Ausstellungsbesprechungen

Aus der Eröffnungsrede: Thorsten Hallscheidt - Widerschein, Galerie 14–1, Stuttgart, bis 22. Januar 2011

In seinen Arbeiten erforscht Thorsten Hallscheidt die Bedingungen der Wahrnehmung im Spannungsfeld zwischen Alltäglichem und dessen medial gewandelten Abbild. Lesen Sie hier einen Auszug aus der Eröffnungsrede von Günter Baumann.

»(Diese Ausstellung) ist einem Künstler, Thorsten Hallscheidt, gewidmet, der uns zwei große Installationen präsentiert, jeweils Videoprojektionen in Verbindung einmal mit verkohlten Bäumen sowie Zeichnungen, die losgelöst von den Installationen betrachtet werden können. Die andere, stakkatogleich taktende Videoprojektion wird an den Wänden begleitet von pigmentiertem Büttenpapier sowie 100 Ausdrucken. Der unweigerlich kontemplative Zugang, die Schwarzweiß-Präsentation und die Brandreste der Bäume versetzen den Betrachter in eine ernste Verfasstheit, die bei manchen noch verstärkt werden durch den wenig erhellenden Begleittext der Galerie-Ankündigung. Dort verweist der Künstler auf Arthur Schopenhauers Abhandlung ›Von der vierfachen Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde‹, die er zur Lektüre empfiehlt. Irritierend sind die begleitenden Formulierungen, Schopenhauers Gewährsmann Immanuel Kant könne hier mit seiner ›Kritik der reinen Vernunft‹ übergangen werden – mit einem Federstrich erspart Hallscheidt uns rund 1000 Reclamseiten –, gefolgt von einer Wettermeldung für den Ortenaukreis, und schon der Hinweis, dass eine englische Gruppe den Hörern nahe legt, ihre Musikvideos ohne Bilder anzuhören, macht einen stutzig. Ohne Ironie ist dieser vieldeutige, fast allein surreal tragfähige Text kaum von Nutzen. So darf man auch davon ausgehen, dass eine gehobene Portion Ironie auch in das Werk Thorsten Hallscheidt eingeflossen ist. (…) Wir dürfen also als Betrachter beherzt auf die Arbeiten zugehen – sie sind keineswegs so abweisend wie sie scheinen.

Was hat es nun mit Schopenhauer auf sich? Er ist tatsächlich der Dreh- und Angelpunkt der Installationen. Die epochale Erkenntnis des Philosophen, der von 1788 bis 1860 lebte, ist verkürzt: Die Welt der Dinge, sprich all unserer Wahrnehmung inklusive der Natur ist ganz und gar Vorstellung, das heißt Objekt für ein wahrnehmendes, denkendes Subjekt. Der Raum und die Zeit sind subjektive Größen. Wäre da nicht unser Ich, hätten wir keine Verbindung zu dem, was außer uns ist: Das Ich ist für Schopenhauer zweierlei, einmal selbst der wahrgenommene eigene Leib, also auch nur eine Vorstellung innerhalb der Raum-Zeit-Welt, zum anderen aber ein raumloses und überzeitliches, folglich freies Wesen, das Schopenhauer den Willen nennt. Sein überschwängliches Eintreten für die indische Literatur der Upanischaden als eine der Grundlagen des Buddhismus machte Schopenhauer zum Mittelsmann zwischen der Religion Asiens und dem europäischen Denken. In der Tat hat sich Schopenhauer, der die moderne Erkenntnistheorie vorwegnahm, sich gern der Formulierung »Wir Buddhisten« bedient. Im Grunde pessimistischer als die Romantiker, finden wir die Thesen im Existentialismus wieder. Albert Camus, auf den sich auch Hallscheidt explizit bezieht, sprach in seinem berühmten Werk zum Mythos vom Sisyphos von der ›Wahrnehmung, dass die Welt dicht ist, die Ahnung, wie sehr ein Stein fremd ist, undurchdringbar für uns, und mit welcher Intensität die Natur oder die Landschaft uns verneint. … Eine Sekunde lang verstehen wir die Welt nicht mehr: jahrhundertelang haben wir in ihr nur die Bilder und Gestalten gesehen, die wir zuvor in sie hineingelegt hatte, und nun verfügen wir nicht mehr über die Kraft, von diesem Kunstgriff Gebrauch zu machen. Die Welt entgleitet uns: sie wird wieder sie selbst‹.

Thorsten Hallscheidt, der von der Concept Art her kommt, ist als Erkenntnistheoretiker an der Vermittlungswürdigkeit von Wirklichkeit interessiert. In seiner Arbeit ›Konstruktion V (Landschaft)‹ sieht oder ahnt er sie im Zwischenfeld zwischen den Gattungen: erstens Video, das heißt der Vorstellung eines Orkans im Wald, zweitens Zeichnung, das heißt die Arbeit mit dem Titel ›Hang‹ und drittens Plastik, das heißt die verkohlten Bäume. In deren Dazwischen findet das analytische Denken statt, auf das es Hallscheidt abgesehen hat und wo er auch die Grenze zur Romantik zieht. Deren komplexes Naturverständnis und deren ironische Brechung ihrer eigenen Weltanschauung greift der Künstler zwar auf, aber die pantheistische Überkleisterung will er nicht akzeptieren. Auf den Videos passiert im Prinzip nichts, wie auch die Zeichnungen eine akribische Annäherung an das Nichts sind. Über Wochen und Monate entstehen die Zeichnungen, die nur die Erinnerungen an die Tafelmalerei wach halten, aber im schier endlosen Prozess des Zeichnens enthüllt die Natur eher ihre Monstrosität als ihr idyllisches Bild von sich. In der zweiten Konstruktions-Arbeit mit dem Untertitel »Display« wird ein Selbstbildnis in harten Schwarzweiß-Sequenzen in einer unerbittlichen Schrittfolge gezeigt. Was wir als Bewegung in der Zeit wahrnehmen, wird in Frage gestellt, sinnlos, wie letztlich auch das eigene Bildnis: das auf Büttenpapier fast klassisch angedeutete wie auch das sich als Schattenspiel auflösende Selbstporträt, das sich in der Multiplikation auf zehn mal zehn unterschiedlich verpixelte Ausdrucke im Nichts auflöst, Thorsten Hallscheidt würde ergänzen: wie diese Einführungsrede hier. ›Man sollte‹, so schrieb der Künstler, ›die Kunstwerke nicht mit Worten verschatten‹. All das Geschriebene – und Gesagte – werde ›vergehen bei genauer Betrachtung in der Luft wie Zigarettenrauch‹ «.

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