Ausstellungsbesprechungen

Aus der Eröffnungsrede: Eugen Funk – Albert Haberer – Paul Reichle – Gertrud Tonne - Malerei, Pastelle, Zeichnungen im Geiste Adolf Hölzels, Galerie Dorn, Stuttgart, bis 28. Juli 2012

Hölzels Auffassung vom Bild als »mit Farbe bedeckter Fläche« (Maurice Denis) stellt die Galerie Werke einiger seiner Schüler gegenüber. Wie sie mit dem künstlerischen Ansatz ihres Vorbildes umgehen, hat sich Günter Baumann angesehen. Lesen Sie hier einen Auszug aus seiner Eröffnungsrede.

[…] Gertrud Tonne kommt von der gegenständlichen Malerei her – Landschafts- und Gartenmotive sind offensichtlich, auch von den Titeln her. Sie führt uns den Hohentwiel und den Rothenberg vor Augen. Doch sollte uns das nicht in die Irre führen […]. Selbst das Malen im Freien stand dem nicht im Weg, übrigens auch nicht das intensive Studium alter Meister. Ida Kerkovius berichtete 1947 über die Praxis im Hölzel-Kreis: »Was galt es dem Schüler zu zeigen? Es galt ein Stück Natur als Bild zu erfassen und darzustellen. Die abgemalte Natur ergibt noch kein gestaltetes Bild. Die erste Tat des Unterrichtens bestand darin, draußen die plastische dreidimensionale Natur, die sich nach allen Seiten … ausdehnt, als Flächenform zu erfassen und auf die zweidimensionale Bildfläche … zu übertragen.« Ähnlich der Musik lag der Arbeit der kontrapunktische Aufbau und eine Harmonielehre zugrunde, wie bei Hölzel übernahm mehr und mehr die Farbe die Regie über das Bildgeschehen. Die »Frau mit Kopftuch« wird man als solche nur erkennen, wenn man den Titel gelesen hat. Im Schaffen von Gertrud Tonne, die bevorzugt mit Fettstiften und Pastellkreiden arbeitete, spielt das Licht eine noch größere Rolle als bei Hölzel, aber auch sie hebt die Perspektive auf, gewichtet die Vorder-, Mittel- und Hintergründe ihrer Landschaften und Blumenstillleben nahezu gleichwertig, setzt die Farben statt die Inhalte in Beziehung zueinander. […]

Hölzel lehrte seine Schüler, Herz und Hand als eine Einheit zu begreifen. Das dürfen wir im Fall Gertud Tonnes wörtlich nehmen. »Ein Bild«, so notierte sie, »ist eine in sich abgeschlossene Welt. Man will darin hin- und hergehen, darin sich ausruhen, darin sich anregen lassen zum Selbstgestalten.« Mit fortschreitendem Alter wurde sie immer inniger von der christlichen Heilsgewissheit beseelt, was noch das späte, pastoral gestimmte Werk der hochbetagten Malerin in den zartesten und zugleich leuchtendsten Farben erstrahlen ließ.

Dominiert im Werk Tonnes das Licht, gewinnt in den Arbeiten von Albert Haberer der Farbklang an Bedeutung, den die gemeinsame Lehrerin Kerkovius gleichermaßen zu vermitteln wusste. Der gelernte Schreiner und Innenarchitekt machte erst im Alter von 65 Jahren seine malerische Neigung zum Beruf, einer Lebensphase also, in der sich andere zur Ruhe setzen, um allenfalls das Malen als Hobby zu entdecken und zu betreiben. Auf Haberer trifft noch mehr zu, was Gertrud Tonne über sich selbst sagte: »Von der Architektur her weiß man, wie wichtig der Grundriss ist. Ebenso wichtig ist für das entstehende Bild ein Plan zum Aufbau. Dann kann sich die freie Fantasie auf gutem Grund entfalten.«

Mit handwerklicher Souveränität baut er seine Arbeiten auf, legt häufig einen soliden Grund, um die Farben in einem scheinbar freien Spiel darüber agieren zu lassen. Doch bei näheren Hinsehen erweist sich die wie zufällig über die Leinwand getriebene Farbe als rhythmische Klangfolge, die sich an einer Seite kleinteilig aufbaut, sich steigert, an anderer Stelle in ein farbiges Fortissimo sich erhebt, um schließlich im Malgrund nachzuklingen. Anders ausgedrückt: Während Gertrud Tonnes Bildern ein ephemerer Zug innewohnt, der die lichtvolle Gunst des Augenblicks mit einer Leichtigkeit auf das Papier haucht, als hätten Engel ihre Hand im Spiel gehabt, trifft Haberer einen atmosphärisch-dichten Ton, der über den Augenblick hinausklingt, der in geheimnisvoll-meditativen Titeln wie »Abuno« oder »Umita« an Schwere gewinnt oder in musikalischen Assoziationen ein eigenständig ausbalanciertes Klangbild entstehen lässt. Herfür stehen Arbeiten wie »Rot-Blau im Gegenspiel«, »Belebtes Braun« oder »Balance auf rotem Grund«. Dem von Ida Kerkovius geforderten »gebauten Bild« kommt Haberer in hochkomplexer Form nach; konsequent entwickelte er denn auch ganze Serien von Collagen, in denen er hintersinnig gebrauchsgrafische bzw. fotografische Elemente zu schillernden Abstraktionen verfremdet.

Dass er dabei eine Räumlichkeit erzeugt, die der Hölzelschen Ästhetik entgegen steht, ist nur ein Beweis für die zunehmende Eigenständigkeit Haberers – interessanterweise setzte er viele seiner Collagen malerisch um, nicht ohne das Raumgefüge neu zu definieren. – Ich habe vorhin auf den christlichen Gehalt im Werk von Gertrud Tonne hingewiesen, der eine Lesung ihrer Bilder als Lob der Schöpfung Gottes ermöglicht, sowohl im Hinblick auf die greifbare Natur wie auf den abstrakten Geist. Das Werk Albert Haberer scheint mir demgegenüber eher getragen von der konzentrierten Reflexion im fernöstlichen Sinn – dazu würde auch passen, dass er mutmaßlich seinen Garten nach japanischen Vorgaben entworfen hat. Seine zeichnerischen Miniaturen wären demnach meditativen Übungen vergleichbar, die in ihrer Skizzenhaftigkeit schon den Kern dessen enthalten, was dann auf Karton und Leinwand malerisch ausgereift ist.

Albert Haberer und Gertrud Tonne kamen in den frühen 1940er Jahren über Ida Kerkovius in die Einflusssphäre von Adolf Hölzel, dessen an Goethes Farbenlehre orientierte Theorie sie eigenständig verinnerlichten, ohne zugleich als freischaffende Künstler aufzutreten. Als beide in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, haben sie bereits ihren Stil gefunden. Bei Paul Reichle lag die Sache anders, höchst ungewöhnlich. Einerseits kann er auf ein Studienjahr am Weimarer Bauhaus zurückblicken, unter anderen kreuzen Klee und Kandinsky seinen Weg, auch Willy Baumeister lernt er früh kennen, er freundet sich mit ihm an – doch mit der abstrakten Malerei kann er sich nicht recht abfinden. Um 1935 muss er, den Aufzeichnungen im Nachlass zufolge, zwar einen Kurs zur Hölzel-Theorie belegt haben, wahrscheinlich bei Ida Kerkovius. Das Credo, das er lakonisch notiert – »höchste Helligkeit + tiefste Dunkelheit, rein – unangetastet, Einzelheiten in Mitteltönen bringen« – bleibt aber ein Lippenbekenntnis: Zur abstrakten Malerei fehlt ihm lange der Mut, wie er selbst später zugab. […] Reichle – Jahrgang 1900 – geht auf die 50 zu, als er sich, an Baumeister und an Pariser Eindrücken entlang, dann doch auch praktisch der abstrakten Kunst nähert, eher im Verborgenen, still und konzentriert. […] Oft ahnt man noch ein Stillleben, eine Landschaft, vage Figuren. Hölzel arbeitete selbst gegenständlich, Kerkovius noch ausgeprägter. Reichle hält so lange am Gegenstand fest, als er meint, noch nicht weit genug zu sein.

Doch dann löst er sich zunächst mit Kreidezeichnungen vom Inhalt, spielt mit dem Dreiklang aus Linie, Fläche und Helldunkel-Kontrast: ein tiefes Schwarz konfrontiert er mit Weiß, amöbenhafte und gezackte Formen lässt er aufeinander los. Erst Mitte der 1960er Jahre allerdings sucht er mit so genannten Acrylgouachen seinen originären Farbstil. In der Größe läuft alles auf ein Hochformat von ungefähr 35 auf 25 Zentimeter hinaus. So erhält das späte Werk eine nahezu serientaugliche Einheitlichkeit, die nicht so sehr durch das Licht glänzt, wie es die Arbeiten von Gertrud Tonne tun, die auch weniger mit dem rhythmischen Klangbild umgeht, als es Albert Haberer vormacht. Reichles Werke zeichnen sich durch ein reduziertes Repertoire von Grundformen aus, die so vielschichtig aufgetragen sind, dass eine leicht erhabene, reliefartige Oberfläche entsteht, die durch ihre reflektierende Lackierung für eine zusätzlich Sättigung führt. Im Vergleich zu den anderen Künstlern ist die Palette von Paul Reichle beschränkt auf Brauntöne, hier und da ein faszinierend treffsicher gesetztes Rot, seltener vertreten sind Oliv- oder Blautöne, massiv jedoch ein überraschend leuchtendes Schwarz, das die kraftvolle Wirkung der Bilder unterstreicht.

Der letzte Werkkomplex […] stammt von Eugen Funk. Sein Schaffen umfasst rund 12000 Arbeiten – im Vergleich dazu: von Paul Reichle gibt es neben einigen hundert Kreidezeichnungen etwas mehr als 700 Gemälde. Wären da nicht seine Tochter und ihr Mann, die den Nachlass verwalten, […] und nicht zuletzt Michael Herold, ein ehemaliger Schüler Funks, der dessen Werk wohl besser kennt als irgend ein anderer Mensch, wüssten wir wahrscheinlich nichts von diesem großartigen Opus. Die öffentliche Präsenz muss Funk zuwider gewesen sein, selbst viele seiner Studenten kannten gerade einmal sein werbe-, buch- und fotografisches Schaffen, soweit er diese Genres vermittelte. Leider hat er einen Großteil seiner meist experimentellen Fotografien vernichtet, so dass es als Glück anzusehen ist, dass wenigstens das malerische, zeichnerische, collagierte und kalligrafische Werk erhalten geblieben ist.

Unbeirrt vom Kunstmarkt, auch von Hölzel, Baumeister & Co. sowie vom Publikum entwickelte Eugen Funk unermüdlich sein Werk. Ausstellungen vermied er, soweit es ging, und die Werke, die er weggab, versuchte er teilweise sogar wieder zurückzukaufen. Eugen Funk lebte mit seiner und durch seine Kunst, so dass man den Eindruck gewinnt, Leben und Schaffen seien für ihn eins gewesen. Freilich, der abstrakte Geist, der dieses Werk umweht, hat dieselben Wurzeln wie die Arbeiten der anderen hier präsentierten Künstler, doch ist die Ausgangssituation von Funk eine ganz andere. Sein Lehrer Ernst Schneidler, der innerhalb der Schriftgrafik die ›Stuttgarter Schule‹ begründete, führte ein strenges akademisches Regiment, dem sich die Studenten mehr oder weniger beugen mussten – eine Entfaltung der eigenen künstlerischen Neigungen schien da keinen Platz zu haben. […] Immerhin: Eugen Funk genoss nach kurzer Zeit eine besondere Gunst, als Schneidler seinen Assistenten sagte: »Den Funk unterrichte nur ich. Der macht jetzt Schriften, die sind hier noch nie geschrieben worden«. Dass dies wörtlich zu nehmen war, konnte Funk nicht ahnen: Einer der berühmtesten Schriftschnitte Schneidlers, Legende genannt, ist teilweise von seinem Schüler entworfen worden.

Weshalb ich die Typografie so betone, liegt daran, dass Eugen Funks Werk von hier aus deutliche Impulse empfing und auch weiter ausstrahlte. Anders ausgedrückt: Wo die Schriftgrafik bei Funk endet, da entfaltet sich sein freikünstlerisches Schaffen. […] Eugen Funk macht die Schrift oder besser den handschriftlichen Duktus selbst zum Motiv, entledigt ihn aber seiner primären Bedeutung der Lesbarkeit. Schrift wird unter den Händen des Künstlers regelrecht zum fantastischen Kunstzeichen, das als freiheitlich-selbstbewusster Protagonist das Papier bespielt. Mit lockerer Hand und genauer Beobachtungsgabe komponiert er Farben, Flächen und Formen auf dem Papier, die sich auch nicht zu schade sind, im Zusammenspiel eigenständige Kalligrafien zu bilden oder kleine Exkurse in die Gegenständlichkeit zu unternehmen. Ich will hier nur andeuten, dass es auch ein umfangreiches, insbesondere zeichnerisches Werk von Funk gibt, das realistische und surrealistische Elemente enthält, aber hier ausgespart bleibt. Natürlich ist ein solches Werk mit den typografischen Vorgaben längst nicht erschöpft. Parallel entwickelte Funk mehrere Themengruppen, die sich über Jahrzehnte hin verfolgen lassen. Es ist sogar ergreifend, wenn man ein Bildmotiv sieht, das Jahre später in einem weiteren Bild beinahe wörtlich zitiert wird. So sehen Sie im Kabinett ein Beispiel aus dem Jahr 1962, das Funk über 30 Jahre später wiederholt, mit minimalen Unterschieden. Wir dürfen davon ausgehen, dass er sich nicht selbst kopiert; vielmehr geht es um den präzisen Ausdruck, der zuweilen einer Korrektur bedarf – und bestünde sie nur in einem roten oder schwarzen Punkt. In ganzen Werkblöcken versichert er sich der annähernd idealen Lösung, wohl wissend, dass diese auch anders aussehen kann.

Eugen Funk orientiert sich mal an Baumeister, mal an Klee, zuweilen an Bissier, er beherrscht die Lasur genauso wie die opake Dichte, der Malgrund besteht hier aus grobem Leinen, dort aus geschöpftem Papier, und sein Kolorit ist einmal verhalten monochrom, dann wieder lebhaft bunt. Doch nie entgleitet er ins Beliebige, nie imitiert er fremde Stile. Sein Werk ist vielmehr geprägt von einer unbändigen Neugier, die ihn auch zu kreativen Exkursionen innerhalb Europas führte. Die Neugierde, immer und überall aufs Neue anzufangen, seinen Kosmos zu erfinden oder zu finden, Gegensätze zu schaffen und wieder zu vereinen, worin Hölzel sein Ideal der Harmonie sah – vielleicht ist das das wirklich Verbindende dieser Ausstellung. […]

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