Ausstellungsbesprechungen

Aus der Eröffnungsrede: Kabinett #5: Franziska Schemel – Wandobjekte, Böblinger Kunstverein, bis 29. Juni 2014

Zugleich modern und traditionsbewusst ist Franziska Schemel: Sie verbindet neue und alte Techniken, ihre Pigmente mischt sie wie die alten Meister selbst, doch nutzt sie dabei ungewöhnliche Zutaten. Obendrein rückt sie den Rahmen in den Mittelpunkt der Präsentation und macht ihn durch seine Gestaltung zum eigentlichen Kunstwerk. Wandobjekte nennt sie ihre Werke. Günter Baumann bringt sie uns näher.

In ihrem Schaffenskern ist Franziska Schemel eine Beobachterin. Unaufgeregt lotet sie den Lebensraum Stadt aus und beleuchtet von dort aus den modernen Alltag. Formal reduziert und inhaltlich konzentriert, hat die Künstlerin jene bereits erwähnte besondere Bildsprache entwickelt, für die sie verschiedene Techniken wie Fotografie und Malerei vereint und viele Materialien einsetzt – von Acryl, Pigment und Grafit über Steinmehl bis hin zu Rost und Metall. So gegenwärtig das Werk von Franziska Schemel ist, so traditionsbewusst ist auch ihr Bekenntnis zur altmeisterlichen Arbeit. Wie selbstverständlich mischt sie ihre Pigmente eigenhändig zusammen, auch wenn sie ungewöhnliche Zutaten wie Eisenpulver, Sand oder Torf beimengt. Hier fühlt sie sich den mittelalterlichen Alchimistenküchen wie den Bauhütten verpflichtet, die einst auch zu neuen Mitteln griffen, um ihre Themen zeitgemäß zu übersetzen. (…)

Wandobjekte nennt Franziska Schemel ihre Arbeiten – Objektkunst ist es deshalb, weil ihr Schaffen nicht annähernd beschrieben wäre, wenn man es als nur malerisch und fotografisch kennzeichnen wollte. Den Kern ihrer Arbeiten bilden teils briefmarkengroße, selten mehr als postkartengroße Fotos, sodass man genau hinschauen muss, um die seriengleich wiederkehrenden Motive zu erkennen: Zu sehen sind, salopp gesagt: Einzelgänger unterwegs, in Unterführungen, Bahnhofshallen. Diese flüchtigen Foto-Momente fixiert die Künstlerin auf eine dünne Aludipondplatte. Soweit wäre der figurative Hintergrund in Franziska Schemels Kunst umrissen. Und wie es im richtigen Leben ist: die Fotos verlangen nach einem Rahmen. Franziska Schemel schafft welche. Doch die übersteigen alles, was sie für gewöhnlich versprechen. Zwar umrahmt die Künstlerin ihre Fotos, aber sie zelebriert die Rahmung in einer materiellen Dramaturgie, einem überbordenden Ausmaß und einer formal-geometrischen Vielfalt, dass sie sich letztlich in ihrer Funktion negieren und eine Eigendynamik entwickeln, die so viel Elan mitbringt, dass das entstandene Gesamtbild als Malerei, Reliefskulptur wie als architektonische Raumphantasie durchgehen.

