Ausstellungsbesprechungen

Aus der Eröffnungsrede: Adolf Hölzel – Intuition und Ordnung, Galerie Schlichtenmaier Stuttgart, bis 13. September 2014

Die Öffentlichkeit hatte es nicht leicht, dem wandelbaren Schaffen Adolf Hölzels immer auf den Fersen zu bleiben. Auch sein Vermögen, ein orchestral-vielstimmiges Künstlerensemble um sich zu scharen, das ihm folgte und doch ganz eigene Töne anschlug, stand seiner Rezeption lange Zeit im Weg. Günter Baumann ist in seiner Eröffnungsrede den Spuren dieses Wegbereiters der abstrakten Kunst gefolgt.

(…) Die Tatsache, dass Hölzel sowohl als Künstler wie auch als Theoretiker und Lehrer tätig war und zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich bewertet wurde, macht es uns heute schwer, sein Schaffen in seiner Ganzheit zu erfassen: Eine einheitliche Theorie wird man kaum aus den vielen schriftlichen und mündlichen Verlautbarungen rekonstruieren können, aber nach und nach erschließt sich sein aus unzähligen Schriftblättern bestehendes Schrifttum – bestehend aus persönlichen Widmungen, alltäglichen Weisheiten und aphoristischen Sprüchen bis hin zu ausformulierten Thesen. Auch das künstlerische Werk steht nicht einheitlich vor uns, nicht einmal eine Entwicklung von der Figuration zur Abstraktion lässt sich ausmachen: er malte gleichzeitig in unterschiedlichen Stilen – ein Proteus der Kunstgeschichte.

Andrerseits sehen wir immer deutlicher eine Kontinuität in seiner Haltung, die durch alle Wandlungen und Sprünge in seinem Stil erkennbar ist. Eine seiner Grundeinsichten ist die vom Primat der Mittel, dem sich das Naturvorbild unterzuordnen hat. Es ist egal, ob Sie in dem Pastell hinter mir eine schlafende Katze sehen oder ein prismatisch gebrochenes Figurenbild – konkret haben Sie ein zauberhaftes Spiel aus Kreisen und Farben auf Papier vor sich. Damit erfindet Hölzel die Kunst nicht neu. Er hielt seine Schüler sogar ausdrücklich an, Werke der alten Meister zu studieren – mit dem Rat, sie auch mal aus der Distanz zu betrachten, wo sich der Gegenstand relativiert. Doch kaum jemand hat so früh ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Gegenstand eines Bildes zu vernachlässigen sei, um gute Kunst zu schaffen. Mit den Jugendstil-Kollegen integrierte Hölzel bereits im späten 19. Jahrhundert abstrakte Ornamente in sein zeichnerisches Werk, verzichtete aber auch zunehmend in der Malerei auf die Dominanz eines Motivs, wiewohl es immer latent vorhanden war und blieb. Gern wählte er als Thema die Anbetung – im biblischen Sinn, aber auch als Formspiel. Und 1905, eine Handvoll Jahre vor Kandinsky, reduzierte er die Figurendarstellung auf pure Flächen, deren Erkenntniswert abstrakt war. Öffentlich zu sehen war dieses Musterbild der Moderne, betitelt »Komposition in Rot I«, allerdings erst Jahre später.

Ich will zur Biografie nicht viel Worte verlieren, nur auch daran erinnern, dass Adolf Hölzel bereits 1853 zur Welt kam, im selben Jahr wie Vincent van Gogh, Ferdinand Hodler und Carl Larsson: van Gogh als Beobachter der eigenen Psyche, Hodler als Entdecker des Nichts und Larsson als Visionär der Idylle. Umgeben waren alle von einer realitätsnahen Naturdarstellung, der sie etwas anderes entgegensetzen wollten als die Naturalisten, anders auch als die Impressionisten, deren Reizen sie sich jedoch auch nicht ganz entziehen können. Kandinsky, Klimt und Matisse sind um etliche Jahre jünger, Klee, Malewitsch und Mondrian gehören sogar der folgenden Generation an, die Expressionisten erst recht. Adolf Hölzel war wohl der bedächtigste Avantgardist in der Vierergruppe, was sein Auftreten angeht, aber einer der fortschrittlichsten in seinem experimentierfreudigen Werk. Wer hier Ähnlichkeiten mit Arbeiten der Schule von Barbizon, der Wiener Secession, des französischen Postimpressionismus oder des deutschen Impressionismus sehen will, wer da eine Nähe zu Matisse oder dort zu Klee erkennen mag, wird sich in manchen seiner Werke bestätigt finden.

