Ausstellungsbesprechungen

Aus der Eröffnungsrede: Neue Gruppe - Unterwegs, Kulturzentrum Zehntscheuer Rottenburg am Neckar, bis 13. November 2011

Die "Neue Gruppe" ist ein Zusammenschluss bildender Künstler aus allen Disziplinen und durch die Ausstellungsleitung Große Kunstausstellung München eng mit dem Haus der Kunst verbunden. 2005 wurde beschlossen, mit dem Projekt "Neue Gruppe – Unterwegs" die Ausstellungstätigkeit über das Haus der Kunst hinaus zu erweitern mit Arbeiten, die das breite Spektrum der Gruppe repräsentieren in kleineren Bildformaten und entsprechend dimensionierten Kleinplastiken. Lesen Sie hier einen Auszug aus der Eröffnungsrede von Günter Baumann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich zur Eröffnung der Ausstellung über die NEUE GRUPPE: Sie werden sehen, die Gruppe ist nicht ganz neu, aber höchst lebendig, womit ich auch schon in medias res und beim Faktum bin, mit dem ich Sie etwas nervös machen könnte: Eine Gruppe besteht natürlicherweise aus Individuen, zu sehen bekommen Sie heute konkret 62 davon (wenn ich mich nicht verzählt habe). Liebe Leut’: Die Statistik kann grausam sein. Für gewöhnlich kann man die Zuhörer einer Laudatio auf einen Künstler gut und gern 20, 25 Minuten bei Laune halten.

Sie werden mir zugeben, meine Damen und Herren, verdient haben diese Maler, Graphiker und Bildhauer diese Ehrung allemal, also nichts für ungut – macht summa summarum zwischen 1240 und 1550 Minuten, na: viel Vergnügen: bis morgen Abend sind wir auch fertig. Nun sehe ich ein, so komme ich nicht durch. Drehe ich aber den Spieß um und passe die Teilnehmer dieser Bilderschau ins zeitliche Korsett der Verträglichkeit, könnte ich jeder dieser Persönlichkeiten noch 20 Sekunden widmen. Das erinnerte dann, womöglich mit getragenem Unterton vorgetragen, an das Verlesen von Namen ehren- oder gedächtnishalber. Gott bewahre, wie gesagt: Es geht um die Werkschau einer lebendigen Schar von Kunsttreibenden, die sich einem gemeinsamen Ziel verbunden fühlt, das sich allein in der Qualität definieren lässt. Und nun steht dieser Eröffnungsredner vor Ihnen und quatscht rum. Dabei fließt die kostbare Zeit dahin. Andrerseits: Den Verlautbarungen der Zunft nach zählt die NEUE GRUPPE zur Zeit knapp 100 Mitglieder, nimmt man die sogenannten Ehemaligen hinzu, die Sie im Flyer nachzählen können, vervielfacht sich die Namensparade zur kleinen Kunstgeschichte der Moderne. Sie werden angesichts der zu erwartenden Redezeit nun vielleicht denken: Ist das jetzt ein Segen oder eine Drohung, doch keine Sorge: am heiligen Sonntag will ich keinen Stress machen, weshalb ich mir die Zeit nehme und noch einmal von vorn beginne, nicht ohne mich bei Frau Kächele vom hiesigen Kulturverein Zehntscheuer e.V. für die Einladung zu bedanken, heute hier sprechen zu dürfen. Und verzeihen Sie mir, wenn ich den zeitlichen Rahmen von 25 Minuten geringfügig überziehe, sehr frei nach dem Motto: Stunden später...

