Ausstellungsbesprechungen

Aus der Eröffnungsrede: Klaus und Olivier Kugler: Welt der Bilder – Bilder der Welt. Vater & Sohn – Kontraste, Schlosskeller Dätzingen, bis 13. Juli 2014

Vater und Sohn sind derzeit im Schloss Dätzingen zu sehen, ihre Bilder zusammengebracht vom Kulturkreis Dätzingen. Klaus und Olivier Kugler bieten unterschiedliche Motive und Herangehensweisen an ihre Kunst an: Der eine malt in geradezu altmeisterlichem Stil, der andere erschafft comichafte Zeichnungen. Günter Baumann stellt in seiner Eröffnungsrede zwei Künstlergenerationen gegenüber.

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(…) Wenn der Vater mit dem Sohne… Beziehungsreich ist … die Einladungskarte, die Sie alle vor Augen oder in Händen halten: Die Bildmotive fallen gleich beim Eingang auf, einmal eine Elbüberquerung, das andre Mal der Blick auf eine Mekong-Fähre. Natürlich ist man schnell beim erweiterten Untertitel: »Vater und Sohn: Kontraste«, die liegen ja auf der Hand – altmeisterliche Malerei trifft auf einen Comic-Stil. Selten wird man solch unterschiedliche Genres zusammen ausgestellt sehen – leider. Andrerseits spielt der eigentliche Titel mit einer Nähe durch Spiegelung: »Welt der Bilder« und »Bilder der Welt« meint Unterschiedliches und doch zugleich auch nur eine Verschiebung der Wahrnehmungsbereiche. Es stimmt schon: Klaus Kugler holt imaginierte Bilder, mal aus der Phantasie, mal als Zitate aus der Kunstgeschichte, ins Bild, komponiert damit eine kleine Welt, traditionell gerahmt und deutlich der Malerei verpflichtet, kurzum: eine Welt der Bilder. Olivier Kugler erzählt Geschichten in Bildern, die nicht der Phantasie entsprungen sind – so phantasievoll sie auch komponiert sind –, sondern dem Alltag abgeschaut. Alltag heißt in diesem Kontext übrigens weniger die Straße vor der eigenen Haustür, sondern Orte in Laos, Irak, Großbritannien. Kurzum: Bilder der Welt. Das Papier ist ihm dabei mutmaßlich immer zu klein, der Rahmen scheint – wenn vorhanden – eher ein notwendiges Übel zu sein – seine Linien kann sich der Betrachter darüber hinaus weiterdenken.

(…) Klaus Kugler zitiert auf seinem Bild »Die Elbüberfahrt«, so heißt es in der Titelergänzung, ein Werk des spätromantischen Malers und Illustrators Ludwig Richter. Es handelt sich dabei um die sogenannte »Überfahrt zum Schreckenstein« aus dem Jahr 1837. Richter stellt dort eine Wander- oder Pilgergruppe dar, die auf einem schlichten Kahn dem mächtigen Felsen entgegenschippert, auf dem die Burg als Wahrzeichen Nordböhmens prangt. Die Reisegruppe hat Klaus Kugler von Richter übernommen: ein mit sich beschäftigtes Liebespaar gehört dazu wie ein gebannt zum Schreckenstein schauender Wandersmann oder ein Harfespieler – mit wem man halt so auf Reisen geht. Ludwig Richter ging es wohl auch um die nationale Symbolik, Caspar David Friedrich ließ sich ebenso von dem Felsen inspirieren, und 1842 war Richard Wagner zu Besuch und schrieb unter dem Eindruck dieser Reise seinen »Tannhäuser«. Das hat nun gar nichts zu tun mit Klaus Kugler, der genau 100 Jahre später, 1942, im südmährischen Wostitz geboren wurde. Wenn wir die tschechische Karte hervorziehen, sehen wir, dass die Burg zur nördlichen Grenze hin liegt, Wostitz an der südlichen – beides einst unter österreichischem Einflussgebiet, und im Dritten Reich von den Nazis okkupiert. Dem Krieg folgte die Vertreibung, die der dreijährige Klaus erleben musste. Das führt vom Kugler-Bild weg, aber was ich damit sagen will ist, dass Kunst nicht immer in harmlosen Gewässern gründet. Es mag unangemessen, die Szene auf der Elbe mit der europäischen und der persönlichen Geschichte zu verquicken. Klaus Kugler rückt die Schiffsszene an die Seite, und es ist schon auch lustig: Richters die böhmische Festung anschmachtender Wanderbursche blickt bei Kugler nicht mehr auf die Burg Schreckenstein, sondern auf ein seltsam schroffes Felsmassiv mit bürgerlichen Häusern – die Burg ist, verglichen mit der spätromantischen Vorlage, an den äußeren Rand gerückt. Die Fragen stellen sich peu à peu. Wie sieht es nun mit der Realität im Bild aus? Entwirft Kugler eine Sur-Realität? Ich denke schon. Wirklich ist gewissermaßen die fingierte Geschichte Ludwig Richters, die Elbüberfahrt, nur die Kulisse ist phantastisch, mehr noch: Verglichen mit den Auflösungserscheinungen der Vorder- und Hintergründe, kommt das Boot in der Tat so real rüber, dass man denken möchte, wie anders sollte man hier übersetzen als mit einer Harfe. Bei Kugler ist die Phantasie plausibel dargestellt. Überspitzt formuliert (…) verliert sich jegliche historische Deutbarkeit als Hirngespinst, übrig bleibt die Realität unserer Einbildung.