Wann er unter welchem Einfluss stand und wann er selbst Einfluss nahm, ist über die Datierung nicht so einfach zu klären. Adolf Hölzel war und blieb ein Einzelgänger, wiewohl er unter Freunden als gesellig beschrieben wurde und er den Weg seiner Schüler im wahrsten Sinne des Wortes bereitete. So kann man von seinem Werk aus Verbindungen zum Bauhaus und sogar – über seinen Tod 1934 hinaus – zum Informel knüpfen. Im Hölzelschen Werk ist vieles angelegt, was man nach 1945 gerne aufgriff. Wieder bin ich beim Primat der Mittel – und bei Goethe, der bei allem Modernismus Hölzels Lieblingsautor war, und von dessen ganzheitlicher, eher ästhetischer als physikalischer Farbenlehre er sich inspirieren ließ. Zurück zum Primat der Mittel. Goethe schrieb: »Das Was bedenke, mehr bedenke das Wie.« Das Spielerisch-Intuitive ging einher mit den Ordnungselementen – immer wieder neu, harmoniesuchend, dem Zufälligen nicht abgeneigt.

Der Maler Adolf Hölzel war in der Tat weit entfernt davon, immer dasselbe zu tun. Er nahm sich auch die künstlerische Freiheit, seine eigene Lehre beim Malen und Zeichnen nicht sklavisch zu befolgen. Eine Sensation war sein künstlerisches Outing in Stuttgart. Stellen Sie sich vor, die Königliche Akademie der Bildenden Künste beruft den in Dachau unterrichtenden Kunstlehrer Hölzel in die Schwabenmetropole, mit Blick auf sein spätimpressionistisches Werk. Sie haben als Beispiel links vom Eingang das Gemälde »Dachau« gesehen, das zu einer Reihe motivgleicher Bilder aus den Jahren 1904 und 1905 gehört und die Eisenbahnbrücke über die Amper und die Dachauer Dorfkulisse nur andeutet. Als er seine weitestgehend abstrakten, in freien Farben gestalteten Arbeiten à la »Komposition in Rot« auspackte, saß der Schock tief. So erklärt sich der Situationsbericht Willi Baumeisters: der »Dachauer Graumaler« habe »das Grau und den Impressionismus hinter sich gelassen und (er) knöpfte seinen Farbpelz weiter auf. Er wurde Wolf: in den stärksten Farben, höchst unakademisch und ganz modern … Ein für die damalige deutsche Kunstakademie ganz seltener Fall trat ein: ein Professor entwickelte sich künstlerisch weiter. Er ging kühne Schritte vorwärts. Alle Kunstbeamten (…), besonders die Schlachtenmaler, muss ein Grauen erfasst haben angesichts einer solch gefährlichen Wandlung. Mit solcher Malerei wäre Hölzel niemals Professor geworden«.

Seit öffentlich wurde, wie dehnbar Hölzels Ästhetik war, wurde der Professor von seinen Kollegen angefeindet und letztlich auch aus dem Job gemobbt. Zu ihrem Ärger liefen die Studenten jedoch gern zu ihm über, Baumeister spricht von der »gescharten Moderne«. Der abtrünnige Traditionsmaler krempelte die Stuttgarter Kunstszene um. Hölzels Kunst und seine Lehre beschrieb Baumeister folgendermaßen: »Was ihm an revolutionären Kunsterzeugnissen bekannt wurde, griff er auf, er zeigte es seinen Schülern und untersuchte es auf Farbakkorde und verdeckte Konstruktionslinien. Die Grenzen der Kunst wurden durchbrochen, weite, freie Formen taten sich auf, jedoch ging es innerhalb Hölzels eigentlicher Lehre sehr maßvoll zu; nach Regeln mit Diagonalen, Quadraten, Kreisen und dem Goldenen Schnitt. (…) Die Farbkombination wurde mit Hilfe verschiedener Farben komplementär und simultan genau errechnet.« Ordnung und Intuition hielten sich aber stets die Waage: »Als Theoretiker hatte er die Gabe, sein logisches Denken in klaren Worten weiterzureichen, und als Maler war er souverän genug, die Lehre nicht zum Rezept verkommen zu lassen.«