Liebe Künstlerinnen und Künstler, die anwesenden wie die abwesenden, die uns mit ihrem Beitrag eine volle Zehntscheuer bescheren, spekulativ auch Sie, geneigte Künstlerkollegen, die heute da sind, obwohl hier keine Arbeiten von ihnen ausgestellt sind, ich grüße Sie von Herzen. Seien Sie mir nicht gram, wenn ich Sie salopp als Gruppe anspreche. Ich will mich bemühen, den einen oder anderen Namen in die Runde zu werfen, stellvertretend für die Werkliste, die ich Ihnen, meine Damen und Herren, zur gründlichen Nachlektüre empfehle, vor allem auch wegen der Preisangaben – vergessen Sie nicht: Weihnachten naht, auch wenn Sie vor kurzem noch mit der Badehose auf dem Balkon sitzen konnten, seit vorgestern wissen wir – es geht auch kälter. Und Sie wissen auch, Aktien sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Die Kunst, die Sie hier zu sehen bekommen, hält immer, was sie verspricht. Man sollte Kunst über den ästhetischen Genuss hinaus auch als Wertanlage betrachten. Wie Sie den Informationen der Einladung entnehmen können und worauf bereits Günther Burkart, der Schriftführer dieses Kulturvereins, hingewiesen hat, geht es um eine Art Wanderausstellung, die seit 2005 durch das Land tingelt. Glauben Sie aber nicht, sie würden diese Bilderkarawane ausdünnen, wenn sie zugreifen sollten – der Nachschub ist, so denke ich, gesichert. Und wann hat man schon die wundervolle Qual der Wahl, unter rund 60 Positionen der Kunst seinen Favoriten herauszufinden?

Diese Ausstellung ist mit »NEUE GRUPPE« überschrieben, ein Titel, der nach einer Erklärung verlangt, liest man zudem im leicht irritierenden Untertitel »Haus der Kunst München unterwegs«. Wir haben gehört, dass die Gruppe auf das Jahr 1946 zurückgeht, zudem aber auch eine Vorgeschichte hat, die ins 19. Jahrhundert zurückführt. Bereits 1891 kam es anlässlich der Internationalen Jahresausstellung der Künstlergenossenschaft zu einer Auseinandersetzung mit fortschrittlich gesinnten Künstlern, die sich 1892 als Münchner Secession abspalteten – die Wiener und Berliner Secessionen werden später diesem Beispiel folgen. Die Devise lautete: »Wir wollen wahre Kunst von jeder Richtung pflegen.« Ein Jahr später trennte sich eine weitere Gruppe ab, die statuten- und juryfreie, sogenannte »Freie Vereinigung«, die die modernsten Stilrichtungen anlockte. Die zeitgenössische Kritik schrie wie üblich auf, aber es war auch zu lesen, die Ausstellungen seien »verblüffend harmonisch, innerlich reich an künstlerischer Offenbarung«, man glaubte gar »ein Orchester zu vernehmen, in dem lauter Solisten mitwirkten«.

Sehen Sie sich um: Dieses vielstimmige Solistenprinzip, das moderne Kunst in der Breitenwirkung erst möglich macht, prägt offenbar noch heute die Vielfalt der NEUEN GRUPPE, zu der ich gleich zurückkomme. Lassen Sie mich noch ein bedeutungsschweres Wort zur orchestralen Wirkung in Zeiten des künstlerischen Individualismus zitieren. Sie werden sich vielleicht wundern, dass die Künstlerkolonie von Worpswede, an die ich erinnere, just in diesen Münchner Secessionskreisen erstmals nationale öffentliche Anerkennung fand. Man weiß heute, dass die Gemeinschaft um Mackensen, Modersohn, Becker & Co. keineswegs ein Herz und eine Seele war. Der Dichter Rainer Maria Rilke charakterisierte deren Auftreten im disharmonischen Gleichklang so: »Vielleicht ist das alle Gemeinsamkeit: in Begegnungen zu wachsen. Auf weitem Weg, dessen Ende keiner absehen konnte, kamen wir zu diesem Augenblick der Ewigkeit.« Keine Manifeste sind gefragt, sondern die Begegnung; keine akademische Salonideologie, sondern freie Entfaltung der Kunst.

Vornehm ausgedrückt heißt das bei Rilke:

Zu solchen Stunden gehen wir also hin
und gehen jahrelang zu solchen Stunden,
auf einmal ist ein Horchender gefunden –
und alle Worte haben Sinn …

Dann kommt das Schweigen, das wir lang erwarten,
kommt wie die Nacht, von großen Sternen breit:
zwei Menschen wachsen wie im selben Garten,
und dieser Garten ist nicht in der Zeit.

Und wenn die beiden gleich darauf sich trennen,
beim ersten Wort ist jeder schon allein,
sie werden lächeln und sich kaum erkennen,
aber sie werden beide größer sein …

Ich mache einen Sprung von rund 50 Jahren, zur Geburtsstunde der NEUEN GRUPPE. Im Zeitraffertempo ziehe ich noch den Münchner Glaspalast hoch, der ein imposantes Forum für die Großen Kunstausstellungen bot, wo auch die Secession teilhatte. Nachdem dieser 1931 niederbrannte, scheiterte der Wiederaufbau an der Machtergreifung der Nazis, die stattdessen 1937 das Haus der Kunst errichteten und bekanntlich die freie Existenz der Kunst zunichte machte: Die Secession war tot, aber sie überlebte den perversen Zeitgeist und erstand nach 1945 neu. Zugleich formierte sich die NEUE GRUPPE, die ein Jahr nach der Gründung 1946 ihre erste Gruppenausstellung abhielt.

Im Begleitwort der Katalogbroschüre heißt es: »Die NEUE GRUPPE ist im Gegensatz zu ähnlichen Vereinigungen der Zeit vor 1933 nicht der Ausdruck einer bestimmten Richtung, da nach unserer Meinung sich solche an einseitige Kunstdoktrin gebundene Zusammenschlüsse überlebt haben. Ihre Absicht ist eine starke, eigenwillige Individualitäten zu vertreten, ganz gleich, ob diese an die formalen Ergebnisse des Expressionismus anknüpfen, sich einer abstrakten oder halbabstrakten Formensprache bedienen oder ob sie sich wie die Surrealisten und Neoklassizisten einer neuen Gegenständlichkeit zuwenden.«

Heute schlendern wir wie selbstverständlich in ein und derselben Ausstellung an den geometrischen Bildern von Inge Jacobsen oder Ingo Glass entlang zu realistischen Positionen wie dem Frauenakt von Silke Mathe oder der Melonenscheibe von Dieter Kraemer, in die man am liebsten hineinbeißen möchte, wenn da nicht die Fliege säße, oder (wenn Sie sich den Weg weiter auf der anderen Wandseite vor Augen führen) zur gestischen Abstraktion von Petra Amerell und zur gegenständlichen Expression im Drachentöter von Helmut Rieger, um fast am Ende dem magisch-hyperrealen Sturzflug-Vogel von Peter Nagel zu begegnen. In den späten 1940er Jahren war das eine gewagte tour de force. Wo sich damals Anhänger eines Willi Baumeister und Verehrer eines Karl Hofer verbale Grabenkriege führten, wo die gegenstandslose und die figurative Kunst unvereinbar gegenüberstanden, trat in München das Unmögliche ein: Die Gründungsmitglieder der NEUEN GRUPPE gehörten beiden Lagern an. Sie finden sowohl Baumeister als auch Hofer in der Liste der Ehemaligen.

Freilich, nach 1945 fallen in den Präsentationen der Gruppe zunächst die traumatischen Verarbeitungsmotive der Nachkriegszeit auf, dann dominiert auch hier der befreiende Geist der Abstraktion; aber den Stilpluralismus zum Programm zu erheben, war zukunftsweisend und keineswegs selbstverständlich in einer Zeit, in der sich die Menschen erst noch mit der pluralistisch-demokratischen Kultur anfreunden mussten. »Und nun dieses heute noch ärmliche Geschöpf, dieses Wesen Demokratie«, meinte Karl Hofer 1947, »nein, sie hat … wenig Verführerisches, Bestechendes, fast ist sie noch ein Kind. Darum aber sollt ihr sie trotzdem lieben wie eine Schwester, die auch eures Schutzes bedarf«. Es ist die Zeit, in der sich ohne den Zwang von Manifesten Künstlergruppen wie »Der Kreis« in Nürnberg oder »Die Freunde« in Stuttgart und Literatengruppen wie die »Gruppe 47« bildeten.

