Ausstellungsbesprechungen

Auke de Vries – Eine friedliche Invasion, Kunsthalle Göppingen, bis 3. November 2013

Die metallnen Skulpturen des Niederländers bestechen mit poetischem Esprit. Sie ragen in den Raum, schwingen durch die Luft oder besetzen die Wände. Jedes Gebilde hat ein eigenes Wesen. Zusammen ergeben sie ein lebendiges Miteinander. Wendeline Guggenmos verrät Ihnen mehr.

Es sind Lautsprecher, Kameras, Lampignons, Antennen, Poller, Trassband, Laternen, Zaubermützen, Insekten, Propeller, Vogelhäuschen, mehrstöckige Häuser, Schlangen, Trommeln und ein Blechbüchsenmann, welche da an Ästen hängen, aus dem Geäst hervorwachsen. Ganz einfache Formen und so viele Bedeutungen – die Arbeiten von Auke de Vries erinnern an so Vieles. Überall können Gegenstände des Alltags und des nicht alltäglichen Lebens wiedererkannt werden. Die fantastischen Formen lassen an die Motivwelt von Giorgio de Chirico und Franz Radziwill denken. Die Skulpturen vereinen verschiedene Aspekte, können sowohl Zauberer als auch Vogelscheuche sein.

Die Figuren sind aus verschiedenen Einzelteilen zusammengesetzt, welche als solche in sich stimmig und ganz sind. Aus diesen ergeben sich wie bei einer »Collage intellectuel« große, formal zusammenhängende Gestalten. Es kommt zu Synthesen, doch gehen die Partien nicht vollständig in diesen fantasievollen Collagen auf. Die Einzelteile bleiben in ihren Formen und Funktionen erkennbar. Dies stellt ein Wesensmerkmal der Arbeiten von Auke de Vries dar. Er verwendet selbst nur ganz selten Titel für seine Skulpturen. Der Fantasie des Betrachtenden wird freier Lauf gelassen: es werden nur die optischen Reize vor Augen geführt, nicht die Idee vorgegeben. Miniaturen hängen an den Bäumen. Es wirkt wie eine Spielzeugwelt, die sich nahezu unbemerkt in der Kunsthalle breit gemacht hat.

Es sind kleinteilige Architekturen, ineinander verschachtelt. Sie türmen sich auf und hängen in scheinbar unmöglichen Perspektiven über der Erde. Die Metallstangen biegen sich augenscheinlich ob dieser angeblichen Last. Es erweckt den Anschein, als handle es sich um einen Wald, der mit Baumhäusern, Vogelhäusern, geometrischen Formen und Tieren bestückt ist. Diese fantastischen Wälder fügt er in das urbane Stadtbild ein. Wie Angeln ragen die riesigen Skulpturen über die Straßen, fangen die Blicke der Passanten.

Was mögen sie bloß bezeichnen? Alltägliches Stadtleben? Auke de Vries liebt die Großstadt und das Leben dort. Er integriert die Figuren in den urbanen Raum, stellt eine Verbindung zwischen ihnen und der Architektur her. Es ist ein ungleicher, doch friedlicher Dialog, welcher geführt wird. Handelt es sich um intelligentes Design? Man könnte meinen, die Elemente seien für den Stadtraum gemacht. Der Künstler berücksichtigt bei seinen Skulpturen immer alle für den Stadtraum relevanten Faktoren. Er fertigt vorab sehr viele Entwürfe an. Bei der Planung geht er auf die umliegende Architektur ein, bespricht sich mit Architekten und Stadtplanern, bedenkt Geräusche, Vegetation, Verkehr, Lichteinfall, die Historie des Ortes und die Frequentation der Plätze. Schließlich bevölkern die Skulpturen und Wesen eine Ebene in der Großstadt, welche bis zu diesem Zeitpunkt nicht gestaltet, ungenutzt und unbelebt war.

De Vries’ Skulpturen greifen wie Alexander Calders Mobiles von oben in den Raum ein, denn sie bewegen sich auf einer Höhe von 20, 25 Metern oder höher. Sie wirken, als würden sie von den Wänden stürzen oder als seien sie gerade auf dem Rand des Daches gelandet: Es wird gewackelt, gewippelt und gekippelt, die Türmchen versuchen sichtbar das Gleichgewicht zu halten. Auke de Vries fängt den Moment einer ungleichen Ponderation ein,. Zwar klingt in dem Spiel mit der Balance Bewegung an, doch ist diese nicht tatsächlich vorhanden. Dem Spiel mit Masse und Verdichtung wohnen in einer derart fragilen Situation augenscheinlich Geheimnisse inne.

Wie halten sich diese Formen bloß die Waage? Die Asymmetrie der Werke lässt den Passanten innehalten. Das Second Life, welches sich in den Straßen der Großstädte abspielt, wirft Fragen auf. Handelt es sich tatsächlich um derart harmlose Wesen, wie es den Anschein erweckt? Dem Künstler aus Friesland will es nicht so recht gelingen, mit den Skulpturen Unbehagen und Furcht auszulösen. Doch scheinen seinen Schöpfungen paradoxe Fähigkeiten innezuwohnen. Einst ist eines seiner Wesen in Berlin auf dem Potsdamer Platz »gelandet«, doch kann es nicht fliegen. Ein »Gentle Observer« kann weder sehen noch hören. In »Living in Trees«gibt es keine Vögel weit und breit. Die Funktionsweise der Maschinen und Figuren von Auke de Vries gehorcht anderen Gesetzen, sie scheinen in der Tat nicht von dieser Welt zu sein.

Die Kunsthalle in Göppingen zeigt derzeit viele Modelle und Zeichnungen von Auke de Vries. Es wirkt, als sei eine ganze Horde an fremden Wesen über die Kunsthalle hereingebrochen. Doch natürlich war die Invasion abgesprochen, man hatte der Besetzung zugestimmt. Mit seinen Werken schafft de Vries dem Gedanken an Natur in Asphaltwüsten einen Raum. Wie vom Künstler beabsichtigt, fallen die Fremdkörper kaum auf, ihr Wesen ist auf den ersten Blick assimiliert. Doch handelt es sich tatsächlich um ein städtisches Leben? Auke de Vries lädt dazu ein, über das Großstadtleben zu reflektieren.

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