Ausstellungsbesprechungen

Aus der Eröffnungsrede: Mit Blick auf Krems, Museumkrems, Krems, bis 25. August 2013

Die Städtepartnerschaft Krems - Böblingen feiert ihr 40-jähriges Jubiläum. Und die Kunst ist dabei mit 40 Künstlerinnen und Künstlern aus Böblingen, die ihre Werke im museumkrems präsentieren. Mehr über die Ausstellung verrät Ihnen Günter Baumann in seiner Eröffnungsrede.

(…) »Mit einem gemalten Band« überschrieb Johann Wolfgang Goethe ein Gedicht, das freilich eher die zwischenmenschlichen Bande vor Augen hatte, aber weil sie nun mal »gemalt« sein sollen, will ich den Text hier kurz zitieren:

»Kleine Blumen, kleine Blätter / Streuen mir mit leichter Hand / Gute junge Frühlingsgötter / Tändelnd auf ein luftig Band. / / Zephir, nimms auf deine Flügel, / Schlings um meiner Liebsten Kleid; / Und so tritt sie vor den Spiegel / All in ihrer Munterkeit. / / Sieht mit Rosen sich umgeben, / Selbst wie eine Rose jung. / Einen Blick, geliebtes Leben! / Und ich bin belohnt genung. / / Fühle, was dies Herz empfindet, / Reiche frei mir deine Hand, / Und das Band, das uns verbindet, / Sei kein schwaches Rosenband!«

Oft genug stehen im städtepartnerschaftlichen Austausch kommunalpolitische Interessen im Vordergrund. Die Wege sind dabei wohl recht weit und mühsam: Im Gespräch fällt auf, dass so mancher Kremser seine deutsche Partnerstadt Böblingen nicht kennt (umgekehrt wird es nicht anders sein). Wenn sich aber die Kunst hier einnistet, darf man sich ruhigen Gewissens zurücklehnen: Hier spricht die Kunst. Also will ich sie auch zur Sprache kommen lassen, wenn sie schon so schön in Grußworte gehüllt wird, denen ich kein weiteres hinzufügen will. Apropos eingenistet: Es ist mir eine große Freude, diese Kunst in ihrer Kurzzeit-WG vorzustellen, die die Stadt Krems dem Kunstverein zur Verfügung gestellt hat. Das Bild scheint mir zulässig, handelt es sich doch um die Schlafräume des ehemaligen Klosters. Eine solch wundervolle Herberge für zwei Monate gibt es womöglich kaum sonstwo, weshalb es auch nicht das erste Mal ist, dass die Künstler des Böblinger Landkreises hier sehr gern residieren. Vor über zwanzig Jahren bezogen ihre Arbeiten auch schon das ehemalige Dominikanerkloster, wenn auch noch nicht in diesen traumhaft sanierten Ambiente.

(…) lassen Sie mich bei der Kunst-WG bleiben. Beworben haben sich über 50 Aspiranten. Das bedeutete keine leichte Aufgabe für die dreiköpfige Jury, die eine vielfältige Mischung von Positionen auszuwählen hatte. Sie tat dies, wie ich meine, mit Bravour, da sie gleich auch die Arbeiten bestimmte, die die Ausstellungsräumlichkeiten schmücken würden. Wo die Jury die Option freiließ, eine Serie, die in Teilen vorgesehen war, zu vervollständigen, haben wir ergänzt, soweit es die Räume zuließen. Nun ist die Idee von einer Ausstellung keine Gebrauchsanleitung, sprich – wiederum im Bild der WG – kein fester Belegungsplan. Wie in einer echten Wohngemeinschaft brauchen manche Werke einen größeren Platz, andere verlangen nach einem Raum mit viel Licht, wieder andere kommen mit- und nebeneinander besser aus, manche weniger gut. Alle diese Arbeiten sprechen eine eigene Sprache, was auch heißt, dass man sie am besten so zusammenbringt, dass sie miteinander kommunizieren können. In diesen Räumen gibt es so viele Begegnungen – lassen Sie sich darauf ein: Es sei jedem Besucher überlassen, die Bildfolgen kreuz und quer in inhaltlichen Zusammenhängen zu sehen: den Bogenformen nach, den Raumfluchten entlang, über Räume hinweg. Das verlangt nach einer Bereitschaft, diese Charakterbilder zu verstehen. Als Ausstellungsleiter darf ich verraten, wie spannend es war, sich in diese Bilder über Monate hinweg zu vertiefen. Zugegeben, man ist nicht frei von Willkür, lässt Exponate oftmals aufeinander los, um zu erkennen, dass sie sich nicht vertragen, oder übersieht Annäherungen, die sich im Nachhinein aufdrängen. Das Schöne ist, dass man sich im Entstehungsprozess der Ausstellung allmählich in faszinierende Tiefen ziehen lassen kann, auf die sich der Besucher nur spontan einzulassen die Zeit hat. Letztlich ist eine Gruppenausstellung ein Zweckverband auf Zeit, auch wenn es sich um Arbeiten eines Kunstvereins handelt: Im Unterschied zur Künstlergruppe sind die Ziele jedes Künstlers ganz eigen-artig, die Themen und Techniken so individuell wie die Anzahl der Teilnehmer.