Als sich diese Demokratie in der Kinderstube eingerichtet hatte, schlossen sich in München die neubegründete Münchner Secession, die erneuerte Münchner Künstlergenossenschaft – die älteste Vereinigung freischaffender Künstler in Bayern – und die NEUE GRUPPE zusammen, die ab 1949 fortan in ihren jährlichen Überblicksausstellungen das künstlerische Schaffen der Republik präsentierten. Als Ort der Großen Kunstausstellungen wurde das Haus der Kunst auserkoren – ein kleiner Triumph über Hitlers Unkulturpolitik und ein Bekenntnis zur sogenannten Entarteten Kunst, die an diesem Ort ihre ärgste Demütigung erfahren hatte.

Zur ersten Ausstellung des Dreierverbandes wurden 3000 Arbeiten eingereicht und pro Gruppe rund 250 Werke ausgewählt. Hatten die beiden anderen Gruppen vierzehn beziehungsweise elf Juroren, hielt es die NEUE GRUPPE unter ihrem ersten Präsidenten Adolf Hartmann basisdemokratisch, das heißt, alle Mitglieder entschieden mit, so berichtet Peter A. Ade, der ehemalige Leiter des Haues der Kunst. Mein lieber Scholli, was muss das für eine hohe Streitkultur gewesen sein! Darüber schweigen jedoch die Geschichtsbücher. Kurz und gut: Damals bestaunten die Besucher, die hungrig an Leib und Seele waren, also etwa 750 Arbeiten. Das lässt mich die eingangs geäußerte Sorge über die Fülle der Positionen in unserer Ausstellung relativieren. Sie ist dagegen – auch in dem schönen historischen Ambiente der Zehntscheuer – schon fast heimelig.

Ich erzähle das alles nicht aus nostalgischen Gründen. Es wird schon so sein, dass es in der 60jährigen Geschichte einer Künstlergruppe Höhen und Tiefen gibt, und Klangvielfalt entgleist auch zuweilen in Kakophonie – zumal wenn unter dem Druck der härter gewordenen Leistungsgesellschaft die Bereitschaft nachlässt, ehrenamtliche Funktionen zu übernehmen –; es mag sein, dass der Anspruch, ohne manifeste Leitidee auszukommen, die Gefahr in sich birgt, die Konturen aus dem Blick zu verlieren – zumal wenn auch der Stellenwert der Kunst durch die schwindende Fähigkeit und Bereitschaft zur Kommunikation sowie durch die Aufweichung der politischen Kultur bedroht ist. Misstrauisch sollte man gegenüber Märkten oder vermeintlichen Meinungsmachern sein, die einem weißmachen, sie wüssten, wo es langgeht. Misstrauisch sollten wir aber auch sein gegenüber einer wertfreien oder gar -feindlichen Spaßkultur, die jedem Quatsch anhängt, der genügend Fun bringt. Es steht mir fern, hier eben mal gesellschaftliche Probleme aufzuwerfen. Aber ich projiziere diese Fragen auf die institutionelle Einheit der NEUEN GRUPPE.

Die Ernsthaftigkeit und das Gleichheitsprinzip – keine schlechten Fundamente im gesellschaftlichen Miteinander – gehören nach wie vor zum Selbstverständnis der NEUEN GRUPPE. »Die NEUE GRUPPE«, so heißt es nüchtern in den Statuten, »ist ein Verband, dem … bildende Künstler verschiedener Sparten angehören. Mindestens einmal im Jahr findet eine Mitglieder-Vollversammlung statt, in der ein Arbeitsausschuss gewählt wird, der neben dem Vorstand aus weiteren zehn Mitgliedern besteht. Der Arbeitsausschuss ergreift Initiativen und betreut die laufenden Projekte. Die Mitglieder-Versammlung wählt alle drei Jahre auch den Vorstand, der die NEUE GRUPPE leitet, Impulse gibt für das Jahresprogramm und den Verband nach Außen hin vertritt.« Meine Damen und Herren, wir sind die Nutznießer einer gewissen Notsituation, in der sich die NEUE GRUPPE vor wenigen Jahren dazu entschloss, auf Reisen zu gehen, um auf sich aufmerksam zu machen. Künstlergruppen stehen heute weniger auf der Sonnenseite öffentlicher Wahrnehmung als vor 50 oder 100 Jahren. Doch offen gestanden: ich bin froh, dass es diese Gruppe gibt, die uns daran erinnert, wie vielfältig die Kunst ist, wie gut es tut, anspruchsvolle Kunst zu sehen, und wie wichtig es ist, dass die Kunst eine feste Bleibe hat im großen Haus unserer Gesellschaft – und nicht nur im Haus der Kunst, im konkreten wie im übertragenen Sinn.

