verantwortlich, die erst in den zwanziger Jahren richtig Fahrt aufnehmen konnte, nachdem die Kriegs- und Hungerjahre überwunden waren.

Ist Art Déco allein ein historisches Phänomen? Er liegt uns gleichzeitig sehr fern und sehr nah. Nah, weil damals viele der Tendenzen begannen, die auch unsere Zeit bestimmen – man denke nur an die Nähe von Werbung und Kunst. Ihre Ursprünge kann man jetzt in Hamburg anschauen. Aber auch sehr fern, denn besonders die Bedeutung alles Handwerklichen, Wertvollen und Subtilen ist den meisten Zeitgenossen kaum noch zu vermitteln. Besonders gilt das für ein Phänomen wie den Pochoir-Druck, der doch schon damals eher von gestern war.

Für uns Heutige verbindet sich mit Art Déco zunächst das Bild prachtvoller, meist auch ungewöhnlicher Gebäude, denn architektonische Zeugnisse dieser Epoche finden sich auf der ganzen Welt. Aber die Hamburger Ausstellung, die ganz aus den eigenen, ziemlich reichen Beständen schöpfen kann, zeigt nichts aus diesem Bereich, also nicht einmal eine Zeichnung, ein Foto oder einen Entwurf, sondern ist ganz dem Plakat gewidmet. Dazu werden Zeitschriften mit ihren Illustrationen vorgestellt, einige Kleider und noch dazu zwei sehr schöne Vasen – aber den Haupteindruck hinterlassen dann doch die meist großen, nicht selten spektakulär gestalteten Plakate.

Schon den Jugendstil zeichnet eine Tendenz zum Wertvollen, Guten und Wertbeständigen aus, eine Vorliebe für teure Materialien und sorgfältige Verarbeitung, und der Art Déco greift diese Tendenz auf und verstärkt sie noch. In formaler Hinsicht fallen die originellen und formal interessanten, nicht selten vom Kubismus beeinflussten Bildideen auf – viele Plakate sind dank kraftvoller Farben und einem dynamischen, oft diagonalen Bildaufbau buchstäblich plakativ –, und in materieller Hinsicht ist die Vorliebe für das im Katalog mit historischen Schautafeln ausführlich erläuterte Pochoir-Verfahren auffallend. Eigentlich war diese handwerkliche Drucktechnik bereits zu Beginn der Bewegung veraltet, und die Vorliebe für sie spiegelt deshalb getreu den Snobismus des Art Déco. Mit der Hilfe verschiedener Schablonen wurden Zeichnungen gedruckt und dann (von Hand!) einzeln eingefärbt, und das Ergebnis dieser zeitaufwendigen Mühen musste einfach glanzvoll sein. Aber hohe Auflagen? Niedrige Preise? Davon konnte keine Rede sein, und sie wurden ja auch gar nicht angestrebt.

Eine ähnliche Tendenz zeigte sich bei den Zeitschriften, vor allem bei jenen, die mit den Modehäusern zusammenarbeiteten und die Haute Couture zu verkaufen halfen. Wer sich teure handgeschneiderte Kleider leisten konnte, der griff gern auf die entsprechenden Magazine zurück, die auch nicht gerade umsonst waren. Die wohl erste Zeitschrift dieser Art war »Gazette du Bon Ton«, die jeweils zehn Pochoirdrucke enthielt, von denen etliche in dieser Ausstellung präsentiert werden. Diese Drucke waren auf besserem Papier gedruckt als der Rest der Nummer und lagen dem Heft bei, sodass bei ihrer Entnahme dieses nicht zerstört zu werden brauchte. Ganz ähnlich war es bei Almanachen, von denen in Katalog und Ausstellung besonders »Falbalas & Fanfreluches« vorgestellt wird. »Der befremdlich klingende Titel«, schreibt Kurator Jürgen Döring, »bezieht sich auf die Mode […]. Er lässt sich ungefähr mit Firlefanz und Flitterkram übersetzen – oder auch, auf das Schneiderhandwerk bezogen, mit Krausen und Rüschen.«

Auch für Anzeigen arbeiteten die Künstler, und viele dieser Anzeigen sind mit ihren gelängten Figuren, den oft pathetischen, meist vertikalen Gesten und den zarten Umrisslinien sehr vom Jugendstil geprägt. Florale Motive allerdings waren nicht unbedingt die Sache des Art Déco, der es doch mehr mit der Technik hielt. Eines dieser Bilder von George Lepape wirbt für »Fleur de France«, das ein sehr patriotisches Parfüm gewesen sein muss. Roger de Valerio, ein Zeichner und Werbegrafiker, arbeitete dagegen außer für einen Musikverlag für Autofabriken. Seine Bilder von schwarzen Musikern lassen hinsichtlich der Klischees – zum Beispiel haben ausnahmslos alle dicke rote Lippen – keine Wünsche offen.

Paul Colin als einer der wichtigsten Vertreter der Plakatkunst des Art Déco besaß ein ganz offensichtliches Talent für die Darstellung von Bewegungen aller Art und bringt uns damit unter anderem auch den Tanz näher. Dieser Schöpfer erstaunlicher Plakate, der eine Weile mit Josephine Baker liiert war, entwarf Kostüme für ihre Show, aber vor allem veröffentlichte er eine Mappe unter dem Titel »La Tumulte noir«, in der er Tänzer oder überhaupt das Bühnenleben der Pariser Revuen vorstellte – und zwar, um den Einfluss der schwarzen Musik zu veranschaulichen, allesamt schwarz, selbst wenn es sich um Europäer handelte. Vielleicht bilden diese Blätter den Glanzpunkt der Ausstellung; im Mittelpunkt der Räume und des Kataloges stehen sie bestimmt. Eines der Blätter, das einzige doppelseitige der Serie, zeigt das Jazzorchester der Baker vor einer kubistisch angehauchten Kulisse, für die mit Colin derselbe Künstler verantwortlich zeichnete.

Auch der Liebhaber (ziemlich expliziter) erotischer Kunst kommt in dieser Ausstellung auf seine Kosten, denn da ist André Lambert, der sich an antiken Darstellungen orientierte und sogar eine Blütenlese entsprechend eindeutiger lateinischer Dichtung kostbar illustrierte. Natürlich war die Aufmachung kostbar und die Auflage entsprechend winzig.

Eine weitere Tendenz – aber dann ist es schon mehr Design, sogar Industriedesign, als Kunst – ist die Dominanz der Technik; Autos oder Züge in der Vorwegnahme einer faschistischen Ästhetik in Untersicht, um ihre Stärke und Dynamik zu veranschaulichen, oder den frontal aufgenommenen Kiel eines Ozeandampfers (der ja nicht weit vom Museum entfernt eines der berühmtesten Häuser der Hansestadt aus eben dieser Zeit schmückt, das legendäre »Chilehaus«, das einem die Wellen durchschneidenden Schiff nachempfunden wurde).

Es ist eine sehr anregende, weil vielseitige, mit allerlei Überraschungen aufwartende Ausstellung, deren Besuch man nur empfehlen kann.

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