Ausstellungsbesprechungen

Ausblick in die Zukunft? Das European Media Art Festival in der Kunsthalle Osnabrück, bis 21. Mai 2017

In der Ausstellung »Push - Living in the Hyper Information Age« in der Kunsthalle Osnabrück ist Kunst nicht einfach nur ästhetisch, sondern hat eindeutig einen Zweck. Kunstwerke liefern hier das Anschauungsmaterial und die Kulisse für eine Art Zukunftslabor, in dem der Besucher möglichen Vor- und Nachteilen der Digitalisierung ausgesetzt wird. Besonders greifbar werden diese Zukunftsvisionen dadurch, dass sich dort vieles wiedererkennen lässt, das bereits heute unseren Alltag prägt. Susanne Braun hat das Experiment auf sich wirken lassen.

Im Eingangsbereich der Kunsthalle Osnabrück ist es düster. Umso heller strahlen die Leuchtelemente, die den Körper der menschhohen Skulptur »The Reader« von Stanza durchziehen. Es ist dieses von innen leuchtende Wesen, mit dem sich der Besucher sofort nach Betreten der Kunsthalle wiederfindet. Aus über einhundert Mikro-Displays zusammengesetzt, erinnert »The Reader« nur noch entfernt an die Silhouette eines Menschen. Ihm fehlt jede äußerliche Hülle, die Konturen werden ausschließlich durch die vielen, den Körper aderartig durchziehenden, Lichtströme geformt. Ohne Augen scheint er etwas aufmerksam zu studieren, das fast wie mit seinem Körper verwachsen wirkt. Gleich nebenan schillert farbenfroh die Videoinstallation »O.T. 875« von Stefan Reiss, die das lateinische Alphabet in 26 unterschiedliche Farbtöne übersetzt und letztlich darauf zu verweisen scheint, dass Sinneseindrücke und Kommunikation auch auf Wegen möglich sein könnten, für die unser Vorstellungsvermögen im Moment noch nicht ausreicht.

Wie im Kontrast dazu ist es in der großen Ausstellungshalle der ehemaligen Dominikanerkirche fast schon unangenehm hell. In einer Ecke steht ein Regal mit 60 weißen Büchern, die jeweils 800 Seiten voller Nullen und Einsen enthalten. »Television Signal (One Minute)« hat Ruben Aubrecht seine Arbeit genannt, die den Binärcode eines einminütigen Fernsehsignals inklusive Audiospur und Teletext auf Papier abbildet. So soll verdeutlicht werden, welche enorme Menge an Daten uns alle täglich umgeben.

In mehreren Ecken flimmern Fernseh-, Computer- und Handybildschirme. In einer Ecke sind die tumultartigen Szenen einer Straßenschlacht zu sehen. Ein anderer Bildschirm zeigt einen Mann, der sisyphosartig und mit großem Kraftaufwand einen Bildschirmausschnitt immer wieder von links nach rechts verschiebt. Auf gleich mehreren Monitoren laufen Online-Lehrangebote, die die Vorteile von Digitalisierung und globaler Vernetzung anpreisen. Dadurch ließe sich nun jedes denkbare Problem lösen, oft auch mit Hilfe eines Online-Kurses, scheinen sich die mit menschlichen und den verniedlichten Gesichtszügen einer Katze ausgestatteten Tutoren zu freuen.

Doch gleichzeitig stellt sich ein ungutes Gefühl ein. Insgesamt erweist es sich als schwierig, den Lernprogrammen zu folgen, während das Flackern der Bilder auf den Monitoren in der Umgebung den Raum dominiert. Außerdem sorgen etwa die diffusen Bewegungen des Rollators von Fabian Kühfuß für Unruhe, der mit nicht ganz richtig funktionierenden Sensoren ausgestattet ist und sich immer wieder ohne erkennbaren Grund in Bewegung setzt. Nicht weniger beunruhigend erscheinen das willkürlich hin und her springende Verlängerungskabel von Carolin Liebl oder die an Kameralinsen erinnernden hochgereckten »Arme« ausrangierter Satellitenantennen, die mit ihren Schüsseln in einem Wasserbassin schwimmen.