Ich habe bereits mein mea culpa verlauten lassen, dass ich nicht auf über 60 Künstler eingehen kann, denen Sie hier begegnen: Entweder ist das Reden über sie zu viel oder zu wenig. Jede einzelne Teilnehmerin, jeder Teilnehmer hat es verdient, dass man die jeweiligen Lebensläufe, Hintergründe, Entwicklungen und natürlich die Exponate selbst bespricht. Wie gesagt, das übersteigt jedes Maß.

Andrerseits kann ich meine Faszination nicht ganz zügeln und will doch gegen Ende meiner Ausführungen persönlich werden. Die Inszenierung ist perfekt. Gerade eine Wanderausstellung sieht sich bei jeder Station einer neuen räumlichen Situation gegenüber – zudem kann man alles auch immer anders denken. Hier sei erwähnt, dass diese Wanderausstellung insgesamt von Wolfgang Dietz betreut wird, der hier auch selbst mit einem grundfarbenbunten Schablonendruck vertreten ist. Überragend ist auch das Engagement des Künstlers Voré; von 2006 bis 2009 Präsident der NEUEN GRUPPE, der die Schau seit Jahren tatkräftig begleitet.

Am einfachsten wäre wohl eine alphabetische Ordnung gewesen, warum auch nicht: Die näherungsweise genormten, vorgegebenen Maße der Arbeiten hätten das gut ermöglicht. In zufälliger Rhythmik stünden dann aber alle Einzelpositionen für sich neben anderen. An die konkrete Papiercollage von Klaus Joachim Albert, dem es genügt, mit einem dezenten roten Strich Raum zu erzeugen, schlösse sich die flammende Ölkreide-Arbeit von Petra Amerell an, gefolgt von dem geometrisch-abstrakten Moosgummidruck von Yvonne Bosl usw., am Ende würden wir von den »Herzinnenräumen« von Gabriele Stolz, einer Mischtechnikmontage aus Aquarell, Zeichnung und Radierung, sowie einer ägyptisierend-sinnlichen Arbeit auf Papier von Voré und einem wiederum konkret-abstrakten Acrylbild von Bernd Weber verabschiedet.

Sie haben längst gesehen, dass es auch spannender geht: In Bildgruppen von drei, vier Arbeiten entstehen hier inhaltlich, formal oder technisch verbindliche Strukturen, die untereinander dialogisch in Kontakt sind. Die Beispiele der konkreten Kunst hier um mich herum habe ich schon erwähnt, in wahren Betrachtungs-Inseln entdecken Sie mal figurative Szenen, mal naturnahe, ja landschaftliche Motive; mal sind Aquarell- und Pastellfarbzeichnungen, mal reine Zeichnungen und mal fotografisch-digitale Arbeiten vereint; mal begegnen Sie konzeptionellen, mal gestischen Werken.

Heike Kächele vom Kulturverein sagte mir, die Ausstellung sei mit vereinten Kräften relativ rasch zu hängen gewesen, was man gerne glauben mag, zumindest haben sich da ersichtlich Bilder jeweils gesucht und gefunden. Alles ist stimmig, was auch für die Plastiken zutrifft, die ich noch gar nicht erwähnt habe – auch sie sind gruppenweise in einem dynamischen Gedankenstrom miteinander verbunden. Dass jedoch nicht billig zusammengefügt wurde, was zusammengehört, zeigt die Denkerplastik von Joachim Palm, überschrieben als »Kopf«, der auch als zeichnerische Mischtechnik-Version ganz woanders wieder auftaucht. Nur mit dem Bild »Ultramaringelb« von Michael Eckle hätte es, so Heike Kächele, mit dem Begegnungsprinzip gar nicht so recht geklappt. In der Tat: Da vorne sehen Sie das pigmentstrotzende gelbe Gemälde auf Papier, formal ganz reduziert auf ein kleines Rechteck auf dem leuchtfarbengelben Grund, und doch von einer solchen Ausstrahlung, dass das Blatt kein anderes Bild neben sich duldet und eine kleine Solo-Show bekommt.

