Ausstellungsbesprechungen

Arte Povera – Der große Aufbruch. Boetti, Kounellis, Merz, Pistoletto aus der Sammlung Goetz, Kunstmuseum Basel, bis 3. Februar 2013

Noch bis Sonntag können Sie sich im Kunstmuseum Basel davon überzeugen, ob die Ausstellung zur Arte Povera ihrem Titel gerecht wird. Günter Baumann hat die Schau bereits gesehen und berichtet.

Endlich wieder eine Ausstellung über die selbsternannte ärmliche, wenn nicht armselige Kunst! Schon vor 20 Jahren war es ein Genuss zu erleben, wie frisch, wie tiefsinnig und reichhaltig diese Arte Povera blieb, obwohl sie in den 1960er Jahren begründet wurde. Noch heute wirkt sie gänzlich unverbraucht, wie die Ausstellung in Basel zeigt. Als die vorwiegend italienischen Künstler um Boetti, Fabro, Paolini und Pistoletto (der anfangs nicht zum harten Kern gehörte) die Koordinaten der Kunst neu sortierten und im reichhaltigen Fundus der Natur und des Alltags stöberten, kam eine völlig neue Ästhetik auf, die wohl deshalb einen so dauerhaften Bestand hatte, weil der theoretische Background eine solide Basis schuf, die sich tatsächlich am Schönheitsbegriff der Renaissance – sozusagen vor der Haustür – rieb und zugleich Teil dieser Tradition wurde. Denn irgendwie zeigte sich der innovative Zugriff auf einfachste Mittel bzw. Medien wie Erde, Neon, Wachs, Zweige usw. als konservativ genug, um an klassische Ideale zu erinnern, und sei es im Spiel mit der antiken Standfigur.

Gerade die materielle Bodenständigkeit verrät den kulturgetränkten Grund, auf dem die vorwiegend installativen Arbeiten gediehen. Irgendwie atmen alle Arbeiten der frühen Stunde einen nahezu heiteren Ernst aus: Pathos umschleicht selbst noch die minimalistisch-simplen Arbeiten wie etwa Giovanni Anselmos »Projektion meines Schattens auf die Unendlichkeit« oder die mathematisch-seriellen Ideenbilder von Mario Merz. Manches wird man heute entspannter, leichter sehen. Auffallend ist jedenfalls die unglaubliche Vielfalt der Positionen, die doch eigentlich mit den einfachsten Mitteln umgehen. Aber selbst das ist ja eher ein Klischee, denn die Farbe Gold/Gelb spielt keine geringe Rolle in der Arte-Povere-Kunst, namentlich Luciano Fabro und Jannis Kounellis verwendeten Blattgold in ihren Arbeiten.

Rund 100 Arbeiten der Sammlung Goetz sind in der Basler Sonderschau (wieder)zuentdecken. Die genannte Sammlung verfügt über etliche Schlüsselwerke der Arte Povera, die in begnadeter Pose nicht nur die Vergänglichkeit des Lebens und der Kunst beschwört, sondern auch die damals unbeabsichtigte Ahnung von der potentiellen Ewigkeit der Kunst. Mittlerweile sind die Protagonisten – man denke an Kounellis – international aufgestellt, doch wissen die meisten um die spezifisch italienischen Wurzeln. Das kulturelle Erbe wurde von den Künstlern jedoch so ausgelegt, dass es europäisch erweitert wahrgenommen werden kann. Und so erwächst ausgerechnet den Künstlern der Arte Povera die Aufgabe, die schwächelnde Identität des Kontinents zu stärken. Deshalb ist diese Bewegung auch noch oder gerade jetzt wieder so wichtig, und man kann die dicht gedrängte Überblicksschau nicht hoch genug loben. Da mag man noch so sehr konstatieren, dass die Arbeiten im Geist der 1960er Jahre stecken geblieben seien, als die Gesellschaft zwischen Absturz und Goldenem Zeitalter stand. Entsprechend tritt ihre Kunst zum einen auf als eine Lumpensammlung und zum anderen mit der Demonstration einer goldgetränkten Italiensilhouette. Von bleibendem Wert sind die selbstreflexiven Kunstdiskurse, die manches Exponat ›senza titolo‹ zu einem stillen, zuweilen rätselhaften Manifest erheben, die Chiffren einer sozialpolitischen Zeitkritik (man denke an die »Kartoffel«-Installation Giuseppe Penones) und die Poesie, die dem mediterranen Geist geschuldet sind. So kann man die Arte Povera als einen der wichtigsten Beiträge Italiens nach der Pittura metafisica und vor der Transavantguardia betrachten.

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