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Szenenwechsel, (…). Die Mekong-Fähre von Laos, wie sie Olivier Kugler gezeichnet hat, ist aller Wahrscheinlichkeit nach einem wirklich existierenden Boot nachempfunden, zumindest ist sie bis ins Kleinste klar erfasst. Die Menschen sind eher wahllos mit dem Schiff verbunden. Geschichte bietet sich nicht so sehr an wie auf dem Elbe-Bild, obwohl der Mekong als einer der größten Flüsse der Welt durch ein halbes Dutzend Länder führt und als Lebensader Südostasiens bezeichnet werden kann. Ein Schicksalsfluss. Aber es drängen sich Geschichten, im Plural, auf: Menschen verladen Proviant auf der Fähre, nicht nur Reisegepäck, auch Schlachttiere, Obst und Gemüse, andere Mensch schauen dem Treiben zu. Auffallend ist die nur teilweise farbige Gestaltung, welche das Wesentliche hervorhebt und den Rest in seiner skizzenhaften Zeichnung belässt. Das Blatt ist die Vorlage für eine Seite aus einer gezeichneten Reportage mit dem Titel »Mit dem Elefanten-Doktor in Laos«. Dort werden noch andere Szenen bildnerisch eingeblendet. Dazu kommen schriftliche Kommentare und Detailbeschreibungen. Aus dem Kontext erkennen wir, dass es sich um die Abreise von einem Aufenthalt in Laos handelt, den der Bildautor tatsächlich erlebt hatte: Er begleitete einen Tierarzt durch das Land, der kranke Elefanten medizinisch versorgte. Der Realitätskern liegt also auf der Hand, der Stil ist allerdings auch an einem Klassiker der Kunstgeschichte, wenn auch in der Disziplin des Comic, orientiert – nämlich am Hergé, dem Erfinder von »Tim und Struppi«. Die Liebe zum Detail gehört hierher, und auch die narrativen Elemente, am meisten der Reportagestil.

(…) das Bild der Überfahrt auf einem Gewässer hat eine lange Tradition, hat mit Lebensläufen zu tun, oft mit schicksalhafter Emphase vorgetragen: Das am häufigsten dargestellte Motiv dürfte die Überfahrt ins Jenseits sein. Unsere Beispiele behandeln diesseitige Transfers, einmal in einer postromantischen Variante, einmal in einem dokumentarisch-sachlichen Stil gehalten. Apropos Lebenslauf: Ich will Ihnen kurz ein paar Koordinaten zur Vita der beiden Künstler geben, um sie auch besser einordnen zu können. Klaus Kugler, wie gesagt, ist in Südmähren geboren. 1963 findet man ihn in der Freien Kunstschule in Stuttgart, wo er bei dem abstrakt arbeitenden Gerd Neisser studiert - wie auch Jan Peter Tripp oder Josef Nadj, um noch ein paar bekannte Namen zu nennen. Im selben Jahr wechselt er an die Stuttgarter Kunstakademie, wo er zunächst bei Hugo Peters die Grundlehre des bildnerischen Gestaltens erhält. Mitte der 1960er Jahre legt er ein Studienjahr in Wien ein. Dort kam er sicher in Kontakt mit dem österreichischen Phantastischen Realismus. Seine Werke befinden sich in zahlreichen Kunstsammlungen, vorwiegend in der Stuttgarter und Böblinger Region, aber auch in Karlsruhe und speziell in der Ostdeutschen Galerie in Regensburg, einer der wichtigsten Sammlungen mit Arbeiten von deutschstämmigen Künstlern aus Osteuropa. In diesem Zusammenhang sind auch Preise zu nennen, z.B. den Kulturpreis für Bildende Kunst der Sudentendeutschen Landsmannschaft oder den Südmährischen Kulturpreis. Wichtig in unserem Zusammenhang ist die Bronzemedaille der »Hommage à Altdorfer« in Regensburg im Jahr 1979 – anlässlich einer Ausstellung der Künstlergilde Esslingen und der Ostdeutschen Galerie auf Schloss Wörth an der Donau. Die Hommage ist fast eine Art Markenzeichen des brillanten Malers, Zeichners und Radierers Klaus Kugler – immer wieder tauchen Reminiszenzen an die Kunstgeschichte auf, zum Beispiel jener Albrecht Altdorfer, Hauptvertreter der sogenannten Donauschule, die zur Dürerzeit die Landschaftsmalerei revolutionierte, dann überhaupt die Künstler der italienischen und deutschen Renaissance, sowie einige Romantiker, zu denen Ludwig Richter gehörte.