Auch das gehört dazu, ist Ausdruck der individuellen Freiheit: Kunst kann man nicht einfach so zurechtbiegen. Dass Sie mich nicht missverstehen – die gebündelten Arbeiten, die alle ganz eigenen Bild- und Weltentwürfen entstammen, lassen sich nicht einfach so pärchenweise aneinanderreihen. Nehmen wir etwa das Landschaftsmotiv heraus, liegen Welten zwischen den Bildern: Die zwei mit Tuschepinsel gezeichneten Palmen von Ernst Ludwig Heckelmann stehen in durchaus spannungsreicher Konkurrenz zu der konzeptuellen Kopflandschaft Andreas Grunerts oder dem pastos aufgeworfenen Naturbild Harry Meyers, zu schweigen vom »Großen Gehör« von Tom Kristen, wo zwei Blumentöpfe die naturhaften Chiffren in einem irrealen Naturbild bilden. Sie können die Ausstellung mehrfach besuchen und ich bin überzeugt, dass Sie jedes Mal neue Beziehungs- und Reibungsmomente entdecken werden.

Ich bitte noch um ein wenig Geduld, meine sehr geehrten Damen und Herren: Ich nutze die Gelegenheit, wenigstens ein paar gegebene Anlässe zum Feiern herauszugreifen. Immerhin haben wir einige runde Geburtstage im Jahr 2011 zu verzeichnen. Helmut Rieger, geboren 1931, ist 80 Jahre jung – von Ihm stammt der »Drachentöter«, ein Acrylbild, auf dem ein bunter Ritter mit dem käferartigen Ungeheuer im tödlichen oder spielerischen Zweikampf liegt, je nach Betrachterwille: Das Bild lässt offen, ob der Clinch existenziell bedrohlich oder eher tänzerisch-komisch ausgeht. Zum 70. Geburtstag kann man gleich mehrfach gratulieren: 1941 sind geboren Peter Dietz, der mit einer zur zartgrauen Flächenschraffur verdichteten Zeichnung vertreten ist, in nächster Nähe trifft er auf Voré, der mit einem Sandsteinfragment und einer Papierarbeit auf sein fulminantes, prozessualen Werks verweist. Die gleichaltrigen Peter Nagel und Ingo Glass machen in ihren schon genannten Arbeiten – einem hyperrealistisch dargestellten Vogel hier, einer geometrisch-abstrakten Form dort – deutlich, dass man innerhalb einer Generation bestens gegensätzliche Positionen vertreten kann. Wir sind in der glücklichen Lage, dass die Rivalitäten zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit längst überwunden wurden.

Auch Michael Eckle mit seinem exponierten Leuchtfarbenbild ist mit seinen 60 Jahren einer der Jubilare. Bettina von Haaren, die begnadete Zeichnerin, hat den rundesten aller diesjährigen Geburtstage, den ich aber galant verschweige, obwohl es gerade geschlechtsbezogen in der NEUEN GRUPPE keines Minderheitenschutzes und keiner spezifischen Etikette bedarf. Dass ich hier nur eine Frau nennen kann, ist Zufall: Immerhin 21 der 62 hier mit Arbeiten vertretenen Künstler sind – nebenbei bemerkt – weiblich, womit das Geschlechterverhältnis zwar jenseits einer erzwungenen Quote, aber wohl oberhalb der Norm liegt; wahrscheinlich müssen Sie auf Gruppenausstellungen für gewöhnlich lange suchen, um da gleichzuziehen. Ich kann an dieser Stelle eine Personalie nachtragen, die eine bisherige Männerdomäne aufbricht: Aktuell hat die NEUE GRUPPE eine Chefin: Hilde Seyboth, die hier mit einer Copy-Art-Arbeit die jüngeren Medien vertritt. Doch zurück zu den Jubilaren, ein Mann noch: Bodo Rott feiert gerademal seinen 40., von ihm ist der aquarellierte Apfelesser, der keck provokant in die symbolträchtige Frucht beißt.