Der Lehrer Adolf Hölzel hatte als Primus inter pares nichts von einem Wolf im Farbenpelz, eher etwas von einem Magier der Farbe. In seinem Schülerkreis wurde er daher als eine Art Dirigent gesehen. Ein großes Lob, das besonders daher kam, dass der Professor bei Wandaufträgen wie selbstverständlich seine Klasse miteinbezog, sie anleitete und zugleich ernstnahm, auch in der Andersartigkeit der einzelnen Jungkünstler. Zugleich behielt er immer den Überblick. Diese Benennung ist aber noch aus einem anderem Grund interessant. Der Violine spielende Hölzel stellte seine ganze Lehre auf den Boden der Musik. »Die Musik hat das Glück, dass sie sich nicht gegenständlich ausdrücken kann, und kommt dadurch zu höchster reiner Kunstentfaltung.« Zum einen bediente er sich des musikalischen Vokabulars, um gleich zum Punkt kommen zu können. »Dur- und Mollklang«, so rechtfertigte er seine Terminologie 1904, »ist eine Bezeichnung, die ich der Kürze halber wählte. Hart und weich. Die Mischfarben klingen weicher als die reinen Rot-Blau-Gelb, welche für fröhliche, kräftige und farbenfreudige Zwecke am stärksten ausgehen.« Hier kommt die goethesche Farbtheorie zum Vorschein, die eine sinnliche Wertigkeit der physikalischen vorzieht. »Was die Verquickung von Malerei und Musik anbelangt«, so weiß auch Hölzel, »ist die Schwingungszahl der Licht- und Tonwellen so sehr verschieden, dass keinerlei Verbindung, aber viele Ähnlichkeiten vorhanden sind, die namentlich im Ausdruck, im Wort, Anwendung finden: Ton, Klang, Accord, Stimmung usw., so dass wir uns damit rascher … verständigen können.«

Es war aber noch mehr dahinter, man denke nur an die fugenartige Harmonie im Bild und die sinfonische Freiheit in der Farb- und Formwahl. Auf dem idealen Weg zur absoluten Kunst führt ihn nach eigenen Worten »ein freies Musizieren mit der Farbe«, in der Konsequenz, dass der Gegenstand obsolet wird. »Der Gegenstand im Kunstwerk«, so Hölzel, »ist nicht harmoniebildend. Für das Bild, im musikalischen Sinne, das allein durch die Verarbeitung der autonomen Grundelemente entsteht und als absolutes Kunstwerk einen Höchstwert besitzt, ist der Gegenstand keine Notwendigkeit.« Um dies unmittelbar zu überprüfen, reicht ein Blick auf die Arbeiten, zum Beispiel auf zwei Meisterstücke der Ausstellung: Die »Komposition (Gelb Grün)« und besonders die »Komposition lyrisch – orange, türkis, violett« sind Beispiele dafür, wie autonom das visualisierte Klangerlebnis ist. Hölzel komponiert und bringt die Farbe zum Schwingen – auch im Kleinen erweist er sich hier als Dirigent: und zwar, wie er die Farben zueinander in Beziehung setzt, unter Hinzuziehung aller kontrastiver Elemente.

Als Theoretiker wiederum kommt Adolf Hölzel der fernöstlichen Philosophie näher, als es ihm wohl selbst bewusst war. Freilich, er erkannte früh die Ästhetik des japanischen Farbholzschnitts und empfahl ihn seinen Schülern ausdrücklich zur Anschauung – das war im Umfeld der Impressionisten, Jugendstilkünstler und Nabis bereits im 19. Jahrhundert nicht ungewöhnlich. Hölzel fand sich angesichts der japanischen Ästhetik denn auch schon vor der Jahrhundertwende in seiner Kunst bestärkt, als er in Paris eine Ausstellung mit Vertretern der japanischen Kunst, darunter Hokusai, besuchte. Ungewöhnlich war allerdings die innerliche Annäherung an das fernöstliche Denken, das in Deutschland kaum bekannt war. Hölzels geistige Nähe zeigt sich in Sätzen wie diesem: »Schießen kann man lernen, treffen nicht.« Assoziativ drängt sich hier das Bild des Zen-Bogenschützen auf, der allein durch Meditation sein Ziel ins Visier nimmt. Für den Schützen ist die gute Technik das A und O; zudem bedarf es einer sittlichen Reife oder Haltung, um energetisch bereit zu sein für den passenden Augenblick des Schusses; und zum dritten lehrt uns die fernöstliche Kunst des Bogenschießens, dass Schießen und Treffen in diesem Augenblick eins sind. Für Hölzels Kunst und sein Kunstverständnis heißt das: Das Zeichnen und Malen ist ein prozessualer Akt, der lernbar ist – das fertige Bild muss von selbst kommen. Zitat Hölzel: »Bis zum geschlossenen Werk ist es ein Weg mühe- und dornenvoller Arbeit, aber im endlichen Resultat darf die Mühe nicht mehr sichtbar sein, sonst ist es keine eigene Welt, die sich als selbstverständlich gibt.«