Das Konzept funktioniert als Ganzes. Da sind einmal die fluchtenden Situationsaufnahmen aus der fotografierten Realwelt, die formal aufgenommen werden. Der rahmende, flächige Umraum setzt die dreidimensionale Wirkung fort. Doch materiell nehmen wir zum andern eine Plastik wahr, die genau genommen der Malerei angehört: Der sichtbare Rost ist keineswegs die Oberfläche eines Eisenkörpers, der schon durch das tiefgelegte Foto seinen plastischen Charakter unterstreicht – es handelt sich vielmehr um eine Holzplatte, auf die Franziska Schemel Edelstahl- oder Eisenpulver »aufmalt«. In anderen Bildern verwendet sie Sand und Torf, die sie mit Acrylbinder auf den Holz- oder Leinwandgrund aufträgt. Die grobkörnigen und kleisterartig dicken Schichten ergeben reliefierte Strukturen, die eher einer Spachtelmalerei entsprechen als der Pinselmalerei. In ihren Objektbildern vereint Franziska Schemel also malerische, plastische und raumillusionäre Elemente, erzeugt damit Irritationen, die zur Aufklärung reizen und doch manche Rätsel bewahren. Die materialreichen Mischtechniken machen deutlich, wie sehr sich die Künstlerin von ihren malerischen Wurzeln entfernt hat – Ihre Professoren Mansen und besonders Groß waren ausgesprochene Maler –, doch kann man feststellen, dass in den jüngeren Werkphasen wieder verstärkt malerische Elemente auftauchen, übrigens auch mit figurativen Motiven: schattenhaften Menschenketten, Einzelsilhouetten usw. In der Technik trifft man nun immer wieder auf aquarellierte Passagen, notgedrungen mit dem traditionellen Einsatz des Pinsels – und hier lassen sich sogar naturhafte Themen wie etwa den Wolkenhimmel finden.

Der Clou dieses Werks ist die Kollision fotografisch genauer, im Prinzip konkreter Raumaufnahmen mit der abstrakt-geometrischen Strukturfläche, deren Flächengrenzen die Fluchtlinien im Foto aufgreifen. So unscheinbar die normalerweise schwarz-weißen Fotografien gegenüber der massigen Umgebung sind, bestimmen ihre perspektivischen Linien das Erscheinungsbild der abstrakten Außenform. In unserer Wahrnehmung findet ein spektakuläres Wendemanöver statt. Was wir als Hauptthema vor Augen hatten, nämlich ein weitgehend geometrisch-abstraktes Bild, macht einer konkreten Raumsituation Platz und wird zur dramatisch inszenierten Kulisse der eigentlichen, der fotografierten, seriell aufgefassten Szenerie. Abgebildet sind spärlich bevölkerte Unterführungen, Rolltreppen, kahle Räumlichkeiten. Nichts überlässt Franziska Schemel – wenn sie lange vor Entstehung des endgültigen Kunstwerks als Fotografin unterwegs ist – dem Zufall. Oft wartet sie Stunden, um einen günstigen Augenblick zu erwischen, in dem ein Mensch die so schmuck- wie trostlose Passage durchschreitet, in schnappschussleichter Bewegung die nüchterne Treppe hochzuschweben oder sich im langzeitbelichteten öffentlichen Untergrund zu entmaterialisieren scheint. Diese flüchtigen, figurativen Momente fixiert die Künstlerin auf einer festen Trägerplatte, die sie mit dem Bildträger verschraubt oder verklebt. Zwangsläufig erhöht diese Montage den Objektcharakter, da der Bildträger leicht erhaben von der Wand weg hängt. Das Werk mit dem Titel »Durchgang« bildet sogar eine Art Kasten nach, an dessen inneren Rückwand ein Foto mit einer nach vorn schreitenden weiblichen Figur auszumachen ist – man liegt nicht falsch, wenn man dabei an die Tradition des frühneuzeitlichen Guckkastentheaters denkt.