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Olivier Kugler wurde 1970 in Stuttgart geboren und studierte Grafik-Design in Pforzheim. Eine wichtigere Station war aber wohl die School of Visual Arts in New York, wo er seinen bildessayistischen Reportagestil entwickelte. Heute lebt Kugler jun. in London, wo er für berühmte Presseorgane wie »The Guardian« arbeitet. 2006 wurde er mit dem Illustration Award des Victoria and Albert Museums für seine regelmäßige Kolumne »Kugler’s World« ausgezeichnet, fünf Jahre später erhielt er den Preis für den Tagebuch-Bildessay »Un Thé en Iran«, für den Kugler einen iranischen Trucker von Teheran an den Persischen Golf begleitete. Auf einer seiner letzten großen Reisen folgte er Ende 2013 syrischen Flüchtlingen in den Irak, unter dem Schutz der Ärzte Ohne Grenzen. Um seine Position innerhalb der journalistischen Illustratoren zu verdeutlichen, sei darauf hingewiesen, dass Kugler gern von Zeitschriften beauftragt wird, etwa wenn im britischen Königshaus geheiratet wird oder Politiker wie Tony Blair in den Wahlkampf ziehen. Aktuell sind gleich mehrere Publikationen Olivier Kuglers erschienen: die deutsche Übersetzung des erwähnten Elefanten-Buchs, eine Graphic Novel über »John Ateiku – Ein Fischer in Ghana« und eine Seite in dem renommierten Sammelband »Comics zur Lage der Welt« im Auftrag von Le Monde diplomatique. Nie geht es ihm nur um die vordergründige Beschreibung der jeweiligen Alltagswelt, sondern auch und vor allem um die Probleme, den Alltag auch zu meistern. Im Eingangsbereich sehen Sie in dieser Ausstellung frühe Selbstporträts von Sohn und Vater. Olivier ist übrigens kein Name mit Tippfehler – nach dem Herkunftsland seiner Mutter bekam er einen französischen Vornamen.

Wenn der Vater mit dem Sohne ausstellt, geht es natürlich um die Gemeinsamkeiten über Einzelmotive hinaus. Klaus Kugler bevorzugt eine nahezu altmeisterliche Malerei, aber wir sollten uns nicht täuschen lassen. Seinen renaissancistischen und romantischen Themen geht er mit dadaistischen Mitteln und Techniken auf den Grund. Zum einen verwendet er die Décalcomanie, ein Abklatschverfahren, bei dem eine Glasplatte mit Farbe auf die Leinwand gelegt wird. Zieht man die Platte weg, entstehen schlierige Strukturen, die Kugler mit feinem Pinsel bearbeitet. Die Surrealisten, allen voran Max Ernst, entdeckten die Technik für die Kunst, um Leonardo da Vincis Maxime unmittelbarer als dieser selbst umzusetzen: Der verlangte nämlich von den Künstlern, sie sollten im Wolkenspiel oder in Holzmaserungen Gestalten heraussehen. Die Dadaisten suchten diese Gestalten direkt auf dem Bildträger und nicht mehr in der Natur. Klaus Kugler macht das auch. Oft tun sich bereits so ganze Landschaften auf. Mit einer erstaunlichen Präzision holt er dann aber feinstsinnige Details aus der Farbmasse heraus. Dazu kommt noch die Destruktion der Bildlogik. In waldiger Idylle kristallisiert sich die Landschaft beim Betrachten abrupt zu einer gläsern-geometrischen Räumlichkeit. Gerade und Senkrechte gehen durch den Kopf wie durch die Landschaft, wobei Kugler seine Bildmotive bis zur Abstraktion verfremdet oder in transzendente Architekturen verwandelt. Kuglers Bildsprache kennt alle Nuancen des emotionalen Zugangs: hier hochdramatisch, dort in sich gekehrt. Zur handwerklichen Präzision kommen die geistige Vision und eine metamorphotische Begabung, alles aus der oft nahezu monochromatischen Palette heraus zu entwickeln und gleichzeitig alles immer wieder neu zu erfinden. Als weitere Anleihe aus dem Dadaismus sind die Objektcollagen zu sehen, für die der Künstler Halbleiterplatten verwendet, die dem Betrachter wie Architekturpläne vorkommen müssen.