Wer weitere Anlässe zum Jubilieren sucht, kann dies gerne tun: Reinhard Fritz, von 1996 bis 1999 Präsident der Gruppe, wurde 2011 zum Ehrenmitglied ernannt – von ihm ist die auf Bütten gemalte Hand nahe dem Eingang, zu der hinauf eine perspektivisch sich verjüngende Leiter führt. Mittels eines scheinbar einfachen Formenrepertoires gelingen Fritz tiefgründige Chiffren für unser Leben. Hans Friedrich folgte ihm übrigens als Präsident, der er von 1999 bis 2006 war (mit Voré sind also – neben Hilde Seyboth – drei ehemalige Präsidenten hier würdig vertreten). Friedrich stellt dieses hinreißende Augentäuschungsbild zur Verfügung, auf dem ein rotes und ein blaues Quadrat durch ein perspektivräumlich gemaltes graues Zwischenstück so verbunden ist, dass man meint, ein plastisches Objekt vor sich zu sehen ist.

Der bereits genannte Rumäniendeutsche Ingo Glass, der nicht nur Bildender Künstler, sondern auch ein über Constantin Brancusi promovierter Kunsthistoriker ist, erhielt in diesem Jahr das »Ritterkreuz« des Verdienstordens der Republik Ungarn. Sybille Hochreiter, die mit ihren atemberaubenden Streifenbildern räumlich-optischen Strukturen nachspürt, bekam 2011 den leider wenig bekannten, aber sehr feinen Seerosenpreis zuerkannt, jene Münchner Auszeichnung, die Hans-Jochen Vogel als OB 1962 gestiftet hatte. Unter den früheren Preisträgern dieses Preises sind hier auch wiederum Hans Friedrich, Reinhard Fritz, Ingo Glass und Gabriele Stolz zu nennen.

Ich gebe zu, es muss kein Geburtstag und keine Auszeichnung sein, um hier ins Schwärmen zu verfallen. Wie gern würde ich den Grandseigneur der Kunst, Albrecht von Hancke, ausführlich würdigen, um zu verhindern, dass der hastige Besucher an seiner mit flüchtigem Strich hingeworfenen Naturimpression »Rauhes Wetter« vorbeigeht. Nach etlichen Gesprächen mit Konrad Hummel kann ich es mir persönlich nicht verkneifen, seine musikalisch inspirierten Räume hervorzuheben. Auch sollte man die medialen Arbeiten nicht übergehen wie die digitalen Collagen von Hertha Miessner. Neue Zeiten erfinden sich neue Techniken. Ach, und was die Plastik angeht, darf ich gestehen, dass ich in sprachlose Bewunderung verfalle, wenn ein Künstler wie Yoshimi Hashimoto mit einem Stück Acrylglas auskommt, um den Blick aufs Meer zu imaginieren. Das Bild muss mir nun genügen.

Meine Damen und Herren, die NEUE GRUPPE ist ein traditionsreicher Verband, dessen Geschichte die Entwicklung unserer Republik begleitet hat und begleitet; insofern steht die Gruppe mitten im Leben. Durchströmt von allen erdenklichen Stilen, legen deren Mitglieder den Spiegel vor die vielschichtige Gesellschaft. Ein netter, aber bezeichnender Zufall ist es, dass der älteste Teilnehmer dieser Ausstellung, Hans Dumler, geboren 1922, ganz nah bei der Jüngsten im Bunde, Mona Hakimi-Schüler, geboren 1977, zu finden ist: Dumler mit einem fünffarbigen Linoldruck einer »Frau«, Hakimi-Schüler mit einer collagierten Buntstiftzeichnung aus der Serie »Visionen«. Bei einem solchen Titel will ich denn mit allerhand Wünschen für den Fortbestand der NEUEN GRUPPE tatsächlich die Segel streichen. Diese Schau hat durchaus den Stoff, aus dem ungeschriebene Bücher sind, einige Seiten daraus durfte ich aufblättern.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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