Wie der Zen-Bogenschütze folgt Hölzel keiner geschlossenen, vorhandenen Theorie, sondern er agiert aus dem Nichts heraus – am Anfang steht der spontane Einfall, der in einer Art Urknall seine eigene Dynamik hervorbringt. Erst in dieser Phase sucht er Gesetzhaftes, das mit der Empfindung zusammenfallen muss: »Nun ist das Entstehen eines Kunstwerks eine heiße Schlacht, in der nicht so sehr das Denken als vielmehr Gefühl und Kraft verausgabt werden müssen«, so Hölzel. »Das notwendige Intellektuelle (…) muss in Fleisch und Blut übergegangen sein, denn alles Nach- denken während des Schaffens würde hemmend (…) sein.« Auf die Philosophie des Bogenschießens und sogar ausdrücklich auf Laotse gemünzt, heißt es weiter: »Nicht das Gesetz, sondern die Art seiner Anwendung macht den Künstler. Nicht Wissen und Gelehrsamkeit, sondern nur die durch fortgesetzte Übung erlangte Weisheit kann nützen.« Hölzels aphoristischen Lehrmeinungen sind Credo und Maxime zugleich, Glaubensbekenntnis und Empfindungsgesetz in einem. »Täglich tausend Striche!«, lautete seine bekannteste Forderung im Zen-Duktus.

Für Hölzel war das nicht bloß eine Lockerungsübung, sondern auch eine Verschmelzung von Körper, Geist und Technik zu einer Einheit. »Jeden Morgen vor Tagesbeginn, ganz im Zustand des innersten Selbstseins und der Traumnähe, dem unbewussten verhaftet (…) – noch unberührt im inneren Gefilde, – strichle ich ganz ungeführt mit geschlossenen Augen Linien auf kleine Blätter (…). Ungeführt! (…) Darauf kommt es an.« Adolf Hölzel schafft aus der kreisenden Bewegung heraus oder mithilfe geometrischer Raster, möglichst unter Ausblendung des Verstandes. Auf einer anderen Ebene entstehen seine farbsinfonischen Werke unter Einbeziehung des Farbkreises und meist aus der Mitte herausgearbeitet, um auch den Gesetzen des Sehkreises gerecht zu werden.

Adolf Hölzel erweist sich als eine der schillerndsten Persönlichkeiten in der Kunst des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts – Wolf im Farbenpelz, Dirigent und Zen-Meister in einem. Eins ist klar: ein Schulmeister war er keiner. Von seinen Funktionen als Maler, Lehrer und Theoretiker sind alle in seiner Person gleich gewichtet. Seine Größe macht es aus, dass er selbst keine dieser Funktionen wichtiger nahm als die anderen. Leider nahm er sich auch insgesamt weniger wichtig als etwa seine Schüler – das hat seine Anerkennung in der Kunstgeschichte verzögert, aber letztlich nicht verhindert. So wäre es jedoch vermessen, Hölzel etwa gegen Kandinsky auszuspielen. Wenn wir ihm ein Denkmal setzen wollten, wäre es spannender, ihn auf einen Podest neben dem Dichter Paul Valéry oder dem Musiker Igor Strawinsky zu heben, die beide auch ein persönlich gehaltenes theoretisches Werk hinterlassen haben und anderen Künsten gegenüber aufgeschlossen waren. Für Valéry war das Machen von Gedichten auch eine geistige Übung, bei der es darum ging, Sinn und Klang in eine Balance zu bringen. Das Resultat, das Gedicht, war für ihn nicht so interessant wie die freie Beobachtung des eigenen Geistes während dessen Entstehung. Auch für Strawinsky war »vor allem eine gute Machart« die erste Bedingung guter Kunst. Man müsse schon »ein großes Wissen und Können besitzen«, schreibt Hölzel, »aber auch imstande sein, jederzeit den theoretischen Ballast über Bord zu werfen«. Ich bitte Sie, (…) genießen Sie die Bilder Hölzels, es eröffnet sich Ihnen ein Werk voller Musikalität und Poesie.

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