Ausstellungsbesprechungen

Aus dem Stamm – Die Sinnlichkeit des Materials – Holzskulptur heute, Städtisches Kunstmuseum Singen, bis 20. September 2009

Am Beginn des Konzepts standen die Namen zweier Bildhauer: Rudolf Wachter und Werner Pokorny – hochbetagt der eine, ein Energiebündel der andere. Unvergessen dürfte noch die vor fünf, sechs Jahren gezeigte Münchener Retrospektive mit Arbeiten Rudolf Wachters (geb. 1923) sein, die nicht von ungefähr bereits den Titel »Aus dem Stamm« trug, der nun auch die aktuelle Ausstellung ziert, die in einer zweigeteilten Station in Ettlingen begann und aktuell in Singen zum Besuch einlädt.

Pokorny (geb. 1949), einer der wichtigsten – physisch wie kreativ enorm präsenten – Bildhauer im süddeutschen Raum, Maßstäbe setzender Professor in Stuttgart und unermüdlicher Aktivist als Vorsitzender des Künstlerbundes Baden-Württemberg, der auch im übergeordneten Deutschen Künstlerbund mitmischt, hat sich dem Thema als Theoretiker und als Praktiker genähert. Das erklärt die einerseits beeindruckende Vielfalt und die hohe Qualität der Teilnehmer bzw. ihrer Arbeiten andererseits. Kein anderes Material nimmt Pokorny zufolge so sehr Maß am Menschen wie das Holz, kaum eines ist als Bild- und Sinnträger so alt dieses, »kein Material hat den Menschen auf seinem Weg in die Zivilisation und in seinen künstlerischen Ambitionen enger und länger begleitet«. Das Holz ist vital und individuell genug, um unter größten Axthieben, dem führungswilligem Schnitzmesser oder unter Einsatz der Kettensäge immer das zu bleiben, was es ist. »In einer Zeit«, so Pokorny, »in der der Mensch zunehmend von virtuellen Systemen abhängig wird und sich diesen ausliefert, entsteht möglicherweise wieder ein verstärktes neues, altes Bedürfnis der Sinnlichkeit dieses wunderbaren Materials in der Kunst begegnen zu wollen«.

Pokorny ist selbst in der Ausstellung mit seinen archaisch anmutenden, teilweise schwarzgebrannten Gefäß- und Hausobjekten vertreten, von Wachter hat er typische, raumgreifende Block- und Spiralstämme ausgesucht. Doch spricht es für die Auswahl, wenn zumindest gefühlsmäßig die figurative Plastik im Vergleich zu diesen stark abstrahierten Arbeiten überwiegt. Entstanden sind die Exponate der über 40 Bildhauer in den vergangenen drei Jahrzehnten, zielen also ab auf die Bandbreite gegenwärtiger Beschäftigung mit dem Thema »Holz«. Und die Bandbreite ist gewaltig, zudem in keiner anderen Gattung tatsächlich sinnlich begreifbarer, noch bevor man an Inhalte denkt. Diverse Obstbaumhölzer, Ajus, Bongassi, mehrere Buchensorten, Douglasienholz, Eiche, Erle, Fichte, Kastanie, Lärche, Linde, Pappel, Redwood, Sipoholz, Tiama, Ulme, Zeder, Zypresse – allein die hier verarbeiteten Hölzer wollen kein Ende nehmen, und sie zeigen sich naturbelassen, farbig gefasst, befeuert, geleimt, lackiert und anderswie be- und verarbeitet. Mögen die Gruppen sich in einem Mehr oder Weniger an Härte und (exotischer) Farbigkeit wieder zusammenfassen, so bleibt doch der Wunsch, das Material zu spüren, oder zumindest die Vorstellung des haptischen Genusses (vergleichbar wohl allein der – kälteren – Steinplastik).

Freilich bleibt die Schau nicht nur im Materiellen stecken. Wie in den Nachbargattungen ist auch das Holz für alles gewappnet, was das technische Gerät und der künstlerische Wille hergibt. Die figurative Position, die zur Zeit von Georg Baselitz, Stephan Balkenhol und zunehmend von Thomas Putze mitbestimmt wird, lässt sich im Detail bis zur kleinstteiligen Filigranarbeit weitertreiben (Trude Friedrich, Peter Sauerer, Ernst Stark, Andreas Welzenbach), sie stürmt die lange nur auf dem Papier entwickelten Gefilde des Comic (Gerhard Kehl, Daniel Wagenblast) oder die Ebene philosophischer Diskurse (Christoph Loos, C. W. Loth, David Nash, Karl Manfred Rennertz). Die ungegenständlichen Positionen – Wachter wurde bereits genannt –, die allemal »die Grenzen des Möglichen mit den Grenzen des Sichtbaren ... verbinden« (Benedikt Birckenbach) oder sich häufig als wahrhaft gegenständlich entpuppen (Franz Bernhard, Tons Cragg, Erwin Wortelkamp), finden in Arbeiten von Ingrid Hartlaub, Alfonso Hüppi, Diethelm Koch, Willi Siber, Klaus Simon u.a.m. eine beeindruckende Bestätigung. Dazu kommen die installativen, das heißt auch (de)konstruierten und konzeptuellen Werke, die in dieser Fülle kaum mit Stein oder Metall ausgeführt werden könnten (Oliver van den Berg, Daniel Bräg, Claus Bury, Armin Göhringer, Axel Heil, Werner Mally, Ulrich Möckel, Matthäus Thoma, Rolf Wicker).

Die Ausstellung fragt nach dem Stand der Holzskulptur heute, im Zeitalter der digitalen Medien. Die Antwort gibt sie selbst, vielleicht mit einer koketten Gegenfrage: Wo stehen, verglichen mit diesem ja nur kursorischen Überblick, der sich um ein Vielfaches erweitern ließe, die digitalen Medien?

Weitere Informationen

Öffnungszeiten:
Dienstag 10.00 - 12.00, 14.00 - 18.00 Uhr
Mittwoch bis Freitag 14.00 - 18.00 Uhr
Samstag und Sonntag 11.00 - 17.00 Uhr

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