Wenn das Ergebnis so sehenswert ist wie hier, ist das zum einen den Räumen mit all den Durchblicken, mit den authentischen Unregelmäßigkeiten der historisch gefügten Architektur oder mit all diesen interessanten Nischen zu verdanken, was den Arbeiten in jeder Hinsicht zugute kommt. Die Räume haben ihre eigene Dynamik – das stellte für ein Hängeteam eine Herausforderung dar, aber andrerseits bedeutet es die pure Lust, die Schwingungen der außerordentlich lebendigen Architektur in den Bildfolgen aufzugreifen. Die Hilfe seitens des museumkrems will ich hier hervorheben. Die Mitarbeiter standen mit Rat und Tat beiseite: eine Klostermauer bietet dem normierten Nagel andere Widerstände als eine gewöhnliche Betonwand. Ich vermute mal, dass sich die Kunstwerke schnell an diesen Wänden heimisch fühlen werden – doch wer weiß: Vielleicht findet das eine oder andere ein neues Zuhause in der Wachau. Jedes einzelne Exponat ist ein Gruß aus Böblingen und dessen Umgebung. Dass diese sogar bis fast nach Krems reicht, ist Zufall: Mit Ingrid Neuhold ist eine Künstlerin vertreten, die in persona hier in der Gegend heimisch ist.

Die über 70 Arbeiten von 40 Künstlerinnen und Künstlern sind wohl nur ein Ausschnitt dessen, was der Böblinger Kunstverein zu bieten hat, aber die Fülle ist groß genug, um zu erkennen, wie breit der Verein in etwa aufgestellt ist. Ich bin mächtig stolz, im Dienst dieses wunderbaren Kunstvereins zu agieren, an der Seite meiner Vorstandskolleginnen. Nehmen Sie die Gelegenheit wahr, mit den anwesenden Künstlern – es sind rund die Hälfte aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer anwesend – beim gemütlichen Teil des Abends zu plaudern.

Ich komme wieder auf das Bild von der WG zurück. Es ist übrigens keine Frauen-WG, auch wenn Ihnen die Mehrheitsverhältnisse aufgefallen sind: Unter den 40 Künstlern sind nur zehn männliche Teilnehmer. Die Kunst wird weiblich. Es spricht für das Haus, dass wir nicht nur Erstmieter haben. Bereits 1991, als der Böblinger Kunstverein sich hier für wenige Wochen einquartieren durfte, schickten neun Künstler Arbeiten nach Krems, die auch in dieser aktuellen Ausstellung vertreten sind: Karin Allmendinger, Hans Bäurle, Gertrud Buder, Gérard und Linda Krimmel, Klaus Kugler, Ingrid Neuhold, Linde Wallner und Ingrid Zerfaß. Während die einen ihrem Stil treu geblieben sind, wird man die Arbeiten anderer im Vergleich zu den damaligen kaum wiedererkennen. Dabei gilt für die einen wie für die anderen Arbeiten: Sie sind genauso Ausdruck der gegenwärtigen Kunst wie die Werke der Künstler, die 1991 noch zur Schule gingen. Das Haus der Kunst ist immer schon ein Mehrgenerationenhaus gewesen. Und Sie werden staunen, wenn Sie etwa die Farbenpracht in den Gemälden von Hans Bäurle mit der in der Flöten-Installation von Jenny Winter-Stojanovic vergleichen – die Künstlerviten liegen 44 Jahre auseinander, doch wie nah sind sich ganz unterschiedlichen Arbeiten in der unerwarteten Nachbarschaft.

»Mit Blick auf Krems« ist die Ausstellung überschrieben – der Titel war Ansporn, aber kein vorgegebenes Thema. Die Qualität der Arbeiten stand für uns im Vordergrund. Wohl wissend, dass die Bilder einer Ausstellung Quartier in Krems beziehen würden, haben manche Bewerber um einen WG-Platz Bezug auf die Topographie der Alpenrepublik – die Österreicher verzeihen mir diesen vielbeschworenen, aber doch etwas einseitigen Begriff – sowie auf geographische wie regionale und sogar nur auf geologisch verwandte Motive. Aufgenommen wurden Hans Mendlers Donau-Reminiszenzen genauso wie Silke Hemmers Erinnerung an Innsbrucker oder Linzer Tage, die Bergwelt Jürgen Zellers genauso wie die von Ingrid Ritterbusch (auch wenn hier der Himalaya grüßt), auch die Kuh namens Bella von Rosa Baum könnte hier zu Hause sein. Doch unsere Kurzzeitherberge ist freilich viel breiter angelegt. Landschaft und Stadtbild im weiteren europäischen, durchaus realen Sinne bieten Gérard Krimmel, Heidrun Bulling und Karin Allmendinger genauso wie Linde Wallner, die das Thema in der Plastik behandelt – ein sehr seltenes Sujet in der Bildhauerei.

