Ausstellungsbesprechungen

Aus der Eröffnungsrede: Meister, Schüler, Meisterschüler: Die Klasse Fleck, Schloss Bonndorf, bis 9. November 2014

Die »Klasse Fleck«. Mit dem Ende der Professur von Ralph Fleck im Sommer 2014 endet nach zehn Jahren der gemeinsame Weg von Meister, Schülern und Meisterschülern. Was er ihnen mitgegeben hat, verrät Günter Baumann in seiner Eröffnungsrede.

(…) Bei Fleck zu Hause begegnet man kaum Bildern von ihm selbst – sehr wohl aber Arbeiten seiner ehemaligen und gegenwärtigen Schüler: Das ist unter engagierten Professoren nichts Außergewöhnliches, spricht aber für sich – ein guter Lehrer misst sich an den Leistungen seiner Schüler. An dieser Stelle will ich ein paar Sätze zum Begriff ›Meisterschüler‹ sagen. Der engen Bedeutung nach ist es ein widersprüchliches Bild, zugleich Meister wie Schüler vereinend. Vergleichbar ist der zuweilen mit auratischem Flair versehene Titel dem des Doktoranden auf der wissenschaftlichen Seite des akademischen Lebens, das heißt: Die Schüler beziehungsweise Studenten haben bereits Ihr Studium absolviert und werden aufgrund ihrer Leistung dadurch ausgezeichnet, dass der Lehrer sich darüber hinaus noch intensiver mit dem anstehenden Werk seiner ehemaligen Zöglinge auseinandersetzt. (…) Ralph Fleck ist nicht der Typ, der seine Meisterrolle ausspielt. Anna Bittersohl, seine Assistentin und Teilnehmerin dieser Ausstellung, rückt das Mysterium um die Meisterei gerade. Einen Einfluss des Lehrers auf ihre Arbeit sieht sie nicht, allenfalls mittelbar: »der Einfluss findet in der ganzen Klasse (Ralph Fleck einbezogen) gleichermaßen statt«. Zwei Dinge werden hier manifest: erstens – Einfluss ist allgegenwärtig, zweitens – er wirkt in beide Richtungen. Bittersohls Kollege Philipp Kummer bestätigt das, der »ehrliche Maler« wisse, dass »schlicht alles, was einen umgibt, beeinflusst«, während der »eitle Maler« immer behaupten würde, »es gäbe keinen Einfluss«.

Einfluss ist also nicht das eigentliche Kriterium. Es ist offensichtlich, dass Ralph Fleck im Umgang miteinander auf unmittelbaren Einfluss verzichtet, im Gegenteil: Es geht ihm um einen ehrlichen Austausch sowohl unter den Kommilitoninnen und Kommilitonen als auch im Austausch zwischen Lehrer und Schüler. »Alles fließt«, so Anna Bittersohl, »auf die eine oder andere Art in die künstlerische Arbeit mit ein und wird in der Ansammlung der verschiedenen Eindrücke zu einem eigenen Bild der Welt«. Sich selber finden, das ist die Maxime, die Ralph Fleck seinen Schülern mit auf den Weg gibt. Das klingt abgebrühter als es ist. Darin steckt schließlich auch eine Unbedingtheit sondergleichen. Was Fleck angeht, muss man sich schon mit Haut und Haaren seiner Zunft verschreiben. Seine Assistentin weiß zu berichten, sie habe noch keinen gesehen, der »köstlicher von dem Bild einer Torte oder leidenschaftlicher von dem Gefühl, beim Malen den Berg wirklich zu besteigen, gesprochen« habe. Beispielhaft hat er Arbeiten in die Ausstellung beigesteuert, die hier keineswegs zufällig hängen. Mir ist es wichtig, darauf einzugehen, weil ich darauf einen eleganteren Schwenk zu den Bildern der Schüler bekomme. Denn eins ist klar: Alle Teilnehmer der Bonndorfer Ausstellung kann ich nicht gebührend würdigen – das würde zu lange dauern …

Da wäre das Werk mit dem Titel »Auster«. In unserem Kontext könnten wir sagen: harte Schale, weicher Kern. So geht das mit dem Begutachten von Schülerarbeiten! (…) Ralph Fleck vermittelt nach außen hin eine Strenge – und innen ist er doch ein lieber Kerl, der alle Positionen gleich wichtig nimmt, sofern sie seine Arbeiten nicht imitieren. So könnte man die Auster hier als Symbol der Meisterklasse deuten. Aber Halt, werden Sie denken, meine Damen und Herren: das ist ja nun nicht das, wofür die Auster bevorzugt steht. Wir wissen natürlich alle, dass die Auster für die Libido grade stehen muss. Das luxusheischende Weichtier, das immerhin auch aus einem Staubkörnchen eine Perle reifen lassen kann, weckt Assoziationen an das weibliche Geschlecht. Was immer in unserer Fantasie abgeht, es ist schon eine gehörige Portion Sinnlichkeit, die von einer Auster ausgeht. Die Kunst daran wäre nun, eine Auster zu malen, die all das ausdrückt: konkret wie abstrakt. Die naturgetreue Darstellung allein kann nicht befriedigend sein. Stellen Sie sich einen Dichter vor, der beispielsweise zu einer Zitrone schreibt: »Die Zitrone ist sauer.« Das ist nicht verkehrt, hat aber mit der Empfindung des Sauren nichts zu tun. Es muss dem Leser bildlich wie sinnlich schon die Wangenpartie nach innen und das Hemd in der Hose zusammenziehen. Was dem Poeten mit Worten gelingen mag, muss dem Maler mit Farben gelingen.

