Ausstellungsbesprechungen

Aus der Eröffnungsrede: Hermann Schwahn – Figürliche Plastik, Galerie Dorn, Stuttgart, bis 6. April 2013

Animalische Kraft, gehüllt in glutvolle Feuerpatina; ein ausladender Körperumfang, der Stabilität und Wärme ausstrahlt – der süddeutsche Bildhauer Hermann Schwahn (1927-2003) wusste selbst aus Bauernhoftieren wie Stier und Kuh ein lohnendes Sujet zu machen. Günter Baumann erzählt in seiner Eröffnungsrede zur Stuttgarter Ausstellung, die wir in Auszügen abdrucken, mehr über Schwahns figürliche Plastik.

(…) Obwohl Sie hier expressionistische Grafiken von Weltrang besichtigen können– das Dreigespann auf Ihrer Einladungskarte vermerkt eigens die Namen Beckmann, Dix und Heckel –, will ich einen Künstler ins Zentrum meiner Einführung stellen, der eher unscheinbar vertreten ist: Hermann Schwahn. Klein, aber fein, darf man getrost sagen, begegnen wir hier doch Arbeiten, die grade mal ein paar Zentimeter groß sind. Aber ich will Schwahn nicht kleiner machen, als er ist. Seine Bronzen fallen auf, und ein Rundumblick über sein Œuvre würde einen sehr vielseitigen Künstler zeigen, der zwischen der abstrakten und der figurativen Welt hin und herwechselt – ohne sich selbst untreu zu werden. Sein Werk umfasst neben den Plastiken auch Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, Collagen und nicht zuletzt typografische Arbeiten und sogar Briefmarkenentwürfe. Eine kleine Auswahl seiner Zeichnungen wird Ihnen hier ergänzend zu den Plastiken im Treppenaufgang präsentiert.

(…) Betrachten wir eines der bronzenen Kuhpaare genauer. (…) Im kleinen Format ruhen die Tiere in sich, stehend, die eine legt den Kopf in den Nacken der anderen. Einen weiteren, ganz ähnlichen Guss sehen Sie in der Ausstellung. Es sind aber nicht dieselben Plastiken. (…) Es ist faszinierend zu sehen, wie sich die bronzene Oberfläche wandelt: silbrig-weiß, kupfer-rötlich mischt sich das Metall zu einer fellartigen Struktur. »Bronze ist dunkel und rau«, wusste schon Leonardo da Vinci, »aber sie bedeckt sich mit zahlreichen und lieblichen Farben in unendlicher Vielfalt.« Hermann Schwahn spekulierte bewusst mit der Legierung, um besondere Effekte zu erzielen. Um einen Eindruck davon zum machen, schauen Sie sich die zwei exakt gleich geformten Stiere an, die hier auf einem Sockel stehen: einmal aus Bronze in einer extremen Rotfärbung, und einmal aus Aluminium, das nur nachdunkelt, sich aber sonst farblich nicht verändert. Abgesehen davon, dass die eine Plastik schwerer, die andere viel leichter ist, als man dem Augenschein nach vermuten würde, ist das Erscheinungsbild ganz unterschiedlich. (…) Während die Patina sich an der künstlichen Oberfläche chemisch verändert, gewinnt man den Eindruck, als würde (das imaginierte Tier) leben. Eigenartig, bei genauer Betrachtung ist es kaum ansatzweise der realen Welt entlaufen, und doch nehmen wir dem kurz- und dünnbeinig-staksigen Vieh die Kuh-Existenz ab – (…) es ist eine Freude, weniger die mögliche Echtheit als die stets sich wandelnde Lebendigkeit in Form und Erscheinung zu erleben (…).