Diesen realen (Stadt-)Landschaften stehen die phantastischen und die abstrakten Landschaften in nichts nach. Inspiriert sind sie von der reinen Imagination, von märchenhaften Motiven oder von der Musik. Hier tun sich Welten auf, die aus der WG eine farbsinfonische Einrichtung machen, deren Phantasie das Museum auch koloristisch in Schwingung versetzt. Ich nenne hier Hans Bäurle und Almut Gunia, Heide Welfonder, Hildegard Niedermeier und Petra Bäuerle, auch In-Soon Grobholz und Cornelia Scheiwein-Luley.

Berührt hier schon die eine oder andere landschaftliche Assoziation seelische Innenbereiche, ist auch das Interieurbild als Thema in meinem Bild der temporären Wohngemeinschaft zwar unmittelbar WG-tauglich, aber in der Regel nichts anderes als ein Seelenspiegel. Ob Atelierbild oder skurriler Innenraum, ob Einrichtungsgegenstände oder Gefäße, der Weg führt nach innen: Hierzu gehören die Bilder von Silke Hemmer und Rita Reusch oder Brigitte Nowatzke-Kraft, genauso wie die Arbeiten von Klaus Behringer, Gertrud Buder und Ingrid Zerfaß. Wo Räume imaginiert oder eingerichtet erscheinen, ist der Mensch nicht weit. Nimmt man noch die Tiere als treue Begleiter des Menschen dazu, ist unsre Temporär-WG bevölkert von einer durchaus illustren Gesellschaft mythischer wie literarischer, geheimnisvoller wie nebulöser Herkunft. Diese erkennen wir in Arbeiten von Carola von Gera, Agnes Schmidt-Schöne, Klaus Kugler und Jürgen Klug-mann. Die Fauna bei Heide-Grit Sauer folgt menschlichen Spuren, wenn sie nicht selbst menschelt wie bei Claudia Fischer-Walter. Als Zeugin menschlicher Herkunft ist wesentlich auch die Schrift zu erwähnen, die uns in Werken von Rea Siegel Ketros und Gesine Hensler begegnet, und den Weg vom Schriftsystem zum abstrakten Zeichen ist ohnehin sehr kurz – und man landet bei den graphischen Arbeiten von Christel Friedmann und der Bindfadenskriptur von Andreas Naß.

Die Wohngemeinschaft in Krems wird vervollkommnet durch Plastiken und Objekte, die die Nischen zieren, die sich in anderen Winkeln an die Architektur schmiegen oder die sich ihren Platz frei im Raum suchen. Mit viel Witz und gewitztem Verstand beleben die Arbeiten von Linda Krimmel und Stephanie Brachtl die Etage, während Jenny Winters ironische Installationen doppelbödig sind wie auch der Titel ihrer Arbeiten. Die abstrahierte und abstrakte Bildhauerei präsentiert sich trotz vorwiegend reduzierter Formen in aller Vielfalt, die sich einmal in menschlichen Bezügen zeigt wie in den Stahlarbeiten von Stefan Faas, ein anderes Mal in federleichten Papier- und Fruchtstand-Objekten von Wilhelm Morat und Hannelore Weitbrecht, oder in den zerbrechlichen Porzellan- bzw. Keramik-Arbeiten von Ingrid Neuhold und Linde Wallner, und nicht zuletzt in den elementaren Holzskulpturen von Susanne Gaspar und Vera Reschke – oder dem »Donauwesen« von Hans Mendler.

(…) Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Band wäre geknüpft: Seit gestern sind die Arbeiten des Böblinger Kunstvereins in diesem Kremser Haus für moderne Kunst eingezogen. Das Wohnverhältnis währt nur zwei Monate, aber ich bin überzeugt, es wird nicht die letzte Gelegenheit sein, dass sich der Böblinger Kunstverein in Krems nach einer Bleibe umschaut. Wer weiß: es sind keine zehn Jahre hin, bis die Städtepartnerschaft ihr 50jähriges Bestehen feiert. Doch das ist Zukunftsmusik – jetzt ist erst einmal die Ausstellung zum 40. dran, dann sehen wir weiter. Wie schrieb doch Johann Wolfgang Goethe in dem eingangs zitierten Gedicht zum »gemalten Band«: »Und das Band, das uns verbindet, / Sei kein schwaches Rosenband!«

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