Ausstellungsbesprechungen

arte regionale IV „Wahlverwandtschaften“

Alle drei Jahre findet in Osnabrück die Wettbewerbsausstellung der „arte regionale“ statt, die sich durch ihre moderne, regionalbezogene Künstlerförderung bereits international einen Namen gemacht hat. Zum vierten Mal stellen sich Künstlerinnen und Künstler der Jury. Das diesjährige Motto lautet „Wahlverwandtschaften“.

Dazu haben sich Kunstschaffende aus Osnabrück Künstler aus anderen Städten – von Bad Oeynhausen bis Rotterdam - als Dialogpartner gesucht, um miteinander korrespondierende Werke zu schaffen und die „arte regionale“ zur „arte überregionale“ zu öffnen. Die Kunsthalle Dominikanerkirche zeigt die zentrale Ausstellung der am Wettbewerb teilnehmenden Werke. Doch es gibt auch noch zusätzliche Ausstellungsorte in Osnabrück und im Umland, an denen der Besucher eine Vielzahl unjurierte Beiträge sehen kann.

 

Ein großer Kalksteinquader ist das erste, was man von der Zusammenarbeit von Michael Flatau und Mark Kramer bemerkt. Der zweite Blick fällt auf das Loch an der Oberseite des Quaders, das Einblick gibt auf einen kleinen Bildschirm im Inneren, auf dem sich ameisenkleine Menschen durcheinander bewegen, die Flatau aus erhöhter Position filmte. Und erst der dritte Blick entdeckt die Arbeit von Mark Kramer, die über dem Quader hängt: 1500 unbemalte Menschenfigürchen, die für Modelleisenbahnen produziert wurden, schweben in Form eines weiteren Quaders an Nylonschnüren von der Decke des Kirchenschiffes. Die Künstler möchten mit dem Kontrast zwischen uraltem Steinblock und hektischem Getümmel auf die Winzigkeit und Unwichtigkeit des Menschen hinweisen.

 

Der Osnabrücker Künstler Frank Gillich hat seinen Dialogpartner in Franz Wamhof gefunden. Gillich ist mit zwei Miniatur-Wohnkomplex-Rohbauten vertreten, während Wamhof einen Leuchtkasten mit Diapositiven ausstellt. Beide Arbeiten verbindet zunächst die Tatsache, dass man auf sie herunterschaut. Man gewinnt Einsicht in eine kleine, andere Welt. Wamhofs winzige, unsortierte Urlaubserinnerungen fremder Leute können in der Phantasie des Betrachters mit den Menschen in Verbindung gebracht werden, die vielleicht einmal in einem Gillich-Bau wohnen oder arbeiten.

 

Die „Rümpersche Population“ besteht aus tiefschwarzen Baumwollwesen, die sich wie eine kleine Gruppe Außerirdischer über den Ausstellungsraum hermachen. Carola Rümper schuf die phantastischen Vielfüßler, die für unsere Wahrnehmung etwas völlig Neues darstellen, und verband ihre Arbeit mit der Videoinstallation ihrer Dialogpartnerin Anke Koschinski, die ebenfalls mit einer Sehgewohnheit spielt: Zu sehen ist ein waagrechter Unterarm, an dem von rechts nach links ein Tropfen Wasser „herunter“ läuft.

 

Die ganz simpel wirkende Arbeit von Isa Thalstein und die ausgesprochen skurrile von Burglind Jonas harmonieren ganz wunderbar miteinander. Thalstein zeigt mit „Psychose – lesbar“ 75 blaue Arzneifläschchen auf einem Metalltisch. Die Fläschchen tragen Etiketten, auf denen drei Schilderungen von Angstpsychosen als „Fortsetzungsroman“ zu lesen sind. In diese fremde Welt der Psychose kann sich der Leser gedanklich begeben. Eine noch fremdere Welt begegnet dem Betrachter der Arbeit von Burglind Jonas. Wie eine fleisch- bzw. fischgewordene Psychose wirkt ihr umhäkelter Pansen und ihr Heilbuttschwanz mit Perlenhäkelei in Formalin. Aus tierischen Teilstücken fertigte die Künstlerin Objekte, die wie bizarre Schmuckstücke wirken, die aber nicht tragbar sind.

 

Hinter dem bekannten Buchtitel „Die gelbe Tapete“ von Charlotte Perkins Gilman verbirgt sich in diesem Fall der interaktive Raum von Elisabeth Lumme und Angelika Höger, der auf die Besucher reagiert, indem Objekte bei Durchbrechung einer Lichtschranke in Bewegung geraten und Geräusche per Zufallsgenerator aktiviert werden. In keinem anderen Dialog der „arte regionale VI“ sind die Elemente der Kooperation so eng miteinander verflochten wie in diesem Gesamtkunstwerk. Die Künstlerinnen stellten fest, dass sie beide die Geschichte „Die gelbe Tapete“ gelesen hatten, und schufen auf dieser Inspirationsbasis ein Zimmer, in dem die Ängste und die Einsamkeit der für hysterisch gehaltenen Frau aus der Erzählung fühlbar werden sollen.

 

Der Raum ist möbliert mit einem Bett, auf dem eine wildgewordene Handtasche um sich schlägt, einer Bügelbrett-Armbrust-Konstruktion, einer umfangreichen Sammlung von Schneebesen und deren Kohlepapier-Abdrücken und mit Vorhängen, die Angelika Höger geflochten hat aus Quittungen Bielefelder Kaufhäuser. An die Wände des Raumes projiziert Elisabeth Lumme Videozusammenschnitte aus Filmsequenzen der 50er Jahre und ein gelbes Tapetenmuster.

 

Der Newcomer-Preis der „arte regionale“ ging in diesem Jahr an den Osnabrücker Kunststudenten Sebastian Gehnen, der seine Arbeit mit dem Titel „public privacies“ vorstellt. Er fotografierte dazu die Innenräume von parkenden Autos durch die Fenster. Das Auto als Privatraum in der Öffentlichkeit, der für jedermann einsehbar ist, weckt im Betrachter den Voyeur. Papier, Zigaretten, Stofftiere, Bücher und alltäglicher Krimskrams – was erzählen sie uns über den Fahrer?

 

Weitere spannende Kooperationen, Einzelprojekte und Außenposten der „arte regionale IV“ können noch bis zum 27. August 2006 besucht werden. Künstler öffnen ihre Ateliers für Interessierte und geben Gelegenheit zum Einblick in die Arbeit und für ein persönliches Gespräch.

Weitere Informationen

Öffnungszeiten

dienstags- freitags 11 – 18 Uhr

samstags/sonntags 10 – 18 Uhr

 

Eintrittspreise

Erwachsene: 3 Euro
ermäßigt: 1 Euro
Familien: 5,50 Euro

 

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