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Olivier Kugler ist, das mag nun verwundern, der klassischere Künstler, was die Zeichnung angeht. Aber auch bei ihm gibt es eine Vorgehensweise, die manche Details mit äußerster Vorlagentreue wiedergibt, während andere Passagen nur angedeutet werden. Allerdings überlässt er nichts dem Zufall. Das bringt eine ähnliche Bewegung in die Bilder wie sie Kugler senior durch die vibrierende Farboberfläche erreicht. Überhaupt ist die Genauigkeit bei beiden zu unterstreichen. Der Objektcollage bei Klaus Kugler könnte man die Bild-Text-Collage bei Olivier Kugler an die Seite zu stellen, die einem Horror vacui Vorschub leistet. Kleine Ausschnitte werden im Bildganzen noch einmal in Vergrößerung fokussiert. Darüber hinaus zeigt er simultane Handlungsstränge auf einer Seite, die entsprechend auch auf den Suchbildern von Klaus Kugler zu beobachten sind, wenn auch nicht in der Drastik des ausgesprochenen Zeichners Olivier Kugler. Zuweilen stellt er Gliedmaßen doppelt dar, oder die Füße des Zeichners selbst tauchen im Blickfeld auf. Diesem Zeit- und Raumsplitting korrespondiert bei Klaus Kugler die Zeitlosigkeit seiner Szenen. Innovativ sind beide Kuglers: Klaus sozusagen mit dem Blick zurück nach vorne, Olivier mit dem Blick nach vorn zurück, indem er historische Missstände anspricht, ja schriftlich in die Arbeit integriert, um das Denken beim Betrachter anzustoßen. Und um auch noch auf das Inhaltliche zu kommen, wo sich beide Künstler begegnen: Bei allem Ernst der Thematik bei Olivier und bei aller Akribie bei Klaus ist beiden ein ironisches Naturell eigen, das sich beim Vater zuweilen bei den Titeln äußert, während es beim Sohn in der Fabulierlust aufscheint. Die Ironie des einen wie die Erzählfreude des anderen haben auch eine politische bzw. gesellschaftliche Note: So heißt ein Bild Klaus Kuglers »Frühstück – nach Manet« – die Szene ist befremdlich: der Platz für ein Picknick, das in der scheinbar gemütlichen manetschen Geste stattfindet, hat den Charme einer schnöden, kafkaesken Maschinenhalle. Bei Olivier Kugler liegen die gesellschaftskritischen Themen in der Natur der Sache.

(…) die Gewölberäume des Schlosses in Dätzingen sind bis auf den letzten Winkel gefüllt mit Überraschungen, die sowohl bei Klaus wie bei Olivier Kugler bei der Nahsicht deutlich werden. Das verlangt nach einer intensiven Betrachtung, die man bei einem zweiten Besuch vertiefen oder durch einen Ankauf bequem zu Hause fortführen kann. So wünsche ich Ihnen viele Momente der intensiven Auseinandersetzung mit den Werken der Künstler. Am Schluss will ich noch Johann Wolfgang Goethe das Wort geben – immerhin schaut er uns in einer Karikatur eines Altersporträts vom Torbogen herab entgegen, gezeichnet von Olivier Kugler, ja, auch er zitiert die Kunstgeschichte, wenn auch nur ausnahmsweise. Goethe schrieb in seinen Schriften zur Kunst: »Die menschliche Gestalt kann nicht bloß durch das Beschauen ihrer Oberfläche begriffen werden, man muss ihr Inneres entblößen, ihre Teile sondern, die Verbindungen derselben bemerken, die Verschiedenheiten kennen, sich von Wirkung und Gegenwirkung unterrichten, das Verborgene, Ruhende, das Fundament der Erscheinung sich einprägen, wenn man dasjenige wirklich schauen und nachahmen will, was sich als ein schönes, ungetrenntes Ganzes in lebendigen Wellen vor unserm Auge bewegt.« (...)

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