»Wie aber kommt die menschliche Gestaltungslust dazu, sich das Tier als Gegenstand zu wählen? Doch wohl aus dem Grund der Gründe, aus Liebe.« – So sah es etwa Gerhard Marcks, wohl wissend, dass die ältesten künstlerischen Äußerungen an den Wänden karger Schutzhöhlen und in Beinschnitzereien Tierdarstellungen waren. Traditionsgemäß ist zwar der Mensch das ureigene Thema der Plastik, aber es gibt doch auch signifikante Phasen der Beschäftigung mit dem Tiermotiv. Das 20. Jahrhundert hat hier einen wichtigen Anteil, gibt es doch Bildhauer, die sich nachdrücklich als mehr oder weniger reine Tierbildhauer empfahlen: Renée Sintenis, August Gaul (…) oder Philipp Harth. Zuvor war es verpönt, reine Tierplastiken zu machen; in Stein, gar Marmor, kam das gar nicht in Frage, erst über die Randbereiche der offiziellen Techniken schlich sich das Tier in die Kunst ein: Tierplastik ist zunächst einmal Gussplastik. Der Verbreitung des Genres kam zugute, dass besonders die Gartenkunst darauf zurückgriff: Früher standen da noch bevorzugt spärlich bekleidete Göttinnen, und als diese ausgedient hatten, wurde sozusagen Platz frei, zumal die Gärten privater und weniger repräsentativ wurden. Entscheidend für die Entwicklung der Tierplastik war zudem die Eröffnung der Zoologischen Gärten im 19. Jahrhundert – die Kunst geriet sozusagen in medias res. Hier zitiere ich noch einmal Gerhard Marcks: »Die Einstellung des künstlerischen Interesses dem Tierkörper gegenüber bleibt sachlicher … Da nun der Tierkörper viel seltener dargestellt worden ist, ist die Aufgabe der Darstellung viel neuer, unberührter und frischer. Der Künstler steht sozusagen der Natur unbefangener gegenüber, als wenn er eine menschliche Figur darstellt.«

Ich bleibe bei der Liebe zum Tier und mache damit auch wieder einen Sprung zu Hermann Schwahn. Die Bildhauer Renée Sintenis, Louis Tuaillon, Hans Wimmer und auch Schwahn besaßen Pferde und ritten. Es darf also unterstellt werden, dass es eine besondere Bindung zum Sujet gab. Im Fall unseres Künstlers war es sogar so, dass die Familie ein Fohlen hatte, sie erwarb ein Schaf dazu, merkte bald, dass diese beiden wenig Berührungspunkte hatten, stockten beide Tiere zur Gruppe auf, ergänzt um eine Ziege, kurzum: Der Künstler umgab sich mit seinen künftigen Motiven. Es war allerdings auch nicht nur Zeitvertreib oder ein kleiner Privatzoo für naturalistische Bildgestaltung. Es ist bezeichnend, dass viele der Tierplastiker lieber aus der Erinnerung oder in Verbindung mit einer meditativen Verinnerlichung ihre Werke schufen. Wie auch anders: Der naturalistische Aspekt, der im 19. Jahrhundert interessant war, verlor im 20. Jahrhundert an Bedeutung, dafür gewann das Skizzenhafte an Relevanz, und mit der Kleinplastik eroberte sich das Genre über ein Hintertürchen auch seinen Platz im privaten Raum. Die Strategien zur Verinnerlichung lagen auf der Hand: Während die Zeichnungen den spontanen Augenblick vor Ort einfangen, entstanden die malerischen Arbeiten und noch mehr die Skulpturen im Rückzugsort des Ateliers oder im konzentrierten Umfeld der Gießerei, wo sie im komplizierten Wachsausschmelzverfahren hergestellt wurden. Oft sind allerdings die Arbeiten Jahre nach den tatsächlich zugrunde liegenden Erlebnissen entstanden.

Ähnlich wie Ewald Mataré dürfte Schwahn sich immer wieder an der lebendigen Natur rückversichert haben – die er ja vor dem Haus hatte –, weniger um die Naturtreue zu überwachen als die Eigenständigkeit des Kunstwerks zu prüfen. Wie weit man in der Abstraktion gehen kann, ohne der Idee etwa eines Pferdes untreu zu werden, kann man gut nachvollziehen im Vergleich mit den Tierplastiken Heinrich Rohwedders, der auch von der Galerie Dorn vertreten wird (…). Der Reduktion, die Schwahn auf seine Weise auch anstrebte wie Mataré, hätte dessen Maxime zugrunde gelegt sein können: »Mir ist ja«, so Mataré, »so vieles klar geworden, mir muss gelingen, die Formung ganz aus dem Symbolhaften zu erreichen, in dem die Natur nur versteckt ist. Ich möchte die Natur so lange kneten und biegen und pressen, bis sie ganz darin verschwunden ist, so wie ich aus Trauben durch Keltern Wein mache.« In manchen Pferde- und Kuhdarstellungen sind die Silhouetten expressiv, wenn nicht karikierend überzeichnet, so dass die Naturtreue vollkommen zurücktritt. Betrachten Sie etwa die beiden bereits erwähnten Stiere, die nicht nur an Farbigkeit sehr eigen sind, sondern auch durch die hochgezogene Rückenlinie. Die geringe Größe verleiht den Plastiken Schwahns einen verspielten Zug. Das wird in den wenigen hier ausgestellten menschlichen Figuren besonders deutlich. Wir können uns hier gut vorstellen, wie der Künstler zunächst die Form knetete, um den Dargestellten, die kaum mehr als Typen bezeichnen können, den richtigen Ausdruck zu geben. Zuweilen sehen Sie an der fertigen Bronze in der Tat noch die zugrundeliegende Fingerarbeit.

Hermann Schwahn gehörte einer Generation an, die kriegsbedingt verzögert ins Studien- und Berufsleben eintrat. So nahm der 1927 in Heidenheim Geborene erst mit 23 Jahren sein Studium an der Stuttgarter Kunstakademie auf, das er bei Brudi, Meid und Gollwitzer absolvierte. 1954 verließ er die Akademie als angewandter Künstler, entwarf Signets u.a., orientierte sich allerdings auch schon als freier Künstler. Zahlreiche Reisen nach Burgund, durch Frankreich, Südspanien, Marokko, Korsika und Griechenland schlossen sich an, bis er in den 1970er Jahren seine eigentliche Inspirationsregion fand: die Toskana, wohin es ihn und seine Familie (bis zu seinem Tod 2003) immer wieder zog. Die Eindrücke der mediterranen Länder und Orte, zu denen noch Rom, Tunesien und die Kanaren kamen, fanden ihren Niederschlag in zahlreichen Skizzen, fertigen Zeichnungen und malerischen Arbeiten.

Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass Hermann Schwahn keine Berührungsängste zwischen Abstraktion und Figuration kannte – in den malerischen Arbeiten scheint das Licht ein verbindendes Glied gewesen zu sein. Was die Plastik angeht, blieb er dem Gegenstand lange – bei aller Abstraktion – treu. Nur im späten Werk wird er noch einmal einen gegenstandslosen Brunnen für Leinfelden-Echterdingen entwerfen, dessen Aufmerksamkeit durch ein signetartiges Standbild mit aufgesetzter Kugel geweckt wird. Er steht auf dem Neuen Markt in Leinfelden. Lassen Sie mich hier ein paar Worte zu den Brunnen Hermann Schwahns einfügen, um die Größe und Großartigkeit des Werks zu unterstreichen. Bekannt wurde er mit zwei Anlagen in Göppingen, dem Partnerschaftsbrunnen und dem Stauferbrunnen, die in den 1980er Jahren entstanden. Sie sind für uns in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen tauchen manche Tiermotive, die Sie hier sehen, im Partnerschaftsbrunnen auch auf, sowohl Pferd- als auch Kuhdarstellungen sind unter anderem an dem runden Säulenschaft angebracht. Sie müssen sich diesen Brunnen vorstellen wie eine Pinnfläche, an der verschiedene historische und sagenhafte Szenen festgemacht sind, die die damaligen Partnerstädte Göppingens betreffen (…). Dazu kommen noch aus der Göppinger Sagenwelt der Vogt Sigmund vor, der den Franzosen vor der Stadt Paroli bot, aber in deren Gefangenschaft starb, sowie der Stauferlöwe, Symboltier der Stadt. Dieses Tier ist auch der verdreifachte Protagonist des anderen Brunnens, des Stauferbrunnens vor dem Schloss Göppingen. Vergleichsweise wuchtig in der Statur, tragen die Leuen auf ihrem Rücken eine große, runde Brunnenschale – ein eindrucksvolles Ensemble vor der fürstlichen Kulisse.

Die zentrale Bedeutung des Tiers im Schaffen des Künstlers ist nun das eine, etwas anderes ist dessen kulturelle Verwurzelung – seit 1957 bewohnte Schwahn ein Atelierhaus in Hohenstaufen über Göppingen, wo ihm die Präsenz der Staufergeschichte würdig vor Augen stand. Die domestizierten Tiere sind bei ihm immer auch symbolische Aussagen über die Kulturgeschichte des Menschen: ein Grund vielleicht, dass er der tierischen Kreatur so viel Anmut angedeihen ließ. Die Taube (…) fällt etwas aus dem Rahmen, allerdings ging diese Arbeit aus einem Gemeinschaftsprojekt mit Schwahns Frau hervor, die als Töpferin arbeitet und in diesem Zusammenhang die Vorlage jener Taube schuf, die ihr Mann dann in Bronze goss. Mit ironischem Anklang könnte man ihn damit auch für den Fall entlasten, dass man Schwahn Arbeiten als staatstragende Symbole missverstehen würde: Das Pferd hat zuweilen durchaus etwas von einem Wappentier, selbst die Kuh, mehr noch der Stier tragen kulturmythische Züge. So gesehen, hätte Schwahn – wäre er denn dem Pathos des Hehren erlegen – sicher eher einen Greifvogel statt eine Taube geschaffen. Und ganz wesentlich ist das Format bei der Beurteilung: Die Taube mag hier sogar überlebensgroß sein, die anderen Tiere dagegen sind gewichtig in ihrer Kleinheit. Über- oder auch nur -lebensgroß hätten sie ein ganz anderes Gewicht, würden sich ins Monumentale erheben, aber auch ihren grandios privaten Charme verlieren. (…) Schwahn arbeitete übrigens in den bedeutenden Werkstätten der Firma Strassacker, wo er alle Möglichkeiten gehabt hätte, großdimensionierte Arbeiten auszuführen (…).

Biografische Details sind in der Regel wenig erhellend im Hinblick auf ein künstlerisches Werk. Doch habe ich den anekdotischen Ansatz mit Bedacht gewählt, eröffnet er mir doch zwei Wege zum Schaffen von Hermann Schwahn. Da wäre zum einen die Kunst als symbolische Form. Wenn Sie die Arbeiten der in sich ruhenden, aber majestätisch selbstbewussten Tiere von der Seite betrachten – schmal wie sie meist sind, ist das meistens die Hauptseite –, drängen sich Assoziationen zu Höhlenmalerei auf. Zweifellos hat der Künstler in Frankreich und möglicherweise in Spanien die berühmten vorgeschichtlichen Höhlen besucht. Erstmals in der Menschheitsgeschichte zeigt sich hier eine Schöpferkraft sondergleichen, aber auch eine Form der Klassik, lange bevor die historische Antike einen Formenkanon dafür bereitstellte.

Einst ging es natürlich um Jagdzauber und Beschwörung höherer Mächte, die irgendwann einmal obsolet wurden, aber die Schönheit der schlichten Figuration hat sich erhalten, das heißt: eine vorgeschichtliche Ästhetik, die deutlicher in die Moderne hinein wirkte als die klassische Schönheitslehre. Doch das ist nur die eine Seite im Werk von Hermann Schwahn. Es kommt noch die Kunst als Erlebnisraum dazu, der konkrete Ereignisse in der Vita widerspiegelt: Wie so viele Künstler vor ihm hat Italien auch bei ihm einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Zum einen finden sich Anspielungen auf die altetruskische Kunst, die auch noch archaischer ist als die römische Antike. Zum anderen fesselte ihn das Palio di Siena, jenes einzigartige Pferderennen auf dem Hauptplatz der Renaissance-Stadt. Das Ereignis hat Kultcharakter und ist zu gefährlich, als dass es nur ein Spiel wäre: Seit dem Mittelalter treten die Stadtteile Sienas gegeneinander an. Menschenmassen sind im Zentrum des Platzes zusammengepfercht, um das eine Rennbahn mit einer Lehm- und Erdschicht aufgeschüttet wird.

Was Schwahn daran faszinierte, ist die Hochspannung, die das Blut der Pferde – und wohl auch der Reiter und der Zuschauer – scheinbar zum Kochen bringt. Ohne Sattel und auf einen schmalen Streifen begrenzt, verlangt das Rennen höchste Ansprüche an Ross und Reiter, wobei es nicht immer glimpflich ausgeht, zumal die Niederlage zugleich Schmach für das im Rennen vertretene Stadtviertel bedeutet. Was nun die Werkgenese bei Hermann Schwahn angeht, beobachtet man eine Abwendung vom statischen Stand-Bild über eine Dynamisierung im Detail – etwa in der Schweifstellung oder der Vorwärtswendung des Kopfes –, dann in der Aufnahme von Bewegung. Die Plastik mag letztlich eine schon wieder geläuterte Form der beobachteten Dynamik sein, aber die Absicht ist klar erkennbar in den zahllosen Zeichnungen und Skizzen von Pferden, deren Bewegung Schwahn auf allem festhielt, was nach Papier aussah: So findet sich auch mal ein Stück Tapete unter den Blättern. Eine kleine Serie von Zeichnungen auf hauchdünnem Papier vermittelt Ihnen im Treppenaufgang die Hingabe, den Übertragungseifer flüchtiger Bewegung und die technische Souveränität des Künstlers.

Auch die Rinder verknüpft Schwahn mit dem Toskana-Erlebnis, wie aus manchen Titeln ausdrücklich hervorgeht. Die beinahe phlegmatische Ruhe, die die Kühe ausstrahlen, oder die verhaltene Kraft, die die Stiere gerade noch im Zaum halten, kann man sich gut in der eigenen Vorstellung von der toskanischen Landschaft verankern, die der Maler übrigens auf genial einfühlsame Weise darzustellen wusste. Das ist allerdings nicht Thema der heutigen Ausstellung, die das Augenmerk auf die figurative Plastik begrenzt (…).

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