Gewitzt greift Franziska vielfach zu einer Leuchtfarbe und bemalt die Rückseite des Bildträgers, was für den Betrachter nur im Lichtreflex an der weißen Wand zu erkennen ist – die Leuchtkraft gaukelt uns eine künstliche Lichtquelle vor, die geradezu mystisch daherkommt. Aber im Ernst: eine geheimnisvoll sakrale Wirkung erzielt die Künstlerin sogar unmittelbar in manchen Polyptichen, die nicht nur die architektonische Anmutung unterstreichen, sondern auch die transzendente Tiefe. Eine titellose Arbeit im hinteren Ausstellungsbereich der Stipendiatenwohnung überführt gar eine kosmologische Symbolik in die eigene Bildsprache: Eine Art Sonnenfinsternis spielt sich über einem magisch leuchtenden Rostrot ab, am unteren Bildrand erlebt man eine Reihe von Menschen, die wie aus einem Nebel heraustritt, in ihrer relativen Kleinheit; unter der Sonne gibt der rotdrohende Himmel den Blick frei auf zwei an sich profane Rolltreppen, zwischen denen ein Mann nach oben die Stufen hinaufschreitet – in gewissem Sinn ein wörtlich bzw. bildlich genommener Stairway to heaven... Darüber hinaus finden sich Arbeiten im Werk von Franziska Schemel, die statt mittiger Fotos von zwielichtigen U-Bahnhöfen auch mal Aufnahmen von Fischen zeigen, die zinnengleich an den Oberkanten stehen und das mehrteilige Ensemble in ein symbolschweres Blau tauchen. Hier befreit sich die Natur vor den Einengungen der menschlichen Zivilisation. Auf anderen Werken baut die Künstlerin Architekturdetails – Bögen sakraler Bauten, Torsituationen usw. – in die geometrisierten Bildwelten ein, um Assoziationen archaischer Lebensräume zu beflügeln.

Anfangs dominierte im Werk von Franziska Schemel vorwiegend eine symmetrische Ordnung, die dem fotografischen Einzelbild einen zuweilen klaustrophobischen Einschlag gab. In den aktuelleren Arbeiten wird nicht nur der Farbauftrag mal transparenter, mal auch klarer konturiert, sondern sie werden mitunter offener und dynamischer durch eine variable Bildaufteilung, die den Raum freier strukturiert und die Geometrie zur freiräumlichen Landschaft hin lockert – verstärkt durch die erwähnten, schemenhaften Menschenreihen, die am gemutmaßten Horizont oder am vordergründigen Illusionsraum übers Bild ziehen. Die fotografierten urbanen Lebensräume korrespondieren und kontrastieren nun unbeschwerter mit einer Naturfiktion, miteinander verbunden über ein mal profanes, mal erhabenes Zeit-Raum-Gefüge. So führt die Rolltreppenfahrt nicht mehr ins Nichts, sondern möglicherweise zu einer anderen Realitätsebene – hinauf oder hinab zu den Menschenschatten. Immerhin ist das Foto, so sagt Franziska Schemel, die reale Situation – »das Drumrum bin ich mit der Kamera«: Das ist eine interessante Feststellung insofern, als die abstrakte Fluchtpunktverlängerung auch das indifferente Gesichtsfeld widergibt, entsprechend unserem selektiven Sehvermögen. Was wir objektiv-real und bewusst sehen, muss nicht mit dem subjektiv Wahrgenommenen übereinstimmen, das Erinnerungen genauso enthält wie unbewusst Gesehenes.

Das Spektrum ihres Werks ist immens: inhaltlich, formal und farblich. Naturhaftes und Stadträumliches ist zu sehen, extreme Querformate treffen auf Hochformate, halbrunde auf quadratische Größen; wenn auch Erd- und Grautöne dominieren, begegnen uns auch blaue und gelbe Farbstufen. Was allen Arbeiten gemeinsam ist, ist die Einbeziehung einer Fotografie in einem malerisch-plastischen Kontext, oder sprachspielerischer formuliert: die Darstellung eines Bildes von einem Bild in einem Bild, das heißt: ein Foto von einer realen Situation, die in einen künstlerischen Zusammenhang transportiert und platziert wird. Und noch anders: Hier trifft die Realität auf ihr kunstvolles Abbild. Zugleich spiegeln sich in den Kompositionen Innen- und Außenwelt, wobei die Außenwelt zur Innenwelt wird und die Innenwelt sich nach außen kehrt. Kurzum: Franziskas Kunst gehört zu den faszinierenden Bildfindungen unserer Zeit.

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns