Ausstellungsbesprechungen

Aus der Eröffnungsrede: Kabinett # 1: Linde Wallner – Tontäfelchen, leicht eingeschrieben, Kunstverein Böblingen, bis 27. Oktober 2013

Die Arbeit der Keramikerin Linde Wallner gleicht der eines Archäologen, es ist ein Vordringen in stets tiefere Schichten. Der Titel verweist auf das kleine Format, das die Schau bestimmt, sowie auf zeichnerische Elemente in der Keramik. Günter Baumann verrät Ihnen in seiner Eröffnungsrede mehr über »Tontäfelchen, leicht eingeschrieben«.

(…) Der poetische Titel der Ausstellung mit Keramikarbeiten von Linde Wallner lautet »Tontäfelchen, leicht eingeschrieben« (...). Zunächst will ich ein paar Worte zum Konzept der neuen Kabinett-Ausstellungsreihe machen. Sie kommen damit dem Kunstverein räumlich näher, als dies in der Schleuse 16, dem Ausstellungsraum im Untergeschoss der Fall ist. (…) Das Kabinett wird (…) nicht nur der zweite programmatischen Schwerpunkt im Ausstellungsbetrieb des Kunstvereins, sondern sollte im Idealfall auch Begegnungsstätte sein.

Der schlichte, aber stimmungsvoll beleuchtete Raum ergänzt künftig die ›Schleuse 16‹, ist jedoch keine Konkurrenz dazu: Die Schleuse wird weiterhin unser unersetzliches Forum für experimentelle Kunst sein. Der Raum bestimmt die Bestimmung: Der verhältnismäßig kleine Raum beschränkt die Kunst – was naheliegt – der Anzahl der gezeigten Arbeiten, im Format und in den Techniken – doch grundsätzlich ist alles möglich, mit der Einschränkung, dass etwa installative Arbeiten wörtlich genommen nur am Rande vorkommen können. Bevorzugt werden Fotografien, Zeichnungen und Grafiken, aber wie die Premierenausstellung zeigt, sind skulpturale Arbeiten genauso denkbar wie malerische Positionen (…).

(…) Heute widmen wir uns dem Werk von Linde Wallner. 1943 in Stuttgart geboren, feierte sie dieses Jahr ihren 70. Geburtstag. Die Stadt plante aus diesem Grund eine Ausstellung in der Galerie Contact, die jedoch zeitweilig für den Ausstellungsbetrieb geschlossen werden musste. Deshalb übernahm der Kunstverein die ehrenvolle Aufgabe, die Kunst Linde Wallners in Böblingen auszustellen. In Herrenberg, wo die Künstlerin lebt und arbeitet, gab es dieses Jahr bereits eine wunderschöne, große Ausstellung zu ihren Ehren. Hier im Kabinett musste sie sich beschränken, und sie hat es mit großem Elan und einer poetischen Gestimmtheit getan. »Kleine Tontäfelchen, leicht eingeritzt«, versprechen eine zarte Bearbeitung, der Diminutiv ist dem Format geschuldet, mit dem sie auf den Raum reagiert. Nicht ohne Grund gehört Linde Wallner zu den großen Keramikkünstlerinnen unsres Landes, weil das Material, mit dem sie umgeht, hochsensibel, das heißt, zerbrechlich ist: Die Fragilität ist jedoch nicht allein ein haptisches Erlebnis, sondern auch ein existenzielles.

»Durch das Beobachten keramischer Prozesse und die Entwicklung eigener Bearbeitungstechniken und Glasuren habe ich mir die Formsprache des Werkstoffs Ton angeeignet«, so schreibt die Künstlerin, »die es mir ermöglicht, Inhalte zu transportieren. Es entstanden und entstehen Arbeiten, die von inhaltlichen und formalen Spannungen, Kontrasten und Widersprüchen gezeichnet sind, die ihre zunächst wahrgenommene Ruhe und Stabilität durchbrechen und in Frage stellen.« Mit nahezu archäologischem Gespür für archaische Formen macht sich Linde Wallner auf zu den Ursprüngen der Keramik, die sie bemalt und in poetisch-expressiver Gestaltung in die Gegenwart übersetzt. Ihre Themen sind das Stillleben genauso wie die Landschaft bzw. die Natur wie auch die Figurendarstellung. Mit ihrem Fries zeigt Linde Wallner, dass die Keramik von jeher auch eine gestalterische Funktion im Raum hatte. Wie vielseitig das Material ist, lässt sich an den zauberhaften Einzelstücken ablesen, die mitunter auch in Serien auftreten. Auch das, so meine Hoffnung, kann das Kabinett zukünftig leisten: den Raum für kurze Zeit in ein kleines Gesamtkunstwerk zu verwandeln. Von den Arbeiten Linde Wallners geht schon mal ein dialogischer Impuls aus, nicht zuletzt in der fein nuancierten Farbigkeit zwischen Gelb- und Erdtönen, die zuweilen mit kräftigen Blautönen akzentuiert sind. (…)

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