Ralph Fleck ist ein figurativer Maler, der mit pastosem Ungestüm Farbe aufträgt, die – aus einiger Entfernung betrachtet – eine nahezu fotografische Präsenz entwickelt. Um die malerische Wirkung, spirituelle Kraft und sinnliche Ausstrahlung genießen zu können, sollte das Auge schon schwelgen wollen. Fleck gelingt dies wie kaum einem zweiten Maler, dennoch ist es eben dies, was seine Schule ausmacht. Sie merken, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind längst auch bei den Werken der Schüler – obwohl niemand von ihnen auf die Idee gekommen wäre, eine Auster zu malen. Auch das kann ich beim Rundblick über das vielfältige Schaffen der Schüler feststellen, dass hier keine Psychoanalyse gepflegt wird. Fleck ist ja auch nicht als Austernmaler in die Kunstgeschichte geraten, sondern als Maler von – wie erwähnt – Torten und Bergen, auch von Schwarzwälder Schinken und Büchern, Stränden und Städten. Nehmen Sie nur das andere Beispiel des Fleckschen Werks – ein Stadtbild von oben, genau betitelt »Stadtbild 7/IV (Roma)«. Die archivierfähige Aussage steht für die Ernsthaftigkeit der Kunst, auch wenn nicht alles darin bierernst genommen werden muss. Die Stadtbilder sind konkret bestimmbare Viertel der im Titel genannten Städtenamen, aber zugleich können wir sie als mäandernde oder geometrische Muster auch abstrakt lesen.

Ich darf Anna Bittersohl noch einmal zitieren, die angesichts des meisterlichen Vorbilds des Lehrers ein kleines Regelwerk erstellt hat. Als angehender Künstler sollte man folgendes beachten:

(1) ein Bild wie einen Gedanken immer bis zum Ende bringen,
(2) die eigene Vorstellung festigen und auch nach außen vertreten,
(3) sein Tun stets hinterfragen und die Arbeit auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen,
(4) das technische Knowhow als Grundlage der Freiheit begreifen,
(5) nach dem Studium gefestigt in die Welt treten.
Soweit so gut. Die Bandbreite ist enorm, wie mein Verbalgalopp durch die Ausstellung hoffentlich vermitteln kann.

Anna Bittersohl habe ich schon mehrfach erwähnt. Die 1982 geborene Künstlerin, die seit 2010 Flecks Assistentin ist, präsentiert dschungelhaft dichte Naturstücke, nebulöse Reflexe auf Andachtsmotive und eine Tierwelt, welche den Betrachter schmunzeln lassen. Der Illusionsraum ist perfekt, doch macht Bittersohl insbesondere in den schemenhaften Wesen deutlich, dass es um die Peinture geht und nicht um die Vorgabe draußen. Sie erfindet keine Geschichten, und dort, wo sie sich dennoch anbahnen, übernimmt die Fantasie die Regie. Aus traurigem Anlass erwähne ich die Arbeiten, in denen Wrackteile eines Flugzeugs im Wald verstreut liegen. Der Betrachter kann nicht umhin, den aktuellen bestialischen Terrorakt über der Ukraine in ein solches Bild zu legen, doch darf man nicht vergessen: Die Künstlerin nimmt das Motiv als Herausforderung, nicht zusammengehörige Inhalte glaubhaft auf die Leinwand zu bringen – auch dann, wenn der Flugzeugpropeller wie eine Seerose übers Wasser schwebt.

Markus Burkard, Jahrgang 1983, sucht demgegenüber gar kein Naturvorbild, sondern konfrontiert grellbunte abstrakte Versatzstücke, Figuren und konkrete Gegenstände aus dem Erinnerungsfundus aus Film und Werbung über monochromen Hintergründen. Die Schwerkraft ist aufgehoben.

Der 1988 geborene Jan Gemeinhardt ist einer der jüngsten Teilnehmer unsrer Ausstellung, wenn ich es recht gesehen habe. Seine geheimnisvollen Landschaften und figurativen Andeutungen faszinieren in ihrer Reduktion der Mittel. Die Atmosphäre scheint bei ihm wie elektrisiert zu sein.

Parallel dazu könnte man die Arbeiten von Christian Hiegle anführen, der auch Erfahrungen von Johannes Grützke mitbrachte, bevor er zu Fleck überwechselte. Hiegle bringt nicht landschaftliche Detailphänomene auf die Leinwand wie Gemeinhardt, sondern er heroisiert naturhafte Chiffren und banale Gegenstände, indem er ihnen besondere Aufmerksamkeit widmet. Ein Besen ist – rein malerisch gesehen – nicht mehr und nicht weniger als ein Herrscherporträt.

Philipp Kummer, 1979 geboren, greift das Porträt auf, schwenkt aber gelegentlich auch zu einer bittersohlschen Landschaft über. Seine Bildnisse sind in lapidarer Prägnanz und nicht ohne Witz dargestellt. »About a bear« lenkt den Blick ab vom blauhaarigen Mädchen zum roten Gummibärchen zwischen den geöffneten Lippen.

Changmin Lee greift mit seinen Affendarstellungen – bei einer auffallenden Prägung durch die ostasiatische Ikonografie – die europäische Tradition der Primatenmalerei auf, die sich ironisch mit der Stellung des Menschen in der Welt auseinandersetzt. Die Satire entfaltet hier auch kritisches Potenzial.

Eunhui Lee, wie Changmin aus Südkorea, schafft irreal anmutende Situationen, wenn Sie etwa neben eine gut schwäbische Brezel chinesische Essstäbchen legt, wobei der Inhalt weniger schwer wiegt als der faszinierende Dualismus formaler Strukturen. Mit ihren sparsam ausstaffierten Miniaturen beweist Eunhui Humor und eine hohe Sensibilität für Augenblicke optischen Genusses – auch das rote Gummibärchen findet sich auf einem Teller wieder.

Die 1979 geborene Annette Marketsmüller legt ihre Malerei wie Collagen an, deren Motivik aus Zeitschriften wie aus der Werbung, auch aus historischen Quellen bezogen zu sein scheint. Daneben fingiert sie kühne Raumsituationen wie ihr »Wespennest«, dem man gern handgreiflich nahekommen will.

Benjamin Moravec ist der drastischste unter den teilnehmenden Künstlern: entstellte und verletzte Menschen stellt er so schonungslos wie fasziniert zur Schau – so erschafft er ein Panoptiken des Schreckens.

Mit akribischer Neugierde spielt Jochen Pankrath, Jahrgang 1981, Handlungsräume durch für yogareife Bewegungsübungen, aber auch für zweckfreiere Aktivitäten. Die manchmal lolita-like daherkommenden Mädchenfiguren erinnern zuweilen an Arbeiten von Johannes Hüppi, bleiben jedoch der eigenen Bildsprache verhaftet.

Martin Poenicke ist ein Meister der Oberflächenbehandlung, was sowohl auf das Fell von Tieren als auch auf das wohnliche Ambiente zutrifft – am besten dort, wo beides in einer Arbeit zusammenfließt: Es ist eine wahre Lust, dem Grenzverlauf von schwarz glänzendem Hundefell, geblümtem Sitzkissenbezug und Ledersofa zu folgen.

Die 1987 geborene Italienerin Nazzarena Poli-Maramotti arbeitet auf den ersten Blick abstrakt, bis aus der feinsinnigen Malereischicht Menschenleiber und Tiere regelrecht an die Leinwandoberfläche gespült werden. So kommen alptraumhafte Situationen zustande.

Anna-Maria Schönrock erschafft mit stark reduzierten Farbmodulationen plastische Körper auf der Leinwand, die zudem dank der malerischen Nuancen an artifizielle Filmstills erinnern.

Die bereits in Wien entwickelten Arbeiten des 1986 in St. Petersburg geborenen Kiril Schröder fallen durch ihre zeichnerische Qualität auf, die in der Fleck-Klasse eher selten zu sehen ist. Es bleibt ungewiss, ob es sich sogar um Illustrationen für Buchpublikationen handeln könnte.

Ganz singulär ist das zeichnerische Element allerdings auch nicht im Fleck-Kreis. Die Münchnerin Regina Vierbacher, mit Jan Gemeinhardt jüngste im Bonndorfer Bunde, entwirft narrativ-witzige Situationen, brilliert jedoch mit expressiv aufgewühlten Bildnissen, die clowneske Züge tragen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Sauseschritt durch die Ausstellung kann nur kleine Facetten ans Revers des Bewusstseins heften. Versucht man alle Positionen in ihrer Vielfalt zu bündeln, fällt die Auseinandersetzung mit der Bildillusion einerseits und die Betonung der malerischen Eigenständigkeit andrerseits auf. Zu einem großen Teil ist es das Verdienst von Ralph Fleck, dass diese Jungkünstler alle ihren eigenen Stil gefunden haben. Insofern mag die Ausstellung einerseits eine Abschiedsvorstellung des Meisters als Professor sein (…). Aber gemessen an den vielen jungen Talenten kann man genauso gut sagen, es sei eine Initiationsausstellung, bei der wir den frischen Fortgang der figurativ-gegenständlichen Malerei feiern. Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.

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