Woran das genau liegt, ist schwer zu erklären. Vielleicht hat es mit Urinstinkten des Menschen als Fluchttier zu tun? Diese Instinkte führt beispielsweise Hans Blumenberg in seinem Buch »Arbeit am Mythos« als Erklärung für das große Interesse der Menschen an Techniken heran, die die Angst vor Gefahren am Horizont und dem Unbekannten generell lindern können. Laut Blumenberg dient etwas so essenzielles wie das Erzählen von Geschichten genau diesem Ziel. Eventuell wirkt diese Macht auch in der Welt 4.0 nach, in der alles aufeinander abgestimmt und damit eigentlich frei von Gefahren sein sollte.

Wenig beruhigend, sondern eher widersprüchlich muten daher die »Useless Weapons Series« von Alexandra Ehrlich Speiser an, mit denen sich zwar nicht mehr schießen lässt, die sich aber für andere Zwecke sehr wohl noch gebrauchen lassen. Ein Eindruck, der sich durch die Video- Installation »Touching Reality« von Thomas Hirschhorn zu bestätigen scheint, der die vielen blutigen Gewaltszenen zeigt, die uns in unserer medial vermittelten Welt höchstens andeutungsweise zugemutet werden. Wie leicht der Traum von einer gewaltfreien Welt scheitern kann, demonstriert dann auch unmissverständlich die Video-Installation »#blacktivist« von Mario Pfeiffer in der die Protagonisten hoffen, sich letztlich vor allen Dingen durch Waffengewalt gegen rassistisch motivierte Diskriminierung und andere soziale Missstände wehren zu können.

Für Unwohlsein sorgt genauso die Tatsache, dass es für zwischenmenschlichen Kontakt in dieser Welt keinen Platz mehr zu geben scheint. An die Stelle eines Gegenübers tritt der Monitor beziehungsweise das Handy-Display. Sogar auf dem Sportgerät ist der Mensch nur noch auf sich selbst und den eigenen Körper fokussiert. Wie unzulänglich die Möglichkeiten des Menschen bei aller Selbstoptimierung dennoch bleiben, zeigt etwa die »Playstation« von Fabian Kühfuß, der einen Computer gegen sich selbst bei einem Kampfspiel antreten lässt. Die vertraute PS2-Console wird hier ausschließlich von einer Maschine bedient, die den Kampf »Mann gegen Mann« auf dem Computerbildschirm mit unerschütterlicher Präzision durchführt und für sich entscheidet.

Dass hingegen auch Maschinen anfällig für Fehler sein können, zeigt beispielsweise die Videoinstallation »Jill« von Lilli Carre, die den vergeblichen Versuch einer weiblichen Stimme dokumentiert, die animierte Cartoon-Figur Jill zu steuern. Die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine scheitert an vielen Stellen wie zwangsläufig, da der menschlichen Sprache in einer solchen Konstellation womöglich generell nicht die geeigneten Begriffe zur Verfügung stehen. Auf Kommunikationsprobleme verweist auch die Videoinstallation 'State of the Art' von Julian Öffler. Der auf einer Staffelei platzierte Bildschirm zeigt das Scheitern des Versuchs, mit Hilfe eines als Piet Mondrian-Gemälde bemalten Protagonisten, ein Video Kunstwerk zu schaffen. Immer wieder werden Kommentare zur Kunst und das, was ein gutes Kunstwerk ausmachen soll, in schriftlicher Form über soziale Netzwerke oder als Videobotschaft eingeblendet. Die Aussagen widersprechen sich mehr und mehr oder wirken wie leere Worthülsen, die ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall keine Orientierung mehr bieten können.

Insgesamt hält die Ausstellung »Push - Living in the Hyper Information Age« viele unterschiedliche Szenarien bereit, die eine (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit Gegenwart und Zukunft sowie der Rolle von Menschen und Maschinen darin, anbieten. Jedem Besucher ist die Möglichkeit gegeben, mit den Exponaten persönliche Erfahrungen zu ammeln und ein eigenes Gespür für die aktuellen Diskussionen rund um Digitalisierung und Arbeitswelt 4.0 zu entwickeln. Das ist Museumspädagogik im besten Sinne.

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